Hinein in den Verein

Sportler integrieren Flüchtlinge

Sport bringt die Menschen zusammen.
Sport bringt die Menschen zusammen. © Wolf-Sören Treusch
Von Karin Göckel · 09.06.2016
Im Landkreis Roth in Mittelfranken haben engagierte Mitglieder der örtlichen Sportvereine das Programm "Bunter Sport" organisiert. Dort trainieren Flüchtlinge und Einheimische zusammen. Durch den gemeinsamen Sport sind viele Kontakte entstanden.
"Die Integration ist eigentlich gar net so schwierig. Wir machen das so im Trainingsbetrieb, dass es vorgezeigt wird von Spielern von uns, und dann machen die das erscht mal mit. Und danach, wenn wir das wiederholen, dann korrigier ich die Sachen und schau, dass die langsam sich dem Niveau, wie in Deutschland trainiert wird, anpassen."
Die Mannschaftskameraden Christopher Pfeifer, André Kemmes und Wlad Habermann trainieren gern mit ihren neuen Mitspielern:
"Ich würd sagen, das funktioniert sehr gut. Viele von den Flüchtlingen haben schon ein paar Voraussetzungen mitgebracht fußballerisch."
"Vieles was wir einstudiert haben, ist noch nicht so drin, ist klar, klappt jedes Training besser, ist aber auch viel Luft nach oben. Sie spielen auch teilweise schon in den Punktspielen mit, das auch nicht schlecht, schlagen sich gut, und ich denk, jeder ist auch froh, dass sie da sind, ganz nette Truppe."
"Je besser deren Deutschkenntnisse sind, desto besser funktioniert das auch auf dem Platz, weil da kann man sich einfach miteinander verständigen und dann funktioniert das besser."
Zehn Flüchtlinge trainieren im Moment beim ASV Herzogenaurach mit. Am Anfang waren es zwei, die über den ehrenamtlichen Helferkreis der Stadt in den Verein vermittelt wurden, erinnert sich Elke Sowa, die Vereinsvorsitzende:
"Und dann haben die natürlich in ihrer Flüchtlingsunterkunft da in Herzogenaurach, sind sehr viele von den Äthiopiern, die ham natürlich untereinander gesprochen, und dann kamen halt noch mehr und noch mehr und noch mehr, und dann hatte ich irgendwann neun Stück von diesen Äthiopiern. Ist natürlich eigentlich zu viel. Weil für die Mannschaft, kannste nicht alle integrieren, der Trainer ist schwer beschäftigt mit denen, aber auf der anderen Seite ist es beim Training manchmal nicht schlecht: Eine Mannschaft und da eine Mannschaft. Also, es hat alles seine Vor- und seine Nachteile."

Mitgliedsbeitrag wird zum Problem

Drei der Flüchtlinge haben bereits einen Spielerpass, können also in Punktspielen der B-Klasse, der untersten Spielklasse, in der der ASV Herzogenaurach derzeit kickt, eingesetzt werden. Die anderen laufen erst einmal nur mit im Training. Von allen verlangt die Vereinsvorsitzende Elke Sowa im Moment keinen Mitgliedsbeitrag – und das bereitet ihr etwas Bauchschmerzen:
"Auf der anderen Seite müssen sie Mitglieder werden, wenn sie spielen wollen, und dann müsste ich ja von denen die Mitgliedsbeiträge verlangen. Bin ich eigentlich verpflichtet laut meiner Satzung, und da stehe ich jetzt ein bisschen in einem Dilemma. Sie kriegen ihr Taschengeld von 143 Euro im Monat oder was weiß ich, da kaufen die sich ihr Essen und alles davon, da kann ich nicht sagen, die sollen noch sieben Euro für den Verein zahlen. Und das ist das Problem, das ich im Moment habe, wenn die anderen sagen, ja, wir zahlen, und die müssen nicht zahlen. Weiß ich noch nicht, wie ich das lös."
Vielleicht so, wie es rund 60 Kilometer weiter südlich in Roth funktioniert. Hier bemüht sich ein ganzer Landkreis darum, Flüchtlinge in Sportvereine zu integrieren. Mitgliedsbeiträge werden von einem Förderverein übernommen, also durch Spenden getragen.
In der Turnhalle der Grundschule Kupferplatte in Roth: Ein Dutzend Jungs zwischen 7 und 13 Jahren sind heute zum Bunten Sport gekommen – so heißt das Programm, das engagierte Mitglieder der Sportvereine im Landkreis Roth organisiert haben. Zu den offenen Sporttreffs für Kinder und Erwachsene kann jeder kommen, der Lust auf Bewegung in der Gruppe hat – auch einige deutsche Kinder sind da.
Heute machen die Trainer mit ihnen vor allem Laufspiele. In anderen Trainingsstunden bauen sie einen Parcours auf, um sportliche Grundlagen zu vermitteln – Klettern, Rolle vorwärts und rückwärts, hangeln oder springen, erklärt Matthias Quast. Der schlaksige, junge Mann macht ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Basketballabteilung der Spielvereinigung Roth.
"Die sind ja noch ziemlich jung, und die sollen sich eigentlich so viel wie möglich bewegen, und auch verschiedene Bewegungsstrukturen kennenlernen. Das ist ja kein richtiges Training."

Spaß an der Bewegung steht im Mittelpunkt

Der Spaß an der Bewegung steht hier im Mittelpunkt. Und tatsächlich: Alle Kinder rennen, schreien, kreischen und lachen. Die Flüchtlingskinder zu motivieren, ist nicht schwerer als bei anderen, sagt Trainer Florian Reeh:
"Ich würd fast sagen, es ist sogar noch einfacher, einfach weil die total viel Spaß am Sport haben. Die kommen hierher, sind total motiviert, wohingegen halt manche Leute… wenn man manchmal Kinder, die herkommen, weil ihre Eltern wollen, dass sie Basketball spielen, das gibt’s ja manchmal, die stehen halt hier, hm, jetzt muss ich Sport machen. Und die kommen her, weil sie Sport machen wollen, und die sind dann voll dabei."
Der dritte Trainer im Bunde ist Hussam Ali Shalash, ein Flüchtling aus dem Irak. Seit ein paar Wochen hilft er ehrenamtlich mit beim Bunten Sport. Im Irak hat er auch schon als Sporttrainer für Kinder gearbeitet. Doch hier in Deutschland fühlt er sich noch etwas unsicher. Mit einem freundlichen Lächeln versucht er das zu überspielen.
"Ich lerne Schule und ein bisschen Spiele. Basketball oder Handball oder Tennistisch?"
"Tischtennis."
"Tischtennis, ja, ja. Ich gerne helf Kinder."
Beim Bunten Sport ist die Hilfe von Hussam Ali Shalash sehr willkommen. Und auch für ihn sind die Sporttreffs eine Abwechslung. Denn noch wartet er auf eine Entscheidung seines Asylantrags. In der Zeit darf er nicht arbeiten, ist zum Nichtstun verdammt.
Um den Hals trägt Hussam Ali Shalash eine Kette mit Silberanhänger: Die Umrisse des Irak. Aus Basra komme er, erzählt der junge Mann, und deutet auf eine Stelle auf der silbernen Karte. Zwar sollen alle Kinder während der Sportstunde vor allem Deutsch miteinander sprechen. Doch in manchen Situationen ist es gut, dass Hussam Ali Shalash dabei ist und übersetzen kann.
In einer kurzen Spielpause gehen Andreas Dobler, Abteilungsleiter Basketball bei der Spielvereinigung Roth und Initiator des Programms Bunter Sports, und Hussam Ali Shalash zu einem der Flüchtlingsjungen. Achmad ist begeisterter Fußballer und möchte gerne in einer Mannschaft spielen.
"Ich habe mit dem Trainer gesprochen, du kannst morgen ins Fußballtraining kommen."
"Morgen?"
"Morgen 19 Uhr. Sandgasse."
Andreas Dobler zieht sein Handy aus der Tasche, ruft eine Karte auf und zeigt Achmad, wo das Training stattfindet.
"Da wohnst Du. Sieh-Dich-Für-Weg."
"Wo ist Heim."
"Heim ist hier. Und Fußball ist da. Sandgasse."
"Sand-Gasse."
Andreas Dobler freut sich für Achmad. Wenn er sich gut in die Mannschaft einfügt, hat er wieder ein Stück Integration in die deutsche Gesellschaft geschafft – indem er Mitglied in einem Sportverein wird.
"Also, wir wollen die schon in die Vereine vermitteln, aber wir müssen die Vereine bissel schützen, dass nicht einmal zehn da sind und dann wieder keiner mehr, sondern dass es so einen geordneten Zufluss gibt, das heißt, wir scannen die auch e bissel, ob das dann auch für die ehrenamtlichen Trainer im Verein aushaltbar ist, was da kommt.
Es gibt bei Asylbewerbern genauso wie bei Deutschen Leute, die nicht in den Mannschaftssport können, weil sie sozial net dazu in der Lage sind. Und das passiert da halt auch, und da scannen wir die vorher und können die länger bei uns behalten, und da geht’s um so grundlegende Sachen: Ich bin pünktlich, ich hab Turnschuh dabei, ich hab was zum Trinken dabei, ich sag ab, wenn ich net komm. Das sind so Sachen, die wir im Verein als selbstverständlich voraussetzen, die aber für die net selbstverständlich sind."

Engagierte Ehrenamtliche

Im Jahr 2014 hat Andreas Dobler das Programm Bunter Sport gestartet. In dem Jahr bezogen Asylbewerber in Roth die erste Gemeinschaftsunterkunft. Dobler erkannte, dass die Vereine auf die Flüchtlinge zugehen müssen, um sie mit ihrem Angebot zu erreichen – denn Breitensportvereine wie in Deutschland sind in vielen der Herkunftsländer unbekannt.
Als Unternehmer in der Medizintechnikbranche ist Andreas Dobler es gewöhnt, große Projekte zu organisieren. Und ebenso zielstrebig wie eines seiner Projekte verfolgte er die Idee des Bunten Sports, gewann die wichtigen Leute im Landkreis dafür, angefangen vom Landrat über die Ehrenamtlichen in den Vereinen bis zum Leiter des Jugendamts.
Und so waren die Ehrenamtlichen zu Beginn nicht auf sich allein gestellt, sondern bekamen Unterstützung von Sozialarbeitern. Denn wenn bei den offenen Sporttreffs Konflikte auftraten, dann wären die oft sehr jungen ehrenamtlichen Trainer alleine überfordert gewesen. Manuela Ostermeyer von der Jugendhilfestation in Roth erinnert sich an eine Begebenheit:
"Wir hatten zwei Jungs mit dabei, und die haben sich halt liebend gerne nicht an die Spielregeln gehalten, sind dann wild durch die Halle zum Beispiel gelaufen. Das hat die anderen Kinder gestört, und dann ging's schon los: 'Äh, die stören, die nerven, man kann gar net sein Spiel zu Ende spielen'. Und die hammer dann auch genommen, und das war dann wirklich auch Arbeit, mit ihnen das auszufechten, zu sagen: Du pass auf, das ist die Spielregel, wenn du da jetzt net mitmachen kannst, dann schaust du zu und dann läufst du net durch die Halle. Und da glaub ich, haben wir viel abgefangen von den Trainern, und die haben aber auch gelernt von uns."
Durch diese Hilfe fühlen sich die Trainer beim Bunten Sport inzwischen sicher im Umgang mit Flüchtlingskindern. Und sollte doch mal wieder ein Problem auftreten – die Sozialarbeiter stehen mit Rat und Tat zur Seite, kommen bei Bedarf erneut in die Sportstunden.
Sie helfen aber auch dann, wenn der Abschiedsschmerz bei den Trainern groß ist. Denn manchmal sind die Kinder plötzlich weg – weil die Familie abgeschoben wird, freiwillig ausreist oder in eine andere Stadt zieht.
"Da wollen wir die Trainer auch befähigen, für sich eine Grenze zu finden, weil man mag diese Kinder dann auch. Wenn man eng mit denen arbeitet, in den Wettkampf geht, das baut Beziehung auf. Und auch zu schauen, was bedeutet das loszulassen, vielleicht auch grad, wenn ich nicht weiß, kommt der das nächste Mal wieder."
"Wir machen jetzt nen Huddle. Wir tun alle unsere Hände in die Mitte. Rechte Hand. Und jetzt ruft einer 'Team' und der andere 'Play', ok. 'Team – Play. Ok, dann ciao, bis nächste Woche."

Eine Stunde lang die Flucht vergessen

Eine Stunde konnten die Kinder herumtoben. Eine Stunde die Flucht vergessen und das, was ihnen in ihrer Heimat wiederfahren ist. Die Wangen sind gerötet, die Augen strahlen. Es sei auffällig, wie positiv sich die eine Stunde Sport auf die Kinder auswirke, berichten Betreuer. Viel ruhiger und gelassener seien sie im Anschluss.
Die guten Erfahrungen, die Andreas Dobler und seine Mitstreiter in zwei Jahren Bunter Sport gesammelt hat, sollen ab Sommer auch anderen Vereinen in Bayern zu Gute kommen. In Zusammenarbeit mit der Rummelsberger Diakonie startet dann ein Beratungstelefon für Vereine, die Sport für und mit Flüchtlingen anbieten wollen. In Konfliktfällen kommen die Verantwortlichen auch ins Training.
Seit kurzem wird der Bunte Sport Roth auch über das Programm Integration durch Sport gefördert. Dieses Programm haben der Deutsche Olympische Sportbund und die Landessportverbände vor über 25 Jahren gestartet. Integration durch Sport unterstützt Vereine und Initiativen, die sich für die Integration benachteiligter Gruppen durch Sport einsetzen.
"Ok, dann müssen wir die Pestalozzischüler halt auch noch ein bisschen mit reinbringen, aber das kriegen wir schon. Oh, darf ich reingreifen? Danke schön!"
Mark Sauerborn vom Bayerischen Landessportverband greift in die Chipstüte, die ihm ein Flüchtlingsjunge entgegenhält. Dann macht er die Schiebetür des Kleinbusses zu. Mark Sauerborn ist Koordinator von "Integration durch Sport" für Mittel– und Oberfranken.
Eben hat er an einer Flüchtlingsunterkunft in Erlangen Kinder abgeholt, die Lust auf Fußballspielen haben. An einer Grundschule warten noch weitere, und auf dem Weg zum Fußballplatz wird ein Mädchen aus einer Hochhaussiedlung aufgesammelt.
Nicht alle Kinder, die sich schließlich in den Kleinbus quetschen, sind Flüchtlinge. Es ist eine bunte Truppe aus Flüchtlingskindern und Mädchen mit ausländischen Wurzeln, die ohne Mark Sauerborns Hilfe wahrscheinlich nicht zum Training kämen.
"Der Valentin, Philipp, du und die Kat, ja, ihr kümmert euch um die Mädchen, macht zusammen Aufwärmen, Stationen dann, und der Armin und der Hussein kümmern sich um die Jungs."
Eigentlich ist an diesem Tag auf dem Fußballplatz des TV 1848 Erlangen nur Training für Mädchen. Aber weil auch viele Jungs gekommen sind, teilt Mark Sauerborn seine Helfer auf.
"Also Mädels, zuhören! Wir spielen erstmal wer hat Angst vorm bösen Labbarina und vorm bösen Björn. Ihr steht hier unten, wir da oben. Also, alle aufstellen, auf geht’s!"
"Für viele ist es überhaupt nicht selbstverständlich, sich überhaupt in so einem Rahmen zu bewegen. Wir haben auch viele Kinder dabei, wo ich sage, ok, Bewegungserfahrung in der zweiten oder dritten Klasse von 'nem Dreijährigen. Wenn's dann darum geht, ok, lauf mal, so schnell du kannst, oder lauf mal da Slalom…Ja… hat man das Gefühl… die hätten vorher was getrunken."

Aufwand zahlt sich aus

Wenn Mark Sauerborn sieht, wie sich Kondition und Koordination mit jedem Training verbessern, wenn er sieht, wie viel Freude den Kindern das Training macht – dann weiß er: Der Aufwand, die Kinder zum Training abzuholen, sie immer wieder zu motivieren und zu bestärken, er zahlt sich aus:
"Ist natürlich klar, ist ein großer Aufwand, aber es ist ein Aufwand, der sich lohnt. Also, wenn ich jetzt hier auf den Fußballplatz schaue und es sind 30 Kinder da oder sogar noch mehr, dann weiß ich, es lohnt sich. Bei uns ist eigentlich nie so, dass ein Training ausfallen muss, weil zu wenig Kinder da sind. Es ist eher immer ein bisschen zu viel."
Und weil durch die Flüchtlingskrise noch mehr Kinder gekommen sind, hat die Politik die Mittel für das Programm Integration durch Sport deutlich aufgestockt – von 500.000 auf drei Millionen Euro.
Früher war Hussein Al-Abadi eines der Kinder, die zu Mark Sauerborn ins Training kamen. Heute steht der junge Mann als Trainer auf dem Platz. Als er 13 war, floh er vor dem Irakkrieg nach Deutschland:
"Bin dann hierher gekommen, ham wir das erste Mal auf so nem Rasen gespielt, ansonsten immer auf Straßenfußball, und hier Rasen. Und irgendwann gewöhnt man sich dran, dass es immer so schön ist, und dann übernimmt man auch die Kinder, die kleinen Kinder, selber was beibringen, das macht auch Riesenspaß."
Hussein Al-Abadi ist in der deutschen Gesellschaft angekommen: Er hat den Schulabschluss gemacht, eine Dachdeckerlehre, arbeitet als Geselle in seinem Lehrbetrieb, hat Freunde mit deutschen und mit ausländischen Wurzeln.
Hätte er das auch ohne die Hilfe von Mark Sauerborn und Integration durch Sport geschafft? Auf diese Frage gibt Hussein Al-Abadi eine klare Antwort:
"Ich glaub nicht. Nee, glaub nicht. Nein."
Helen Hinkes-Gepo steht mit ihrem Hund am Rand des Fußballplatzes und schaut beim Training zu. Sie betreut ein Flüchtlingsheim in Erlangen. Als sie mit dieser ehrenamtlichen Arbeit anfing, fiel ihr Mark Sauerborn ein, der ehemalige Trainer ihres Sohnes. Sie rief ihn an und bat um seine Hilfe. Schnell und unbürokratisch organisierten sie zusammen ein erstes Sportangebot für die Kinder in dem Flüchtlingsheim.
"Das ist für die wie ein Stück Familie geworden. Drei Monate macht der Mark das glaub ich jetzt, und ich find das gut, dass er sie auch noch abholt, weil es ist schon immer wieder ein Aufbruch. Die sind, manche von denen, schon zum vierten Mal innerhalb von Erlangen umgezogen."
Auch Helen Hinkes-Gepo kann gut nachvollziehen, wie sich die Flüchtlingskinder fühlen. Wie gut es ihnen tut, zum Training kommen zu dürfen. 2001 kam die Frau aus Eritrea als Flüchtling nach Deutschland. Kaum zu glauben, denn die 39-Jährige mit den schönen, ebenmäßigen Gesichtszügen und der modischen grünen Beanie-Mütze auf dem krausen Haar spricht Deutsch fast ohne Akzent.
Erlangen ist jetzt ihre Heimat. Hier wohnt sie mit ihrem deutschen Mann und ihren drei Söhnen. Doch wie es damals war, als sie in das ihr fremde Land kam, das hat Helen Hinkes-Gepo nicht vergessen:
"Was ich ganz, ganz wichtig finde bei dieser ganzen Integrationsgeschichte: Diese Menschen, egal ob sie nach Hause wieder zurückgehen, die positiven Erfahrungen, die sie hier mitnehmen, auch wenn man sie einfach nur zum Sportverein begleitet, das ist das, was bleibt. Nach 30 Jahren weiß ich tatsächlich noch, wer mir die ersten Monate geholfen hat oder wer mich in irgendeiner Form ermuntert hat, wo es nicht so ganz einfach war. Das ist eine Lebensprägung, ich find das ganz, ganz wichtig."

Mehr Jungen als Mädchen

Und zwar nicht nur wichtig für Jungs, sondern auch für Mädchen. Manche Familien lehnen es ab, ihre Mädchen zum Sport zu schicken – egal ob zum Fußball oder zu anderen Sportangeboten, so die Erfahrung von Helen Hinkes-Gepo:
"Bei den Mädchen habe ich immer noch das Gefühl, dass es nicht ganz ok ist, wenn Mädchen mitgehen zu diesem Fußball. Das ist nichts für Mädchen. Es sind mehr Mädchen im Camp, die jetzt dabei sein könnten, aber die Mütter erlauben das einfach nicht."
Ähnliche Erfahrungen haben die Organisatoren des Bunten Sports Roth auch gemacht. Zu den offenen Sporttreffs kommen meist mehr Jungen als Mädchen.
Auch beim offenen Sporttreff für erwachsene Flüchtlinge sind nur Männer gekommen. Hier treffe ich Hussam Al-Shalash aus dem Irak wieder – nicht als Trainer, sondern als Teilnehmer. Zusammen mit einem Dutzend junger Männer spielt er Fußball in der Halle. Sein Mitspieler Achmed Haibe-Ali aus Somalia ist 2014 aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland geflohen:
"Ja, immer da, jeden Dienstag. Jeden Dienstag wir spielen hier. Wir machen trainieren. Wir sind Freunde. Ich bin Schüler. Fußballspielen ist mein Hobby."
Für viele der jungen Männer ist die eine Stunde Fußball der Höhepunkt der Woche, erzählt der Initiator des Bunten Sports, Andreas Dobler.
"Sport hat einmal den Effekt, dass die sich körperlich bewegen können und auch einfach mal… die haben ja viele schlimme Dinge erlebt, einfach mal ein paar positive Sachen erleben und mit sich selber ein paar positive Erfahrungen machen. Zum anderen ist eigentlich alles gut, was ihnen in ihrem unstrukturierten Tagesablauf Struktur gibt. Jeder Deutschkurs ist wertvoll, jedes Training, wo sie hinmüssen, ist wertvoll."
Wertvoll ist das Training aber nicht nur, weil es Struktur gibt. Sport und Bewegung kann sogar dabei helfen, Traumata zu überwinden. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen sind durch das, was sie in ihren Heimatländern erlebt haben, traumatisiert. Andreas Dobler weiß von einem der Teilnehmer, dass er unter Depressionen, Schlaflosigkeit und heftigen Alpträumen leidet.
Schwere Gewalterfahrungen hinterlassen aber auch Spuren im Körper – etwa als Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems oder des Nervensystems. Helmut Rießbeck aus Schwabach ist Arzt, Psychotherapeut und Traumaspezialist.
"Der hohe Spannungszustand erklärt auch, dass Menschen sehr schnell in elementare Handlungsweisen verfallen, ein Teil heftiger aggressiver Verhaltensweisen oder plötzlicher irrationaler Verhaltensweisen, wie Davonlaufen oder plötzlich wie eingefroren zu sein, erklärt sich aus dieser Stress-Regulationsproblematik. Die Reaktionen in posttraumatischem Zusammenhang können so verheerend sein, dass sich Menschen selbst als verrückt empfinden."

Feste Strukturen helfen bei Traumata-Verarbeitung

Menschen mit einem Trauma haben erlebt, dass bei ihnen Grenzen überschritten wurden. Wenn sie sich dann in eine Struktur einfügen, in einem Sportverein feste Regeln befolgen müssen, dann empfinden sie das als wohltuend.
"Für Erwachsene ist das noch wesentlicher als für Kinder, organisiert Sport zu betreiben, weil Kinder Gott sei Dank, wenn sie nicht völlig krank sind, ein hohes Maß an natürlichem Bewegungsdrang haben und dann einfach ihrer Altersgruppe folgen und auf die Weise viel Spontanes entsteht, was bei Erwachsenen eben leider nicht der Fall ist."
Sport und Bewegung schätzt Traumaspezialist Rießbeck für Menschen mit einem Trauma als mindestens ebenso wichtig ein wie eine spezielle Therapie, wenn nicht sogar als wichtiger. Und: eine Therapie funktioniert nur, wenn die Patienten sich auch körperlich anstrengen:
"Manche Menschen begreifen das spontan, zum Beispiel die Securityleute in den Lagern fangen an, dort einen Ball auszupacken und mit denen Ball zu spielen. Tut allen gut, baut Vorbehalte ab, und sie spüren das offenbar, das ist sinnvoll und natürlich und passend. Viele Entwicklungshilfeprojekte früher bei traumatisch Erschütterten, ich weiß es von Ruanda, haben Fußballmannschaft gefördert. Hat der Deutsche Entwicklungsdienst damals gemacht. Völlig sinnig."
"Ah, Jamal, Servus. Servus"
Zurück beim Bunten Sport in Roth. Christian Heinz, erst 27 Jahre alt, aber trotzdem schon Trainer der 2. Fußball-Herrenmannschaft beim SV Pfaffenhofen, begrüßt einen seiner neuen Spieler, einen Flüchtling aus der Gemeinschaftsunterkunft in dem Rother Stadtteil.
Vor ein paar Monaten hat das Team Zuwachs bekommen. Einige Flüchtlinge schauten häufiger beim Training zu und fragten irgendwann, ob sie mitmachen dürfen.
"Dann hat man den Kontakt auf Englisch gesucht und hat die mal ein halbes Jahr mittrainieren lassen, bis wir dann mal drauf gekommen sind, du, so schlecht sind die ja gar nicht. Die machen sich gut, wirklich, fußballerisch ordentlich, Anfang 20, was Besseres hätte uns gar nicht passieren können."
Die Mannschaft freute sich über die neuen Mitspieler und unterstützte sie, wo es nur ging. Als die Flüchtlinge mit Sommerhosen und Straßenschuhen zum Training kamen, spendeten Vereinsmitglieder gebrauchte Sportkleidung und Fußballschuhe. Weil die Verständigung auf dem Platz schwierig war, erteilten Mannschaftskameraden Deutschunterricht.
Die neuen Mitbürger wurden freundlich in Pfaffenhofen aufgenommen – obwohl es in den 1990er Jahren, als schon einmal Flüchtlinge im Ort untergebracht worden waren, Spannungen gab, erinnert sich Heiner Zwingel, der Vorsitzende des SV Pfaffenhofen:
"Da hatten wir hier jugoslawische Asylanten, und da gab es auch zwischenmenschliche Probleme. Da waren dann so… ja, die Bevölkerung nicht grad positiv gestimmt, und da gab's auch immer wieder mal Vorfälle. Das war jetzt ganz anders. Jetzt war es so, dass die wirklich mit offenen Armen aufgenommen wurden und es gab auch bisher nie einen Vorfall in Pfaffenhofen, wo man sagen müsste, äh, da hat's Probleme gegeben."

Umgang ist geprägt von Wohlwollen

Im Gegenteil. Der Umgang zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ist geprägt von Wohlwollen – auf beiden Seiten. Diese Erfahrung hat Fußballtrainer Christian Heinz schon häufiger gemacht. Im Rahmen des Bunten Sports bietet er in der Turnhalle der Grundschule Pfaffenhofen einen offenen Sporttreff für Flüchtlingskinder an. Um dafür Werbung zu machen, ging er mit seiner Co-Trainerin in der Flüchtlingsunterkunft von Tür zu Tür:
"Und da ist es automatisch, dass man, wenn man bei denen bei der Tür klopft und sagt: Hallo, wir sind vom Sportverein, möchten Ihre Kinder bei uns Sport machen, dass man dann eingeladen wird auf ne Tasse Kaffee und sich dann zwei, drei Worte miteinander unterhält, ja, da findet einfach auch ein Austausch statt, was dann wir als Ehrenamtliche auch für uns mitnehmen können. Dass es net nur so ist, dass wir geben, das Angebot, unsere Zeit und unsere Freundschaft, sondern dass wir auch was zurückbekommen."
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