Historiker Jäckel: Holocaust-Leugner mit Ignoranz strafen

Moderation: Gabi Wuttke · 01.02.2007
Der Historiker Eberhard Jäckel hat sich gegen die Bestrafung von Holocaust-Leugnern ausgesprochen. Das Verbot eines bestimmten Geschichtsbildes sei "einer freien Gesellschaft nicht würdig", sagte Jäckel, einer der Initiatoren des Holocaust-Mahnmals in Berlin, angesichts der Diskussion um ein EU-weites Verbot der Holocaust-Leugnung.
Gabi Wuttke: Die Leugnung des Holocaust als Strafbestand, der überall in der Europäischen Union gelten soll: Das ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, die ja derzeit den EU-Ratsvorsitz hat. Der Vorstoß hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Sind Gesetze ein sinnvolles Mittel gegen Antisemitismus oder sind sie staatliche verordnete Geschichtsschreibung? Natürlich diskutieren wir auch im Radiofeuilleton darüber, heute Morgen mit dem Historiker Professor Eberhard Jäckel, dessen Arbeiten über den Nationalsozialismus und den Holocaust nicht nur in Deutschland Standardwerke sind. Guten Morgen Herr Jäckel!

Eberhard Jäckel: Guten Morgen!

Wuttke: Wer den Holocaust leugnet, gehört der für Sie bestraft oder nicht?

Jäckel: Ich bin immer gegen diese gesetzlichen Bestimmungen gewesen. Es ist natürlich selbstverständlich, extrem unvernünftig und dumm zu leugnen oder zu bestreiten, dass im Zweiten Weltkrieg – und darum geht es – in dem von Deutschland beherrschten Europa Millionen von Juden ermordet worden sind. Das ist der Tatbestand, der Holocaust genannt wird.

Das ist so selbstverständlich, dass man darüber eigentlich überhaupt nicht mehr diskutieren kann. Wer das bestreitet … das ist ungefähr so, als wenn man bestreiten wollte, dass der Zweite Weltkrieg überhaupt stattgefunden habe. Die Frage ist nur, ob solche Dummheit bestraft werden soll, ob das zu irgendeinem Ziel führt, und da habe ich meine sehr großen Bedenken.

Wuttke: Aber es ist ja nicht nur Dummheit, sondern es kann ja auch zu Volksverhetzung, es kann zu Kriminalität, zu Anschlägen führen.

Jäckel: Darf ich gleich sagen, das sind andere Tatbestände. Anschläge, Gewalt gegen Personen und Sachen muss selbstverständlich strafbar bleiben. Volksverhetzung ist auch ein anderer Tatbestand. Hier geht es darum, dass ein bestimmtes Geschichtsbild verboten werden soll, und das scheint mir einer freien Gesellschaft nicht würdig zu sein.

In der großen Auseinandersetzung um die Entnazifizierung hat Eugen Kogon in den fünfziger Jahren einmal gefordert das Recht auf den politischen Irrtum. Und ich glaube, das muss eine freie Gesellschaft einräumen, und sie muss auch hier das Recht auf, ja, auf Dummheit erlauben. Auch Geisteskrankheit kann ja nicht verboten werden.

Wuttke: In den USA, Herr Jäckel, gibt es Gesetze, wie wir sie haben, nicht. In einem Kommentar des "Tagespiegel" war gerade zu lesen, in freien Ländern darf alles in Frage gestellt werden. Ist Deutschland also kein freies Land?

Jäckel: In dieser Hinsicht wäre die Freiheit eingeschränkt, und wir haben solche Tatbestände natürlich in größerer Zahl. Das Einzige, was die Achtundsechziger, und die Terroristen langfristig außer ihren Verbrechen bewirkt haben, ist eine Einschränkung unserer Freiheit gewesen. Und ich möchte nicht in einem Lande leben, in dem das so ist. Ich weiß, dass das in verschiedenen Ländern Europas unter Strafe gestellt wird. Frankreich will jetzt noch weitergehen und auch noch andere Geschichtsbilder verbieten. Und ich glaube, das ist in einer freien Gesellschaft der falsche Weg.

Wuttke: Was aber würde denn Ihrer Meinung nach geschehen oder geschieht nicht, wenn die Leugnung des Holocaust kein Straftatbestand mehr ist?

Jäckel: Man soll nach anderen Straftatbeständen schauen, Volksverhetzung, Anschläge natürlich und so weiter und so weiter. Aber die Leugnung von bestimmten Geschichtsbildern, die sollte meiner Ansicht nach unbestraft bleiben.

Wuttke: Was ist denn sinnvoller als Gesetze, die die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellen?

Jäckel: Bitte noch mal.

Wuttke: Was ist denn sinnvoller in der Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit Menschen, die eben diesen Tatbestand, wie Sie sagen, leugnen, wenn man es nicht unter Strafe stellt?

Jäckel: Ich glaube, dass man das öffentlich und politisch und wissenschaftlich bekämpfen sollte, und das geschieht ja auch. In unserer deutschen Gesellschaft ist doch der Holocaust eigentlich eine unbestrittene Tatsache, wenn man an das Denkmal in Berlin denkt, an die vielen anderen Denkmäler, an die vielen Publikationen darüber. Das ist der richtige Weg, sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich habe es immer abgelehnt, mich mit solchen Leugnern des Holocaust, wie sie heißen, überhaupt auch nur auseinanderzusetzen. Man sollte sie mit Nichtachtung strafen.

Wuttke: Aber kann das der richtige Weg sein, die Ignoranz?

Jäckel: Ignoranz ist nicht strafbar.

Wuttke: Nein, ich meine, Ihre Ignoranz zu sagen, Sie setzen sich damit nicht auseinander.

Jäckel: Ja. Ich meine, wenn jemand zu mir kommt und sagt, ich weiß nicht was, Goethe habe Schiller ermordet oder der Zweite Weltkrieg habe nicht stattgefunden, dann ist eine rationale Diskussion nicht mehr möglich, dann kann man diese Leute, die das behaupten, nur auf die ganz offensichtlichen Beweise, die hundert- und tausendfach vorliegen, verweisen.

Wuttke: Und der Plan der Bundesjustizministerin, in Verbund mit diesem Vorstoß auch Ermittlungen gegen rechtsextremistische Organisationen europaweit bündeln zu können, spricht für Sie nicht dafür, so einen Straftatbestand auf ganz Europa auszuweiten?

Jäckel: Doch. Wenn wir schon solche nationalen Gesetze haben - wir müssten dann genau darüber reden, welche wir jeweils meinen, Leugnung des Holocaust verdient keine Strafe meiner Ansicht nach - dann ist eine europäische Einigung natürlich wünschenswert. Das ist sicherlich ein unguter Zustand, wenn in Frankreich, in Österreich oder in Deutschland der gleiche Tatbestand unterschiedlich beurteilt wird.

Wuttke: Herr Jäckel, in der vergangenen Woche hat der deutsch-amerikanische Historiker Konrad Jarausch sich bei uns auch dagegen ausgesprochen, die Leugnung des Holocaust noch länger unter Strafe zu stellen. Hören wir doch mal, wie er argumentiert hat:

Ich denke, eine Auseinandersetzung mit diesen Leuten muss wissenschaftlich, öffentlich und so weiter sein, aber es ist doch nicht eine Sache, die man verbieten kann. Was mich daran stört, ist, dass der Holocaust metahistorisiert wird. Das heißt, man nimmt ihn aus der Geschichte heraus als konkretes Ereignis, sondern er wird philosophisch, theologisch behandelt, um eine gegenwärtige politische Moral zu begründen, und dadurch wird Holocaustleugnung so etwas wie eine Gottesleugnung.

Wuttke: Begründen die Gesetze in Deutschland die gegenwärtige politische Moral, Herr Jäckel, wird die Holocaustleugnung dadurch zu so etwas wie einer Gottesleugnung?

Jäckel: Ich würde diesen Vergleich nicht ziehen, aber im Übrigen bin ich vollständig der Ansicht, die Konrad Jarausch eben vorgetragen hat. Ich glaube, in einer freien Gesellschaft – ich wiederhole mich jetzt – sollte es möglich sein, auch Dummheiten, auch Leugnungen der Realität vorzutragen, wenn nicht gegen andere Gesetze dabei verstoßen wird.

Wuttke: Die Verantwortung für den Holocaust, auch die hat sich in Deutschland tief eingebrannt, und zwar generationsübergreifend. Lea Rosh erntete einen Sturm der Entrüstung, als sie kurzzeitig plakatieren lies, den Holocaust hat es nie gegeben. Herr Jäckel, in welchem Stadium der Aufarbeitung befinden wir Deutschen uns denn?

Jäckel: Das war damals ein Aufruf, um Spenden für das Denkmal zu sammeln. Und dieser Werbespruch ging dann weiter, es könnte sein, dass das in einiger Zeit, ich kann das nicht mehr genau sagen, andere Leute behaupten. Aber das war natürlich niemals im Wortsinne gemeint.

Wuttke: Das hat natürlich den Sturm der Entrüstung ausgelöst. Natürlich wussten wir alle, was soll das. Aber es war offensichtlich nicht vertretbar, es hängen zu lassen und auch damit umzugehen von dem, was Sie ja sagen, wir wissen, was die Wahrheit ist.

Jäckel: Ja.

Wuttke: Deshalb noch mal meine Frage: In welchem Stadium der Aufarbeitung befinden wir uns, wenn das einen solchen Sturm der Entrüstung auslöst?

Jäckel: Ich glaube, wir sind ziemlich weit in dem Stadium der Aufarbeitung. Was zunächst die Forschung anbelangt, so dringt sie in immer tiefere Einzelheiten ein. Und auch wenn man die allgemeinen Publikationen auf die Medien ansieht, findet man ja nun wirklich den Tatbestand der Leugnung des Holocaust nicht weit verbreitet. Sondern ganz im Gegenteil: Dies wird immer wieder thematisiert, immer wieder beklagt, immer wieder beschworen.

Wuttke: Das heißt, Holocaustleugnung sollte nicht weiter unter Strafe gestellt werden, das ist für Sie eine Dummheit. Aber: Die NPD gehört verboten?

Jäckel: Das ist wiederum eine andere Geschichte. Parteien, so heißt es im Grundgesetz, die gegen die Verfassung verstoßen, können nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verboten werden. Jeder weiß, wie kompliziert die bisherige Geschichte des Verbots der NPD gewesen ist, aber das ist etwas ganz anderes als der Tatbestand der Leugnung des Holocaust.

Wuttke: Der Historiker Eberhard Jäckel mit seinen Argumenten, warum Gesetze gegen die Leugnung des Holocaust überflüssig sind. Herr Jäckel, ich danke Ihnen sehr, einen guten Tag!