Himmlisches Wohnambiente

26.12.2012
In seinem aktuellen Bildband hat der Architekturautor Philip Jodidio 50 der spektakulärsten Baumhäuser der Welt porträtiert - vom einfachen Kinderspielhaus über Wochenendrefugien und Liebesnester bis hin zu Feriendomizilen. Und sogar Kirchen gibt es in höheren Sphären.
Schwindelfrei zu sein, wäre von Vorteil, Höhenangst denkbar ungeeignet. Immerhin gilt es, ein abenteuerliches System aus Brücken und Terrassen zu begehen, um schließlich über eine steile Hängetreppe in luftige Höhen zum Canopy Tree House zu gelangen. Genau 27 Meter über der Erde ruht die kleine Hotel-Lodge in einer Baumgabelung - inmitten eines Naturschutzgebietes im peruanischen Regenwald. Als Holzkonstruktion mit Reetdach und rundum laufenden Fenstern bietet sie nicht nur außergewöhnliche Einblicke in ein einmaliges Ökosystem, sondern passt sich auch hervorragend in ihre Umgebung ein.

Tatsächlich gehört das Canopy Tree House zu den spektakulärsten Baumhäusern der Welt. Philip Jodidio bezeichnet es gar als "Märchenschloss, das in den Himmel wächst". Insgesamt 50 solcher Fairy Tale Castles in the Air hat der studierte Kunsthistoriker und Architekturautor jetzt in einem herausragend schönen Bildband versammelt. Er zeigt Baumhäuser aus aller Welt - vom einfachen Kindespielhaus, über Wochenendrefugien, Liebesnester (!) und Meditations-Plattformen bis hin zu Feriendomizilen. Und sogar Kirchen gibt es in höheren Sphären.

Jedem Haus widmet Jodidio mehrere Seiten. Während ein kurzer Begleittext Funktion, Ort und Bauweise erläutert, porträtieren die Fotografien Innen und Außen der Realität gewordenen Träume der einzelnen Bauherren. Nicht wenige wurden von renommierten Architekten umgesetzt.

Manche sind direkt der Natur nachempfunden. Etwa eine durchweg aus Fund- und Altholz gebaute elf Quadratmeter große Hütte, die sich wie ein Schwalbennest an eine Gruppe von Eichen inmitten eines Steilhanges schmiegt und einen atemberaubenden Ausblick bietet (New Mexico). Andere setzen auf ungewöhnliche Optik und aufwändige Konstruktionen und Materialien. Als sei es von dem legendären Architekten Buckminster Fuller persönlich entworfen, wirkt beispielsweise ein zeltartiges kuppelförmiges Gebilde aus recyceltem Plastik, das - weithin sichtbar - direkt in eine Baumkrone hinein verspannt wurde (San Diego). Fast unsichtbar dagegen schwebt der komplett verspiegelte und dadurch seine Umgebung vollständig reflektierende Aluminium-Kubus der Designer Tham & Videgård zwischen einzelnen Baumstämmen (Schweden).

Ob als Solitär, Reihenhaus oder auf mehreren Ebenen im Verbund gebaut: Alle der hier abgebildeten Baumhäuser sind Unikate. Sie hängen, ruhen auf Stützen oder lehnen am Baum, sie schweben knapp über der Erde oder thronen bald im Wipfel, sie messen zwei Quadratmeter oder fast 40, sie sind spartanisch oder mit Plasmafernseher und Whirlpool bestückt. Die Bandbreite und der Ideenreichtum, die Philip Jodido präsentiert, sind begeisternd.

Doch gelingt dem Autor noch mehr. In seinem Vorwort versteht er den Zauber des Baumhauses als Sehnsuchts- und Zufluchtsort einzufangen und bis in die Antike zurück zu verfolgen. Immerhin feierte schon Caligula seine Feste im Geäst, und von Cosimo I. de' Medicis Baumhaus schwärmte sogar Vasari. Illustre Gesellschaft also für Bauherren und Leser und ein schlichtweg herrliches Buch.

Besprochen von Eva Hepper

Philip Jodidio: Tree Houses. Fairy Tale Castles in the Air.
Übersetzt von Kristina Brigitta Köper
Taschen Verlag, Köln 2012
352 Seiten, 49,99 Euro