Hieronymus Bosch-Jahr

Der Schöpfer der Teufel

"Die sieben Todsünden" von Hieronymus Bosch
"Die sieben Todsünden" von Hieronymus Bosch © dpa / pa / Moya
Michael Philipp im Gespräch mit Ute Welty · 13.02.2016
500 Jahre nach seinem Tod sind die Bilder des Malers Hieronymus Bosch für eine spektakuläre Ausstellung in seine Heimatstadt 's-Hertogenbosch zurückgekehrt. Die von ihm gemalten Ungeheuer seien Fantasiewesen, die aussehen als könnten sie leben, sagt Kunstexperte Michael Philipp.
Michael Philipp, Kurator des 'Bucerius Kunst Forums', hat den niederländischen Maler Hieronymus Bosch anlässlich dessen 500. Todesjahres für seine universale Wirkung gewürdigt.
Das Interessante an der Bilderwelt des mittelalterlichen Malers sei, "dass er den Menschen als Menschen ganz unmittelbar anspricht", sagte Philipp im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Eröffnung der großen Werkschau "Jheronimus Bosch - Visionen eines Genies" im Het Noordbrabants Museum der niederländischen Stadt 's-Hertogenbosch, die den Höhepunkt des Gedenkjahres zum 500. Todestages des Malers bildet.
"Ungeheure phantastische Kombinatorik"
Seine phantastischen Darstellungen von zum Teil nie dagewesenen Mischwesen wie Kopffüßlern und anderer Monster etwa im Weltgerichtstriptychon 'Das jüngste Gericht' zeigten die "ungeheure phantastische Kombinatorik" des Künstlers. Die Wirkung beruhe darauf, dass diese Wesen als funktionierend wahrgenommen würden: "Die sind ja ganz plausibel zusammengesetzt aus Schnäbel, Krallen, Flügeln, Federn und man könnte sich vorstellen, wenn man vor diesen Monstern sieht, die könnten leben, die könnten funktionieren. Und das ist das, was so eine besonders unheimliche Note in diese Darstellungen gibt", so der Experte für niederländischen Malerei, der gerade für das Bucerius Kunst Forum in Hamburg eine Ausstellung mit dem Titel "Verekehrte Welt, das Jahrhundert von Hieronymus Bosch" vorbereitet, die im Juni eröffnet.
"Keineswegs ein Splattermovie"
Boschs Bildsprache und Motive der Schrecken der Hölle spiegeln die damalige Auffassung von Religion und Jenseitsglaube wider, erklärte Philip weiter. So seien die Höllenszenarien und Monster in die Vorstellung des jüngsten Gerichts eingebunden. Sie gehörten insofern in den kirchlichen Zusammenhang, "es ist also keineswegs ein Splattermovie", erklärte Philipp weiter. Bosch habe auch aus christlichen Text- und Bildquellen mittelalterlicher Handschriften geschöpft. Seine Werke seien zu seinen Lebzeiten teilweise öffentlich in Kathedralen und Kapellen zu sehen gewesen. Zu den Auftraggebern und Käufern zählten daneben auch Fürsten, wie Philipp der Schöne, Herzog von Burgund. "Er ist bereits zu Lebzeiten ein Maler gewesen, dessen Werke höchste Adelskreise gerne in ihre Sammlung einverleibt haben." Auch durch Besucher der Sammlungen habe sich sein Ruf verbreitet. Die phantasiedurchwirkte Bildsprache des Künstlers verdanke sich auch einem "gewissen Schaubedürfnis" der Zeit um 1500. "Man hat die Welt auch in der Kunst neu wahrgenommen und man hatte einen anderen Begriff für Gegenstände und das floss in die Bilder ein und führte dazu, dass Bosch diese Höllen so reichlich ausgestattet hat." Das Œuvre von Hieronymus Bosch habe sofort nach seinem Tod viele Nachahmer gefunden, auch "weil diese Bilder so begehrt waren."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Himmel, Hexen und Heilige, das ist das Werk des Hieronymus Bosch. Auch 500 Jahre nach dem Tod des niederländischen Malers hat diese Welt nichts von ihrer Faszination eingebüßt, und sie gibt immer noch Rätsel auf. In Boschs Heimatstadt 's-Hertogenbosch kann man ab heute mit leichtem oder auch mit starkem Grusel seinen Tag zwischen Monstern und Fabelwesen verbringen, denn wird heute eine große Bosch-Ausstellung eröffnet. Wir haben darüber schon hier in Deutschlandradio Kultur berichte. Und auch in Deutschland, in Hamburg wird eine Ausstellung im Gedenkjahr vorbereitet, denn vor 500 Jahren ist Bosch gestorben, und diese Ausstellung findet statt am Bucerius-Kunstforum, kuratiert von Michael Philipp. Guten Morgen, Herr Philipp!
Michael Philipp: Guten Morgen!
Welty: Worauf kommt es an, wenn man 500 Jahre nach dem Tod von Hieronymus Bosch den Künstler heute präsentiert? Wie sehr ist das Risiko gegeben, doch ein museales Splattermovie in die Räume zu bringen?
Philipp: Das Interessante an Hieronymus Bosch und an der Bildwelt, die er hervorgebracht hat und die auch viele Nachfolger und Nachahmer gefunden hat, ist ja, dass es den Menschen als Menschen ganz unmittelbar anspricht und es keineswegs eine verstaubte Alte-Meister-Schau ist, wenn man das präsentiert. Und zugleich sind aber die Darstellungen, die er gefunden hat für grausame Sachen, für die Peinigung der Sünder in der Hölle, diese Darstellungen sind immer eingebunden in eine eigene Welt, sodass es also keineswegs ein Splattermovie ist, in diesen Höllen-Szenerien sich zu bewegen.
Welty: Wobei die Bilder, Sie haben es gerade schon gesagt, sind grausam, oft brutal. Wer hat sich das vor 500 Jahren gekauft und an die Wand gehängt?
"Ein Maler, den auch höchste Adelskreise gern in ihre Sammlung einverleibt haben"
Philipp: Die Werke von Bosch waren zum Teil bestimmt für Kirchen, für Kapellen, sie dienten dem Gottesdienst und der Andacht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Hölle ein Teil des mittelalterlichen Weltbildes war, das war das, was dem Sündern nach dem Tod bevorstand. Und viele Schilderungen von Bosch sind eingebunden in eine kosmische Vorstellung des jüngsten Gerichts am letzten Tag der Erde, der Welt wird also der Herr richten, und dann kommen die Sünder in die Hölle. Und insofern gehörte das durchaus in den kirchlichen Zusammenhang. Aber es gibt auch viele Beispiele von den Fürsten. Philipp der Schöne hat direkt bei Bosch ein Jüngstes Gericht bestellt. Das heißt also, schon zu Lebzeiten war Bosch ein Maler, den sich auch die höchsten Adelskreise gern in ihre Sammlung einverleibt haben.
Welty: Für das Jüngste Gericht, das sich heute in Wien befindet, hat Bosch den Kopffüßler erfunden, ein Wesen, dass eben nur aus Kopf und Füßen besteht und dass es vorher so noch nicht gegeben hat. Da fragt man sich ja schon ein bisschen, welche Drogen hat der Mann genommen, und ob man davon wirklich was abhaben will.
Darstellungen von Fantasiewesen "mit einer ungeheuren fantastischen Kombinatorik"
Philipp: Ein Teil der Vorlagen von Bosch oder der Motive von Bosch hat er tatsächlich Vorgängern entnehmen können in den illuminierten Handschriften des Mittelalters. Da gab es ab und zu so kleine Fantasiewesen, die am Rande eine Rolle spielten. Und solche Motive hat er genommen, aber sehr, sehr viel auch selbst erfunden und mit einer ungeheuren fantastischen Kombinatorik in seine Welt oder in seine Hölle gesetzt. Und das Interessante an seinen Fantasiemonstern ist ja, dass sie ganz plausibel zusammengesetzt sind aus Schnäbeln, Krallen, Flügeln, Federn. Und man könnte sich vorstellen, wenn man diese Tierchen sieht oder diese Monster sieht, die könnten leben, die könnten funktionieren. Und das ist das, was so eine besonders unheimliche Note in diese Darstellungen gibt, weil es nicht so aussieht wie irgendein völlig erfundenes, theoretisches Gebilde, sondern das ist ein kleines Monster, das tatsächlich leben kann.
Welty: Trotzdem bleibt ja immer noch so ein bisschen unklar, warum er eben so gemalt hat, wie er gemalt hat und warum er sich auf diese Sujets spezialisiert hat.
In der Zeit um 1500 gab es ein gewisses Schaubedürfnis
Philipp: Nun muss man natürlich sagen, dass diese Höllenszenen und diese Monster und diese Versuchungsszenen – der arme Heilige Antonius wird also ganz furchtbar gequält von verschiedenen Monstern –, das ist ein Teil von Boschs Werk. Daneben hat er auch viele Bilder gemalt, die ganz konventionelle Themen – die Kreuztragung, Ecce Homo – betreffen. Tatsächlich ist er aber berühmt für diese Höllenszenen. Und warum hat er das so gemalt? Sicherlich in der Zeit um 1500 gab es ein gewisses Schaubedürfnis, gab es ein gewisses Interesse daran. Man hat die Welt auch in der Kunst erstmals, also die Umgebung, das hat man neu wahrgenommen, anders wahrgenommen, und man hatte einen anderen Begriff für Gegenstände, für die Umgebung, und das floss mit in diese Bilder ein, und das führte dazu, dass Bosch diese Höllen so reichlich ausgestattet hat.
Welty: Bosch hat kein großes Oeuvre hinterlassen, aber einen großen Einfluss gehabt auf die Künstler nach ihm. Über welche Kanäle hat sich die Kunde von diesen seltsamen Bildern verbreitet? Was war der Tweet des 16. Jahrhunderts?
Boschs Werke waren öffentlich zugänglich oder in höfischen Sammlungen zu sehen
Philipp: Die Werke waren zum Teil öffentlich zugänglich, sofern sie in Kirchen und Kapellen waren. Sie waren in fürstlichen oder adeligen Sammlungen, und da gab es Reisende, die darüber berichtet haben. Und schon kurz nach dem Tod von Bosch, in den 1520er-Jahren ist eine ganze Mode entstanden von – heute bezeichnet man es als den Typus der nächtlichen Brandlandschaft, wo also Weltuntergänge sind, wo Teufel auftreten, wo Jenseits-Visionen dargestellt sind. Überall brennt es, überall gibt es Monster, überall leiden die armen Sünder. Das war eine gewisse Mode im 16. Jahrhundert in Flandern vor allem, in Antwerpen. Das wurde dann das Zentrum. Und es hat viele Künstler gegeben, die in der Manier von Bosch malten, zum Teil auch seine Signatur verwendet haben, weil diese Bilder so begehrt waren.
Welty: Michael Philipp kuratiert die Bosch-Ausstellung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, die am 4. Juni beginnt. Bis dahin ist wahrscheinlich noch viel zu tun, deswegen einen Extra-Dank dafür, dass Sie sich Zeit genommen haben für dieses "Studio 9"-Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Philipp: Sehr gern!
Welty: Und wir haben heute über Hieronymus Bosch gesprochen, weil ab heute in Boschs Heimatstadt 's-Hertogenbosch die große niederländische Ausstellung im Gedenkjahr eröffnet wird, denn vor 500 Jahren ist Bosch in 's-Hertogenbosch gestorben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema