Herrscher auf dem Hügel

Von Wolfgang Schreiber · 30.08.2009
Über 40 Jahre leitete Wolfgang Wagner, der Enkel Richards, die Bayreuther Festspiele. Unter seiner Ägide entstanden rund 90 Inszenierungen. Dennoch hatte er manchmal schwer zu kämpfen mit dem Familienunternehmen auf dem Grünen Hügel.
Wolfgang Wagner, der Enkel Richards, der Bayreuther Festspielleiter, er war nie ein Rastloser der Meere wie der Fliegende Holländer, immer der ruhende Pol des Festivals. "Kinder! Macht Neues!" hatte Großvater Richard gefordert. Für Wolfgang Wagner aber ging es um einen Spagat - zwischen Erneuerung und Bewahrung des Erbes, zwischen Kunst und Festspielgeschäft. Wolfgang Wagner trug zeitweise schwer an dieser fast erdrückenden Aufgabe.

"Die Zeiten, wie meine Großmutter nach 20-jähriger Pause zum ersten Mal den Ring hier wieder in einer Neuinszenierung brachte, dass damals Hans Richter, Mottl und mein Vater jeweils einen Ring dirigierten, das ist heute an sich undenkbar. Das kommt wohl daher, weil also auch die Individualisation bei der Auffassung doch so stark ausgebildet ist - damals war sicher eine wesentlich einheitlichere Interpretationsform, von der musikalischen Seite her, wie heute."

Auf dem Grünen Hügel, so der literarische Bayreuthpilger Hans Mayer vor Jahren, sei "die Verwandlung einstiger Gralspilgerschaft in eine exquisite Form der Sommerunterhaltung" längst vollzogen. Wolfgang Wagner wird am 30. August 1919 in Bayreuth geboren, seine Jugend fällt ins Dritte Reich, eine schwere Hypothek. Als Großmutter Cosima stirbt, die Herrin des Hügels, ist Wolfgang elf - in Bayreuth herrschen die Hitlerbewunderung seiner Mutter Winifred und der Antisemitismus des Rasse-Ideologen Chamberlain. "Onkel Wolf" wird Hitler von den beiden Wagner-Enkeln genannt. Wolfgang geht zur Theaterausbildung nach Berlin, er arbeitet als Regieassistent an der Staatsoper. Im Krieg wird die Villa Wahnfried in Bayreuth zerstört, erst 1951 eröffnen Wolfgang und seine Bruder Wieland neu die Festspiele, ästhetische "Entrümpelung" heißt die Devise. Statt Naturalismus dominiert Abstraktion. Nach dem Tod von Wieland, dem Regisseur und Kopf der Erneuerung, ist Wolfgang Wagner Alleinherrscher der Festspiele. 1973 bringt er das Familienunternehmen in eine Stiftung ein, sichert Status und Kontinuität.

"Ich muss ja meinerseits vor allen Dingen darauf bedacht sein, auch in der künstlerischen Kontinuität Künftiges jetzt so vorzubereiten, dass diese Kontinuität nicht abgerissen wird."

Wolfgang Wagners eigene Inszenierungen garantieren handwerklich souveräne Aufführungen, allerdings ohne Visionen. Seine große Stunde als Festspiel-Prinzipal schlägt 1972: Er öffnet sich dem Regie-Theater, lässt Götz Friedrich "Tannhäuser" inszenieren und erträgt die Proteststürme der Traditionalisten.

1976 setzt er eins drauf, den Ring zum Jubiläum der Festspiele übergibt er zwei Franzosen – dem jungen Regisseur Patrice Chereau und dem Dirigenten und Komponisten Pierre Boulez. Bayreuth wird zum Ort stürmischer ästhetischer Debatten. Es folgen Regisseure wie Werner Herzog, Heiner Müller und Christoph Schlingensief, am Pult stehen James Levine, Daniel Barenboim, später Christian Thielemann.

Die Wagner-Sippe, das bedeutet eine deutsche Staatsaffäre über Jahrzehnte, mit Wolfgang Wagner als Protagonisten. Die Erbfolge wird zu seinem dominierenden Thema der späten Jahre. Er heiratet zum zweiten Mal, verstößt den aufmüpfigen Sohn Gottfried sowie Tochter Eva aus erster Ehe. Tochter Katharina wird geboren, und alle Herrschaftsgelüste aus der Familie, zumal von Nichte Nike, werden abgeschmettert. Der Erbstreit eskaliert zeitweise zur öffentlichen Groteske. Als 2007 die zweite Ehefrau stirbt, beginnt sich Wolfgang Wagner zurückzuziehen, versöhnt sich mit Tochter Eva und lässt eine Doppelspitze der Festivalleitung zu: Katharina und Eva. Wolfgang Wagner hat sich 2008 von den Bayreuther Festspielen verabschiedet. Er kann auf seinen Lebenskampf für Richard Wagner gelassen, vielleicht sogar heiter, zurückblicken.