Hirnforschung

Mit optischen Experimenten das Bewusstsein begreifen

Norwegische Wissenschaftler begutachten ein menschliches Gehirn.
Wissenschaftler begutachten ein menschliches Gehirn. © AFP PHOTO / GEIR MOGEN / NTNU
Von Volkart Wildermuth · 14.11.2014
Detailliert beschreibt der Neuro-Wissenschaftler Stanislas Dehaene in "Denken", was sich heute objektiv über das Bewusstsein sagen lässt. Das subjektive Erleben blendet er dabei aus, weil es sich nicht belegen lässt.
Angst vor großen Fragen kennen die Neurowissenschaftler nicht: Diskutierten Philosophen Jahrhundertelang über das Bewusstsein und seinen Ursprung, lautet heute die Antwort der Neurowissenschaft fast unisono, dass letztlich alles Gehirn sei. So auch Stanislas Dehaene, was ihn dabei von seinen Kollegen unterscheidet, ist sein pragmatischer Ansatz. Er nutzt einfache optische Illusionen, um das Bewusstsein erst experimentell handhabbar zu machen und von da aus immer weiter zu analysieren.
Da sieht man einen Kreis grauer Tupfen: Blickt man starr auf die Mitte, dann verschwinden einzelne Flecken, tauchen wieder auf, verschwinden erneut. Das Bild auf der Netzhaut bleibt gleich, aber das, was der Beobachter erlebt, was er beschreibt, verändert sich laufend. Indem Stanislas Dehaene genau untersucht, was bei diesen Übergängen im Gehirn geschieht, kann er eine neuronale Signatur des Bewusstseins identifizieren. Nach etwa 300 Millisekunden begingen die Nerven über weite Teile des Gehirns hinweg hochfrequent und synchron zu feuern, im EEG zeigt sich das als sogenannte P3 Welle. "Genau an diesem Punkt, wo ein kohärent vernetztes Gehirn plötzlich 'zündet', scheint bewusste Wahrnehmung zu entstehen", schreibt Dehaene.
Flexibilität und Integration schaffen Bewusstsein
Unbewusste Gehirnprozesse können viele Dinge gleichzeitig analysieren, aber nur bis zu einem gewissen Grad und recht automatisiert. Je nach der Dringlichkeit der Sinneseindrücke und den aktuellen Bedürfnissen der internen Prozesse wird eine Information bewusst. Sie steht dann fast dem ganzen Gehirn zur Verfügung, eingebunden in vergangene Erinnerungen und künftige Ziele und kann auf unterschiedliche Weise genutzt werden.
In der besonderen Flexibilität und Integration liegt für Stanislas Dehaene der tiefere Sinn des Bewusstseins. Mit seinem Analysemodell nähert sich Dehaene auch praktischen Fragen, so versucht er zum Beispiel, über die P3 Welle und die hochfrequenten Entladungen im EEG Anzeichen für Bewusstsein bei Patienten im vegetativen Zustand zu erkennen. Auch ist er davon überzeugt, dass Tiere über einen ähnlichen "globalen Arbeitsraum" verfügen und damit über Bewusstsein. Allerdings geht Dehaene davon aus, dass es die Sprache ist, die dem Menschen ermöglicht, eine andere Qualität von Bewusstsein zu erreichen.
Der pragmatischen Ansatz blendet allerdings völlig aus, was für viele der Kern des Bewusstseins ist: das subjektive Erleben. Das aber sei ein vorwissenschaftliches Konzept, meint Stanislas Dehaene. In der Biologie wurde eine undefinierte Lebenskraft durch chemische Erklärungen obsolet. Ganz ähnlich könnten in Zukunft neuronale Modelle den Glauben an einen Geist neben dem Gehirn überflüssig machen. Das kann man für einen intellektuellen Taschenspielertrick halten oder für ein Zeichen von Ehrlichkeit. Stanislas Dehaene beschreibt detailliert, was sich heute objektiv über das Bewusstsein sagen lässt. Es gibt vielleicht tiefere Einsichten, aber die lassen sich nicht belegen.

Stanislas Dehaene: Denken: Wie das Gehirn Bewusstsein schafft
Übersetzt von Helmut Reuter
Knaus Verlag, München 2014
480 Seiten, 24,99 Euro

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