Historie

Karl, der große Globalisierer

Moderation: Britta Bürger · 28.01.2014
Was hat Karl der Große mit mir zu tun? Man würde vermuten: nicht viel, stimmt aber nicht - der Kalender in dem wir tagtäglich blättern, geht auf den Franken-Kaiser zurück. Der Historiker Johannes Fried erklärt Karls Bedeutung für Grundpfeiler heutiger Weltkultur.
Britta Bürger: Im Namen Karls des Großen wird jedes Jahr in Aachen der Internationale Karlspreis verliehen, an Menschen, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Aber wer war Karl der Große eigentlich wirklich, dieser Herrscher, der an seinem heutigen 1200-sten Todestag als erster Europäer gefeiert wird, als der Mann, der Europa aufräumte? Stoff für das Gespräch mit dem Historiker Johannes Fried, der eine viel beachtete Biographie über Karl den Großen geschrieben hat. Schönen guten Morgen, Herr Fried.
Johannes Fried: Grüß Gott, Frau Bürger!
Bürger: Was haben Sie in Erfahrung bringen können über Karls Todesstunde an diesem 28. Januar?
Fried: Jetzt eben zu dieser Stunde ist er gestorben vor 1200 Jahren. Wir wissen das durch seinen Biographen, der hat das festgehalten, und wir sind dankbar. Der Todestag spielte im Mittelalter eine wichtige Rolle, weil damit der Eintritt gleichsam in die jenseitige Welt und der Augenblick des Gedenkens festgehalten wird. Die Geburt ist unwichtig.
Bürger: Lassen wir uns auf sein Leben, auf sein Wirken schauen, erst mal unter den beiden Begriffen, unter die Sie auch Ihr Buch geschrieben und gestellt haben: Gewalt und Glauben. Mit zirka 20 wurde Karl König des fränkischen Reichs, mit Anfang 50 dann römischer Kaiser. Insgesamt regiert er fast 45 Jahre lang, doch eben nur zwei oder drei Jahre davon ohne Krieg. War Gewalt das Mittel, um nach oben zu kommen?
Fried: Wenn der Krieg Gewalt ist, ja. Aber ein mittelalterlicher König musste Kriegführer sein, zumindest im früheren Mittelalter, und diese Forderung hat Karl der Große vorbildlich erfüllt: Jedes Jahr in den Krieg, von zwei Jahren abgesehen, und jedes Jahr auch Erfolge, von zwei Misserfolgen abgesehen. Das zeigt, dass er ein großer König war. Das zeigt, dass er den Erfordernissen seiner Zeit entsprochen hat und entsprechend auch ein Gefolge um sich versammeln konnte, das ihm dann half, auch anderes als Krieg durchzuführen.
Gewalt und Glaube
Bürger: Er stürzte sich ja auch selbst immer wieder mitten hinein. Es wurde viel gemetzelt und er war wohl auch innerhalb seiner Familie ziemlich skrupellos, wenn es darum ging, Konkurrenten auszuschalten. Was hatte er insgesamt für eine Vorstellung von Herrschaft?
Fried: Die Herrschaft des Königs ist keine autokratische Herrschaft, sondern er ist angewiesen auf die Loyalität seiner Person. Eine Herrschaft durch Konsens ist der Begriff, mit dem wir Historiker heute solche Herrschaftstypen beschreiben. Also die Zustimmung des großen Adels, der herausragenden Personen, derer muss er sich vergewissern, um überhaupt sinnvoll und effizient herrschen zu können. Die großen sind weltliche Adelige, sind aber auch hohe Geistliche, Bischöfe und mitunter auch die großen Äbte.
Bürger: Zugleich war er ein tief religiöser Mensch. Wie war diese Gewaltherrschaft, seine extreme Härte auch vereinbar mit seinem Glauben?
Fried: Wie gesagt: Gewalt ist an der Tagesordnung, weil sie erwartet wird – kriegerische Gewalt. Karl der Große hat sie mitunter extrem ausgeführt, etwa gegen die Sachsen oder auch gegen aufständische Thüringer, mitunter auch sogar innerhalb seiner Familie, gegen den eigenen Sohn und dessen Anhänger. Der eigene Sohn wurde geschont, aber die Anhänger wurden doch zum Tode verurteilt oder doch entscheidend geblendet. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist die Religion. Die Religion verbot keinen Krieg, wenn er als Defensivkrieg, als Verteidigungskrieg, etwa zum Zweck der Religion, zum Zweck der Glaubenserhaltung durchgeführt wird, und dies konnte Karl der Große für sich in Anspruch nehmen. Jeder Krieg war ein Krieg gegen Heiden, die sein Reich angegriffen hatten.
Die Sachsen hatten immer wieder das fränkische Reich überfallen. Nein, nicht die Sachsen, sondern einzelne sächsische Gruppen hatten immer wieder die fränkischen Grenzen überschritten. Das Gleiche gilt für Spanien. Auch hier ist ein altes christliches Territorium, das von den Muslimen erobert war, und schon Karls Vater, ja sogar schon sein Großvater haben gegen Muslime gekämpft, und Karl der Große wollte diese Erfolge fortsetzen und über die Pyrenäen Boden gut machen. Es ist beim ersten Anlauf nicht geglückt, aber danach, 801, 803, konnte er dann tatsächlich Barcelona erobern und die sogenannte Spanische Mark einrichten lassen.
Der Weg der Zwangschristianisierung
Bürger: Aber er ging mit seinem Weg der Zwangschristianisierung ja doch sehr rigoros um. Wer während der Fastenzeit Fleisch aß, dem drohte die Todesstrafe.
Fried: Das war ein frühes Gesetz gegen die heidnischen Sachsen und diese Härte ist sehr bald aufgegeben worden, weil sie zu keinem Erfolg führte. Dann hat sich der Angelsachse Alkuin mit seiner Empfehlung, dass der Glaube durch Überzeugung verbreitet werden muss, durch freiwillige Unterwerfung unter das Gebot Christi und nicht durch brutale militärische Gewalt, durchgesetzt. Karl der Große hat sich dann daran gehalten.
Seine Mission in Sachsen vollzieht sich schrittweise. Er richtet Bistümer ein, er richtet Pfarrkirchen ein, er lässt die Pfarrkirchen ausstatten mit entsprechendem Grundbesitz, damit ein Pfarrer auch leben kann. Die Bistümer, die damals eingerichtet worden sind, sind heute noch existent, besonders Paderborn etwa oder Münster, um die herausragenden zu nennen. Aber diese Einrichtungen dienen der friedlichen Verbreitung des Glaubens, und wir haben auch entsprechende Zeugnisse, dass die Bischöfe in dieser Weise vorgegangen sind: nicht mit Gewalt, sondern durch Predigt, durch Überzeugung, durch Lebensführung.
Das Frühmittelalter - eine Bildungswüste?
Bürger: Sein Glaube war auch ein zentrales Motiv, um eine Art Bildungsreform in Gang zu setzen. Er selbst konnte zwar lesen, aber nicht schreiben. Wie müssen wir uns die Welt von damals vorstellen, als eine Bildungswüste?
Fried: Vielleicht nicht ganz als eine Bildungswüste. Aber die hohe spätantike Literalität ist verloren gegangen im Laufe der frühmittelalterlichen Jahrhunderte, und vielleicht besonders düster war die erste Hälfte des achten Jahrhunderts, und dies spürte Karl der Große, als er in Italien erobernd Erfolg hatte. Die hohe Bildungsrate, die in Italien unter den Langobarden oder auch in Rom noch greifbar war, das hat ihn zur Nachahmung animiert. Er musste seine Franken auf die gleiche intellektuelle Höhe heben und dafür hat er die Lehrer aus der Langobardei, von den Langobarden geholt. Er hat Angelsachsen geholt, er hat Westgoten geholt, Bayern geholt, die dafür geeignet waren, und selbstverständlich junge Franken schulen lassen, deren Begabung frühzeitig erkannt worden war.
Karl der Große als Vorbote des heutigen Europas?
Bürger: Heute vor 1200 Jahren starb Karl der Große. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Johannes Fried, der sich dem Mythos Karl in einer ebenfalls großen Biographie genähert hat. Er hat sich also für Bildung stark gemacht, er hat auch die Verwaltung reformiert, er hat die feste Münzeinheit eingeführt. Hat Karl der Große, kann man sagen, Europa dann doch aus dem dunklen Mittelalter herausgeführt?
Fried: Das ist eine zweischneidige Frage. Wenn wir aus seiner Perspektive schauen, dann auf keinen Fall, denn Europa war für ihn überhaupt keine Größe. Er hatte ein großes Reich zusammengebracht, das den Grundbestand jenes Europas, jenes geeinten Europas umfasste, das nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen worden war, also die frühe Europäische Gemeinschaft. Für diese Phase der europäischen Geschichte konnte man noch Karl den Großen als eine politische Einigungsfigur ins Auge fassen.
Heute ist Europa aus allen Nähten geplatzt. Wenn Litauen, wenn Zypern dazu gehören, wenn Malta dazu gehört, wenn Portugal dazu gehört, dann sind das alles Staaten, die in keiner Weise mit Karl dem Großen in irgendeiner Verbindung standen und auch an die Karl der Große in keinem Augenblick seines Denkens gedacht haben könnte. Insofern ist Europa heute wesentlich größer und anders, als Karl der Große an Europa hätte denken können, wenn es denn ein politischer Begriff für ihn gewesen wäre.
Kulturelle Revolution am Kaiserhof
Aber Karl der Große hat kulturell Dinge ins Leben gerufen, zum Beispiel eine Schriftreform über seinen Hof verbreiten können, die tatsächlich bis heute wirksam ist, denn die lateinische Schrift, die heute geschrieben wird, und zwar weltweit geschrieben wird, ist die Schrift, die von seinem Hof aus ausgegangen ist. Oder er hat den Kalender formen lassen, keine Kalenderreform, aber einen Kalender entwickeln lassen, den karolingischen Reichskalender, wie man ihn genannt hat. Das ist der Kalendertyp, den wir heute im Prinzip noch haben, wenn wir uns einen Taschenkalender aufschlagen.
Oder er hat die römische Kirche, die päpstliche Kirche, die Kirche überhaupt in einer Weise reformiert, dass sie heute noch Bestand hat mit dem Papst an der Spitze, den Erzbistümern darunter, den Bischöfen und den Pfarrkirchen in einer systematischen Ordnung ins Leben gerufen und tatsächlich auch durchgesetzt. Er hat Erzbistümer neu gegründet. Mainz etwa wurde von ihm gegründet oder durch ihn gegründet, Salzburg wurde durch ihn gegründet. Das sind ganz herausragende Bistümer, die auch für Missionszwecke, Mainz für die Sachsen, Salzburg Richtung dem heutigen Ungarn, also gegen die Awaren, tätig geworden sind.
Karl, der große Globalisierer
Bürger: Dann ist es also doch nicht ganz so falsch, wenn er als der erste große Europäer bezeichnet wird?
Fried: Ich würde einen anderen Begriff vorziehen, denn keiner akzeptiert heute diese Begrenzung auf Europa. Das was ich eben angesprochen habe, sind ja Weltphänomene. Die römische Kirche ist weltweit mit einer Milliarde Gläubigen oder so vertreten. Die Schrift wird selbst von China dann aufgegriffen, wenn sie im internationalen Handel oder im internationalen Flugverkehr bestehen wollen. Das Gleiche gilt für den Kalender. Kein Flugplan geht nach irgendeinem muslimischen oder chinesischen Kalender, sondern alle gehen nach dem Kalender, der durch Karl den Großen ins Leben gerufen worden ist. Das würde bedeuten, dass Karl der Große eine bis heute anhaltende Wirkung auf Globalisierungseffekte ausgeübt hat. Deswegen spreche ich eher davon, dass Globalisierung mit ihm begonnen, nein, nicht begonnen hat, aber durch ihn verstärkt fortgesetzt worden ist. Also ein Globalisierungseffekt, nicht ein Europaeffekt.
Bürger: Wer war Karl der Große, der heute vor 1200 Jahren starb? Der Historiker Johannes Fried gibt in seiner Biographie viele Antworten darauf. Einige wesentliche haben wir gehört. Herr Fried, herzlichen Dank für das Gespräch.
Fried: Ich danke auch Ihnen, Frau Bürger, für dieses Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.