Historiker Jörg Morré

Gedenken ohne Putin - ein Fehler

Auschwitz-Birkenau
Bahngleise in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau © picture-alliance/ dpa
Jörg Morré im Gespräch im Korbinian Frenzel · 26.01.2015
Die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz werden ohne den russischen Präsidenten Putin stattfinden. Der Historiker Jörg Morré hält das für falsch.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst, natürlich könne man sich im Vorfeld einer solchen Veranstaltung darum kümmern, wer anwesend sein sollte. "Und wenn man das nicht ausreichend intensiv macht, ist das vorwerfbar." Die angespannten deutsch-russischen Beziehungen wirken sich laut Morré auch auf die Museumsarbeit aus. Auf der Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen liege ein Schatten, sagte er. "Wo man früher freie Fahrt hatte, haben wir jetzt eine angezogene Handbremse", so Morré. Putins Politik genieße in Russland eine hohe Anerkennung, betonte der Museumsdirektor. Fragen nach der Verletzung der ukrainischen Souveränität würden dort nicht gestellt. Wenn man den Ukraine-Konflikt nicht thematisiere, dann blieben die Gespräche in Russland "wunderbar im Fluss". Wenn man hingegen beginne, Positionen auszutauschen, komme man nicht weiter, so Morré.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es sind keine guten Nachrichten, die Nachrichten aus der Ukraine, die uns seit Tagen erreichen, ein neuer Ausbruch der Gewalt, Zivilisten sterben, nur wenige Tage, teils nur wenige Stunden, nachdem diplomatisch eigentlich wieder Fortschritte gemacht wurden bei Gesprächen letzte Woche in Berlin. Der Mann, der wohl im Moment wie kein anderer für eine Lösung dieser Krise kämpft, ist hörbar enttäuscht: Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Frank-Walter Steinmeier: Wir sollten das Ende der Diplomatie nicht zu früh erklären, aber das Bemühen muss fortgesetzt werden mit einer Politik, die wir, glaube ich, in den letzten Monaten richtig kalibriert haben mit der Ausübung von Druck, aber auch mit der Suche nach Gesprächsmöglichkeiten. Ich hoffe, es ist trotz der letzten drei Tage noch nicht alles verschüttet.
Frenzel: Frank-Walter Steinmeier gestern während seiner Nahost-Reise. Die Hoffnung, dass noch nicht alles verschüttet ist, die teilen wohl alle, und die dürften vor allem die teilen, bei denen die Gesprächsfäden seit jeher und auch weiterhin bestehen, Gesprächsfäden zwischen Deutschland und Russland. Im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst, etwa dem Ort, an dem die Wehrmacht kapitulierte 1945, ein Museum, das in gemeinsamer deutscher und russischer Verantwortung ist – am Telefon ist der Direktor, Jörg Morré. Guten Morgen!
Jörg Morré: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Sie sind gerade erst aus Moskau zurückgekommen. Wie viel Schatten liegt denn auf Ihrer Arbeit, auf Ihrer Begegnung durch die politische Großwetterlage?
Museumsarbeit mit angezogener Handbremse
Morré: Also da liegt schon ein Schatten drauf, aber die Arbeit geht weiter. Der Schatten ist vielleicht insofern zu merken, als es alles ein bisschen zäher geworden ist, und wo man früher, ich sage mal bildlich, na ja, freie Fahrt hatte, haben wir jetzt eine angezogene Handbremse. Wir fahren also relativ häufig nach Moskau und suchen immer wieder das Gespräch, und dann geht das aber schon.
Frenzel: Haben Sie denn ganz konkrete Probleme bei konkreten Projekten, die Sie da vorhaben?
Morré: Ja. Also wir haben vor über einem Jahr angefangen, eine gemeinsame Ausstellung, deutsch-russische Ausstellung zu planen anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes, und da ist im letzten Jahr relativ wenig vorangegangen, und um im Bild der Handbremse zu bleiben: Diese Bremse ist vor Weihnachten dann etwas gelöst worden, jetzt haben wir Fahrt aufgenommen. Aber wir wollen zum Oktober hin dieses Jahres diese Ausstellung fertig kriegen, und das ist museumstechnisch schon eine echte Herausforderung.
Frenzel: Die Bremse hat sich wieder gelockert etwas, sagen Sie. Das ist ja eigentlich die Hoffnung, die wir in der großen Politik auch haben. Haben Sie denn Rezepte dafür, wie man die Bremse wieder etwas lockert?
Morré: Na, ein bisschen kann man daran anknüpfen, was Herr Steinmeier eben gesagt hat: diese Kontinuität. Also wir sind eben am historischen Ort, wo sich alle Seiten einig sind, dass wir den bewahren wollen gemeinsam, das tun wir seit 20 Jahren gemeinsam mit den Kiewer Kollegen auch und den Minsker Kollegen, also nicht nur mit Moskau. Und wir haben uns da im letzten Jahr auch noch mal verständigt, dass es darum geht, diesen historischen Ort der Kapitulation der Wehrmacht, des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa gemeinsam zu bewahren, und das ist der Minimalkonsens, der uns immer wieder dazu bringt, zu sagen: Ja, wir kommen zusammen, auch der Kiewer Kollege kommt zu unseren Vereinssitzungen, wir sind ein Verein, und sitzt dann mit den russischen Kollegen am Tisch und es fällt ihm natürlich sehr, sehr schwer, aber er macht es.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, dass auf das, was man so gemeinhin russische Befindlichkeiten, russische Gefühlslagen nennt, dass darauf nicht genug Rücksicht genommen wird?
Morré: Tja, jetzt wollen Sie von mir den Putinversteher haben.
Frenzel: Ich wollte es so direkt nicht sagen.
In Russland funktioniert Erinnerungskultur anders
Morré: Aber so ein bisschen ist was Wahres dran. Also ich meine, wenn wir hier bei uns im Museum über Erinnerungskultur reden, dann bin ich immer bereit, anzuerkennen, dass das in Russland anders funktioniert, und ich bin auch bereit, anzuerkennen, dass der Geschichtsdiskurs, dass die akademische Debatte um historische Themen, anders läuft.
Da gibt es eine Grenze, also wenn da geklittert wird, wenn Propaganda mit Geschichte gemacht wird, da bin ich nicht bereit, mitzugehen. Aber wenn man das anerkennt, dass das in anderen Ländern anders ist – ja, dann geht das schon weiter und dann kann man manches auch stehen lassen, was man selber so nicht unterschreiben würde.
Frenzel: Wir haben ja diese ganz konkrete Situation, morgen gedenken wir der Befreiung von Auschwitz, 70 Jahre danach. Bei dieser Befreiung hat die Rote Armee eine zentrale Rolle gespielt. Wladimir Putin ist gleichwohl nicht eingeladen. Halten Sie das für einen Fehler?
Morré: In der Kürze: Ja. Es wird ja darum gerungen: Muss man überhaupt einladen, ja oder nein? Aber natürlich kann man sich im Vorwege so eines Gedenkaktes darum kümmern, wer wohl da sein soll. Und wenn man das nicht ausreichend intensiv macht, dann ist das vorwerfbar.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, wenn wir noch mal zurückkommen auf die Frage, wie wir diesen Karren aus dem Dreck kriegen, dass in Russland eine Bereitschaft besteht, auch bei Ihren Gesprächen, bei den Menschen, mit denen Sie zu tun haben, dass man sich wieder annähert? Oder bewegen sich da gerade die Länder und die politischen Vorstellungen so weit auseinander, dass da auch gar nicht mehr das Bedürfnis da ist?
Die Russen fühlen eine fast schon natürliche Nähe zu Deutschland
Morré: Doch, das Bedürfnis ist da. Also ich glaube, was bei uns ein bisschen gerade in der öffentlichen Wahrnehmung wegrutscht, ist, wie stark Russland und die russischen Menschen das Gefühl haben, dass es doch da eine, ja, wie soll man sagen, fast schon natürliche Nähe zu Deutschland, zur deutschen Kultur, zu den Deutschen gibt.
Aber gleichzeitig ist auch klar: Die Politik, die Putin betreibt, hat im eigenen Land, in Russland eine unheimlich hohe Anerkennung. Es gibt ganz viele Dinge, die als gegeben genommen werden, wo mir dann schon der Atem stockt, also alle die Fragen mit der Verletzung der ukrainischen Souveränitätsrechte, die werden nicht gestellt, die sind nicht da. Wenn ich das dann eben auch einfach nicht thematisiere, bleibt das Gespräch wunderbar im Fluss.
Frenzel: Und wenn Sie es thematisieren?
Morré: Bitte?
Frenzel: Und wenn Sie es thematisieren?
Morré: Na ja, dann tauscht man die Positionen aus und kommt dann tatsächlich nicht weiter. Und das ist sicherlich auch der große Unterschied. Ich meine, wir reden über Geschichte, über Vergangenes, über die Wahrnehmung von Geschichte, wir reden so herum gesehen nicht über einen laufenden Krieg und darum, dass tagtäglich Menschen sterben. Also so herum gesehen muss ich schon sagen: Herr Steinmeier steht da unter einem komplett anderen Druck.
Frenzel: Wenn wir über Frank-Walter Steinmeier sprechen – Sie haben die deutsche Rolle angesprochen, diese Nähe, die in Russland empfunden wird: Wird denn die Rolle Frank-Walter Steinmeiers in Russland in irgendeiner Form gewürdigt? Sieht man, dass sich da jemand bemüht um eine Lösung?
Morré: Ja, auf jeden Fall, also das habe ich gerade jetzt die letzten Tage in Moskau wieder gehört, Herr Steinmeier sei ein "Molodez", ja, das kann man so übersetzen, toller Kerl, prima Kerl. Also das wird anerkannt, dass er sich bemüht, und das wird auch wirklich gewürdigt.
Frenzel: Dr. Jörg Morré, der Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Morré: Ja, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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