Hickel: Neuverschuldung durch Steuersenkungen unvermeidbar

Rudolf Hickel im Gespräch mit Ute Welty · 04.03.2010
Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel warnt die schwarz-gelbe Bundesregierung vor Steuersenkungen. In der aktuellen konjunkturellen Lage sei eine solche Politik falsch.
Ute Welty: Allein der Name verheißt nichts Gutes. In der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses heute geht es ans Eingemachte. Drücken will man die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr auf unter 80 Milliarden Euro, irgendwo müssen also noch mal knapp sechs Milliarden auftauchen, um gleich wieder gestrichen zu werden.

Und dann steht ja noch die große Steuerreform ins Haus, die vor allem die FDP ihren Wählern versprochen hat. Versprochen wird auch, dass sich diese Reform von selbst finanziert, weil sie vor allem das Wachstum ankurbelt. Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist Direktor des Institutes Arbeit und Wirtschaft und sozusagen ein Meister des Kassensturzes. Guten Morgen, Herr Hickel!

Rudolf Hickel: Schönen guten Morgen!

Welty: Was halten Sie von dieser Kombination aus etwas sparen und viel Steuern senken, kann das funktionieren?

Hickel: Also ich bin ganz sicher, dass in der aktuellen konjunkturellen Lage beides falsch ist, nämlich wenn jetzt der Staat dazu übergeht, sprechen wir vom Bund, Ausgabenkürzungen vorzunehmen, dann muss man spiegelbildlich sehen, dann sind das immer Ausfälle für Unternehmen, das Geld wird ja schließlich auch ausgegeben. Das heißt also, in einer Situation, in der das Wirtschaftswachstum noch lange keine Stabilität gewonnen hat, dürfen Ausgabenkürzungen nicht gemacht werden. Das ist übrigens die Lehre auch, wenn man so will, aus der Brüning'schen Politik Ende der Weimarer Republik.

Und das Zweite ist ganz entscheidend, und da werden ja geradezu unverantwortlich Illusionen verbreitet. Auch wir wissen aus der Geschichte, aus vielen Beispielen, dass die sogenannten Selbstfinanzierungseffekte einer Steuersenkungspolitik nicht funktionieren. Ich will es nur mal erklären, wie die Vorstellung ist: Da geht man davon aus, dass man beispielsweise Unternehmenssteuersätze senkt, damit hat man in der ersten Runde natürlich in den öffentlichen Haushalten, übrigens auch bei den Kommunen, Steuerausfälle, und nun hofft man darauf, dass die Steuersenkungen benutzt werden von den Unternehmen, mehr zu investieren, mit mehr Investitionen kommt es zu mehr Wirtschaftswachstum, und am Ende sind die Steuermehreinnahmen aus dem Wirtschaftswachstum größer als die Steuereinnahmen, die verloren gegangen sind durch die Steuersatzsenkung. Das ist der sogenannte Selbstfinanzierungseffekt. Da gibt es für einen, der das auch erfunden haben soll auf einem Bierdeckel, auf der Serviette, für Reagan nämlich Laffer.

Und diese Selbstfinanzierungseffekte, die funktionieren nicht. Und ich sage jetzt schon voraus, dass, wenn es jetzt zu deutlichen Steuersenkungen kommen sollte, dass am Ende dann die Schulden ansteigen werden, weil die Löcher, die in den Haushalten gerissen werden, nicht gestopft werden können.

Welty: Wenn wir diesen begonnenen Ausflug in die finanzpolitische Geschichte noch mal fortsetzen, es ist schon mehrfach - wie gesagt - versucht worden, über Steuersenkungen wirtschaftliche Impulse zu setzen, zum Beispiel eben in den USA unter Reagan Anfang der 80er oder auch nach 2001 unter Schröder in Deutschland, wie würden Sie diese Versuche bewerten und wo lag der Fehler?

Hickel: Also die Reaganomics, wie das ja genannt worden ist, das war eine Zusammensetzung von Reagan zusammen mit macroeconomy, macroeconomic. Reaganomics ist ein wirklich ein ganz dramatisches Beispiel dafür, dass eine riesengroß angelegte Steuersenkungspolitik vor allem über die Einkommenssteuer am Ende die Schulden in den USA weit nach oben getrieben hat. Natürlich sind auch zusätzliche Ausgaben dazugenommen, aber die Reaganomics werden heute auch international vor allem in den USA als Beispiel dafür gewertet, dass eine massive Steuersenkung in dieser Phase, in der wir uns finden, nämlich immer noch in der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, ein Flop ist, am Ende die Schulden nach oben treibt.

Und das zweite Beispiel – wir hatten ja 2000, 2001, 2002 durch die rot-grüne Bundesregierung, damals durch Schröder, vor allem auch zusammen mit Eichel, eine deutliche Senkung der Unternehmenssteuern. Beispielsweise ist der Körperschaftssteuersatz auf 25 Prozent, später dann noch mal auf 15 Prozent gesenkt worden, und man sieht genau, dass dieser Selbstfinanzierungseffekt, der damals schon beschworen worden ist, nicht zustande kam, nämlich es hat massive Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, weil der Staat, weil in dem Fall alle Gebietskörperschaften nicht reagieren konnten mit Ausgabenkürzungen, was ja auch falsch gewesen wäre, sind die Schulden gestiegen.

Es gibt so eine Faustformel, mit der wir das berechnet haben, dass der Schuldenanstieg ab 2001 bis circa 2006 um ein Drittel zurückzuführen ist auf diese Steuersenkungspolitik. Das heißt also, um es mal etwas schnoddrig heute Morgen zu formulieren, die Steuersenkungen waren, was ihre Selbstfinanzierung betrifft, ein Flop. Und insbesondere, und das löst ja auch die hohe Aufmerksamkeit aus bei den Gemeinden, insbesondere sind natürlich auch die Gemeinden, die Kommunen von solchen Steuersenkungen betroffen, und am Ende haben sie einen höheren Schuldenberg. Deshalb ist dies absolut in dieser konjunkturellen Situation, in der Tatsache, dass wir noch keinen stabilen selbst tragenden Aufschwung haben, ist eine solche Steuersenkungspolitik falsch.

Welty: Jetzt sagt ja der jetzige Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU, die expansive Haushaltspolitik werde beendet. Ist das Ihrer Meinung nach wenigstens ein Anfang?

Hickel: Also ich würde es mal so formulieren: Ich fand die Bundesregierung recht gut beraten, zu sagen in der Planung, es gibt ja immer noch die Jahresplanung für den Bundeshaushalt im laufenden Jahr 2010, ungefähr 86 Milliarden, Sie haben es eingangs angesprochen, an Neuverschuldung, die sind gewisser Weise, so bitter und so hart es klingt, unvermeidbar. Warum? Davon sind ungefähr 40 Milliarden allein krisenbedingte Steuerausfälle. Die sind einfach dadurch zustande gekommen, dass die Wirtschaft im letzten Jahr so brutal abgestürzt ist.

Ein anderer Teil des Schuldenanstiegs ist darauf zurückzuführen, dass krisenbedingt die Krisenausgaben gestiegen sind, beispielsweise erhöhte Zuweisungen an die Bundesanstalt für Arbeit. Und in der Situation, in der wir sind, muss man diese krisenbedingten Defizite hinnehmen, aber vor allem mit einem Ziel – und dann macht Ihre Frage ganz, ganz viel Sinn –, nämlich vor allem mit dem Ziel, Wirtschaftswachstum zu stärken, ist noch lange nicht der Fall, wir haben noch lange keinen selbsttragenden Aufschwung, um dann, wenn wir einigermaßen wieder Fuß gefasst haben mit der wirtschaftlichen Entwicklung, um dann aber schleunigst dranzugehen, die Neuverschuldung abzubauen beziehungsweise zurückzuführen.

Welty: Heute zieht der Haushaltsausschuss den Etat fest für dieses Jahr. Dazu der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel im Deutschlandradio Kultur. Danke fürs Gespräch und einen erfolgreichen Tag wünsche ich Ihnen und unseren Haushältern!

Hickel: Schönen guten Tag für heute Morgen!
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