Hinrichtung in den USA

Warum sichere Medikamente nicht mehr ausgeliefert werden

Todeszelle des berüchtigten Huntsville-Gefängnisses in Texas in den USA
Todeszelle eines Gefängnisses in den USA © dpa / picture alliance / Paul Buck
Georg Kojda im Gespräch mit Ute Welty und Dieter Kassel · 24.07.2014
Ein verurteilter Mörder ist in den USA nach einem fast zweistündigen Todeskampf qualvoll gestorben. Pharmakologe Georg Kojda macht dafür Unternehmen mitverantwortlich, die die Verwendung ihrer Arzneistoffe für Hinrichtungen nicht sehen möchten.
Ute Welty: Das ist sicherlich eine sehr individuelle Sicht auf die Ereignisse der letzten Nacht. Fast zwei Stunden hat die Hinrichtung des zweifachen Mörders Joseph Wood in Arizona gedauert.
Dieter Kassel: Wir werden jetzt gleich ein paar Fragen stellen, von denen wir uns beide wünschen, würden, dass es absolut überflüssig wäre, diese Fragen überhaupt zu stellen, denn solche Ereignisse ließen sich natürlich am einfachsten verhindern, wenn man auf die Todesstrafe ganz verzichtet. Aber wenn man schon, wie eben in vielen Bundesstaaten der USA, an die Statthaftigkeit einer solchen Maßnahme glaubt, dann muss man leider auch die Frage stellen, warum macht man es dann nicht richtig.
Welty: Darüber sprechen wir jetzt mit Professor Georg Kojda, Pharmakologe an der Uni-Klinik in Düsseldorf. Ihnen einen guten Tag!
Georg Kojda: Guten Tag!
Welty: Als Sie von diesem Vorfall heute in den Nachrichten gehört haben, haben Sie sich auch als Fachmann so wie wir gefragt, was ist da schief gegangen?
Kojda: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, dass es daran liegt, dass sichere Medikamente nicht mehr ausgeliefert werden an die US-Behörden. Es ist so, wissen Sie, was man jetzt verwendet, ist ein Arzneistoff, der auch in deutschen Kliniken relativ häufig zum Einsatz kommt, aber der sich von den, sagen wir mal, sicheren Substanzen gerade im Hinblick auf die therapeutische Sicherheit ganz stark unterscheidet. Sichere Substanzen wären zum Beispiel Barbiturate, wie man sie früher auch hier in Deutschland verwendet hat.
Welty: Also Schlafmittel.
Kojda: Barbiturate sind schon Anästhetika. Das heißt also, die werden zum Beispiel für die Einleitung einer Operation, eine Anästhesie bei einer Operation verwendet. Sie bekommen vor Einleitung eine Spritze, und Sie werden sicher wissen, dass Sie es nicht mehr schaffen, bis zehn zu zählen, bevor Sie bewusstlos sind.
Und genau das ist das Problem, glaube ich, bei dem verwendeten Cocktail, obwohl ich zu der Zusammensetzung jetzt nichts sagen kann. Wir wissen das nicht. Aber wir wissen aus der Vergangenheit, dass eben Mittel eingesetzt werden, die nicht so sicher zum Verlust von Bewusstsein und Schmerz und einer entsprechenden Narkosetiefe führen.
Kassel: Aber das Interessante ist ja auch, was Sie sagen, bestätigt ja auch das, was man in vielen Meldungen in diesem Fall gelesen hat, dass das Kernproblem doch ist, dass die europäischen Firmen ja nicht mehr liefern dürfen ihre Substanzen, aufgrund der EU-Regeln. Und mich wundert das. Kann es denn sein, dass das, was Sie gerade erwähnt haben, dass US-Pharmakonzerne das so nicht liefern können?
Kojda: Was die Verfügbarkeit bestimmter Arzneistoffe in den USA, speziell für diese Indikation anbelangt, also für Hinrichtung, muss man auch sagen, dass die Unternehmen selber und nicht nur die europäischen Behörden, die Verwendung dieser Arzneistoffe für Hinrichtungen nicht sehen möchten und auch aus diesem Grund die Lieferung verweigern, also auch unabhängig von europäischem Recht oder europäischen Anordnungen oder Verordnungen. Das ist also wirklich ein Problem.
Welty: Sie haben schon die Barbiturate erwähnt. Welche Substanzen werden in der Regel noch für diesen Zweck eingesetzt?
Kojda: Außer den Barbituraten in den USA eigentlich nur Propufol ersatzweise. Das war das Mittel, an dem Michael Jackson gestorben ist, vielleicht erinnern Sie sich an diesen Fall. Aber das ist sehr selten, nicht regelmäßig. Standard sind ganz sicher die Barbiturate. Das ist jetzt so, dass diese Barbiturate halt wirklich eine sehr tiefe Narkose auslösen können, und dass man auch mit Barbituraten schon ganz alleine eine Hinrichtung durchführen kann.
Aber viele Staaten in den USA benutzen noch zwei weitere Mittel, die ebenfalls tödlich wirken. Das eine kennen Sie vielleicht aus Romanen: Pfeilgifte der Indianer, Curare, das also zu einer Atemlähmung führt, und das Zweite ist ein ganz einfaches Salz, ein Kaliumchlorid, und das führt ab einer bestimmten Konzentration im Blut zum Herzstillstand. Das verwenden die Kardiochirurgen beispielsweise.
"Man hat eben nicht so viele Möglichkeiten, so was auzuprobieren"
Kassel: Aber ich habe immer gehört - ich möchte, glaube ich, noch mal sagen, dass wir diese Fragen nur stellen, weil es eben die Todesstrafe gibt. Mir wäre lieber, das so gar nicht besprechen zu müssen. Aber gerade, wenn Sie über Curare oder Ähnliches reden, da habe ich immer gehört, das ist ein sehr qualvoller Tod, aber auch ein vergleichsweise schneller. Und damit verbunden die Frage, mal jenseits der Frage der Barbiturate – ich sag jetzt, haben die nicht auch das falsche Gift, was die Todeswirkung angeht, eingesetzt? Gibt es nicht Gifte, die einen schneller umbringen als in zwei Stunden?
Kojda: Dass das so lange gedauert hat, das kann ich jetzt nicht anhand der Arzneistoffe oder aus pharmakologischer Sicht erklären, weil ich ja nicht genau weiß, was da in der Giftspritze oder in den mehreren Spritzen, die da verwendet wurden, tatsächlich drin war. Aber man kann sagen, dass für den Fall, dass es Midazolam gewesen ist, das ist ein Valium-Abkömmling, dass es in dem Fall möglicherweise erklärlich wäre, dass der Patient, auch wenn er vielleicht kein Bewusstsein mehr hatte, aber in seinen Funktionen, Körperfunktionen nicht so stark beeinträchtigt war und sich gegen diese atemlähmende Wirkung gewehrt hat. Und deshalb, denke ich mal, so könnte man interpretieren die Aussagen, ich glaube, des Anwalts oder der Reporter, die irgendwie so 600 Atemversuche gezählt haben. So würde ich das interpretieren wollen.
Welty: Warum ist es offenbar so schwierig, Medikamente so zusammenzustellen, auch in der erwähnten Kombination, damit sie den Zweck der Hinrichtung erfüllen, und zwar wirksam und zeitnah?
Kojda: Na ja, man hat eben nicht so viele Möglichkeiten, so was auszuprobieren. Das ist ja bei Tieren ganz anders. Diese Barbiturate, die werden zur Euthanasie bei Tieren, verletzten Tieren oder schwer kranken Tieren bei einem Tierarzt regelhaft eingesetzt. Überall, in vielen Praxen in Deutschland oder auch weltweit.
Bei einem Menschen, den man hinrichten will, hat man aber keine Möglichkeit, das vorher auszuprobieren oder zum Beispiel eine solche Mixtur auszuprobieren. Das wäre ja - das ist ja nicht möglich. Also macht man es, ohne vorher zu wissen, was möglicherweise dabei passieren kann. Und das ist aus meiner Sicht auch nicht wirklich ethisch, abgesehen von der Todesstrafe an sich.
Kassel: Wirklich ethisch – eine Schlussfrage, wo ich Ihnen bitte ganz laut jetzt die Möglichkeit einräumen möchte, wenn Sie sie nicht beantworten wollen, dann tun sie es nicht. Aber aus Sicht eines Pharmakologen, der auch viel mit Apothekern zusammenarbeitet, wir darauf zurückkommen, diese Schwierigkeiten sind unter anderem entstanden, weil europäische und andere Firmen die Substanzen nicht mehr liefern wollen.
Ist es ethisch-moralisch einwandfrei, das zu tun und zu sagen, wir kämpfen gegen die Todesstrafe, indem wir die Substanzen nicht liefern, und dann aber möglicherweise solche Dinge zu verursachen, wie wir sie letzte Nacht erlebt haben? Oder fänden Sie es eigentlich ethisch-moralisch angemessener, zu sagen, so lange die gesetzlich ist in den USA, liefern wir das wenigstens, damit es ordentlich abläuft.
Kojda: Das ist eine sehr schwierige Frage, aber auch eine sehr gute Frage, und ich persönlich muss sagen, dass für mich diese Frage sekundär ist. Für mich ist die Frage viel wichtiger, ob es eine Todesstrafe überhaupt geben muss oder nicht. Und meine persönliche Meinung ist, dass es die eigentlich nicht geben darf.
Welty: Einschätzungen von Georg Kojda, Pharmakologe an der Uni Düsseldorf. Danke dafür!
Kojda: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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