Hier wurden Sie bedient …

Von Uwe Bork · 04.02.2008
Vielleicht geht es Ihnen ja so wie mir: Wenn Sie Pech haben, heißt das. Denn dann sind Ihnen - ebenso wie mir - die berühmten zwei linken Hände gewachsen, und diese anatomische Anomalität prädestiniert Sie mittlerweile förmlich für einen Stammplatz auf der gesellschaftlichen Verliererseite.
Der könnte für Sie im Übrigen auch dann reserviert sein, wenn Sie nicht mit interaktiven Computerprogrammen der neuesten Generation und jenen hypersensiblen "Touchscreens" umgehen können, die selbst den bloßen Hauch einer Berührung sofort in einen barschen Befehl für ihre Schaltkreise umsetzen. Die dauernde Devise in unseren Breiten und in allen Bereichen scheint inzwischen zu lauten: 'Selbst ist der Mann!' Oder - Seien wir politisch korrekt! - die Frau.

Egal, ob es darum geht, Möbel mit pseudoschwedischen Namen zusammenzuschrauben, Wasser-, Strom- oder Gaszähler abzulesen, Altglas und Altpapier in zentralen Containern zu entsorgen oder Tickets für den täglichen Trip zur Arbeit wie den jährlichen Flug in die Sonne zu buchen: Wer nicht willens oder fähig ist, selbst seine Hand anzulegen und seinen Kopf einzusetzen, hat schon verloren!

Von wegen 'Dienstleistungsgesellschaft'! Die modernen Gesellschaften industrieller oder gar post-industrieller Prägung scheinen sich immer schneller auf das Niveau von Do-it-yourself-Kommunen längst vergangener Pioniertage zurückzuentwickeln. Galt es bis in die jüngste Vergangenheit noch als ausgemacht, dass primärer und sekundärer Sektor fortgeschrittener Volkswirtschaften, also Landwirtschaft und Industrieproduktion, zugunsten des tertiären Sektors - sprich: Dienstleitung, Service und Beratung - schrittweise an Bedeutung verlieren würden, so scheint der simple Augenschein unseres Alltags inzwischen massiv gegen diese These zu sprechen.

Immer mehr Behörden, Banken und Betriebe versuchen uns mit der Zusage zu ködern, mit dem Klicken durch komplizierte Computermenus werde weniger Zeit vertan als mit dem Warten vor irgendwelchen Bürokratentresen, der Dialog mit einem Fahrkartenautomaten verheiße Verständnis wie ein Seelsorgegespräch mit dem Gemeindepfarrer und der Aufbau eines Bücherregals vermittle einen ähnlichen Kick wie eine Wanderung durch das Amazonasdelta.
Lassen wir einmal dahingestellt, wie viel Substanz diese Versprechungen wirklich besitzen. Nachdenklich machen muss anderes.

Der katholische Theologe und Philosoph Ivan Illich prägte einst das Wort von der 'zeitraubenden Beschleunigung'. Er selbst bezog es vorrangig auf die Rolle moderner Verkehrssysteme, die nur dann mehr Tempo versprechen, wenn man außer Acht lässt, wie viel gesellschaftliche Arbeitszeit in ihren Bau und in ihren Unterhalt fließt. 'Zeitraubende Beschleunigung' ist aber auch das, was der Gesellschaft die von ihren Mitgliedern immer häufiger verlangte Eigenarbeit eingebracht hat.

Was wir beispielsweise auf der einen Seite beim Einkauf in riesigen Cash-and-Carry-Märkten an Zeit gewinnen, drohen wir auf der anderen Seite durch fehlenden Service und gestrichene Hilfsangebote wieder zu verlieren. Wer einmal versucht hat, einen billigst erworbenen Videorecorder an einen Fernsehen anzuschließen und ihn dann womöglich anhand einer wörtlich aus dem Hochjapanischen übersetzten Gebrauchsanleitung auch noch zu programmieren, weiß, wovon ich spreche.

Und noch etwas: Ökonomisch fällt solche Zeitverwendung unter Zeitverschwendung, denn sie bindet teure Arbeitskraft an Tätigkeiten, für die andere, weit weniger aufwändig erworbene Qualifikationen ausreichend und sinnvoller eingesetzt wären. Es dürfte deshalb darauf ankommen, hier eine unvoreingenommene Diskussion neu zu eröffnen, ob unser Weg der Minimierung von Service- und Dienstleistungsfunktionen wirklich der wirtschaftlichen Weisheit letzter Schluss ist. Dies gilt umso mehr angesichts eines alles andere als leergefegten Arbeitsmarktes.

Günstig stehen die Chancen dafür derzeit allerdings nicht. Solange Durchschnittsverdiener in Deutschland unter realen Einkommensverlusten leiden müssen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als auf fremde – und bezahlte - Hilfe zu verzichten und statt dessen auf die Angebote zurückzugreifen, bei deren Kalkulation von der mittlerweile sprichwörtlich gewordenen Geilheit allen Geizes ausgegangen wurde.

"Hier wurden Sie bedient" mag gegenwärtig allerorten die Devise sein, zukunftsweisend ist sie damit aber noch lange nicht. Jeder muss alles können: Dieser allzu simple Grundsatz hatte sich eigentlich schon in der Steinzeit überholt...


Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.
Uwe Bork
Uwe Bork© privat