Hermann Sudermann

Soziale Anklage mit Witz und Spannung

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Hermann Sudermann als Schloßherr auf Blankensee
Hermann Sudermann als Schlossherr auf Blankensee © picture alliance/ dpa
Von Eva Pfister · 27.11.2014
Sein Bühnenstück um eine arme Familie aus dem Hinterhaus und eine reiche aus dem Vorderhaus machte den damals 32 Jahre alten Hermann Sudermann mit einem Schlag berühmt: Vor 125 Jahren wurde das Drama "Die Ehre" in Berlin uraufgeführt. Heute allerdings ist der Autor fast vergessen.
"Im Vertrauen gesagt – es gibt gar keine Ehre."
"Und was wir Ehre nennen?"
"Das ist wohl nichts weiter, als der Schatten, den wir werfen, wenn die Sonne der öffentlichen Achtung uns bescheint. Das Schlimmste ist, dass wir so viele verschiedene Sorten von Ehre besitzen, als gesellschaftliche Kreise und Schichten."
Die Frage der Ehre beschäftigte Hermann Sudermann schon früh. In seinen Erinnerungen "Bilder einer Jugend" berichtet er von den Burschenschaften, bei deren Ehrenhändeln auch er während des Studiums in Königsberg mitgemischt hatte. Vor allem schildert er seine tiefe Erschütterung, als er der Obduktion einer Selbstmörderin beiwohnte. Da begriff er, dass wahre Ehre nicht in einer Konvention bestehen kann, die schwangere Mädchen in den Tod treibt, sondern nur in Verantwortungsgefühl.
"Wenn Sie die Ehre aus der Welt zu schaffen belieben, was sollen Ehrenmänner an ihre Stelle setzen?"
"Sehr einfach, junger Mann. Die Pflicht."
Das ist die Botschaft des liberalen Grafen Trast, einer Schlüsselfigur in Hermann Sudermanns Schauspiel "Die Ehre". Es wurde am 27. November 1889 im Berliner Lessingtheater uraufgeführt und machte den 32-jährigen Autor mit einem Schlag berühmt. Auf hundert ausverkaufte Vorstellungen in Berlin folgten Inszenierungen an über 200 Bühnen im In- und Ausland.
Soziale Ungerechtigkeit thematisiert
Das Stück stellt die arme Familie Heinecke aus dem Hinterhaus der Unternehmerfamilie Mühlinck im Vorderhaus gegenüber. Sohn Heinecke hat sich hochgearbeitet. Als er nach über neun Jahren im Ausland nach Berlin zurückkehrt, muss er feststellen, dass seine Schwester von dem jungen Mühlinck verführt wurde und auf die schiefe Bahn geraten ist. Diese Schande will er nicht auf sich sitzen lassen.
"Er war in meinen Händen, Mutter. Er wird mir nicht noch einmal begegnen wollen, wenn er keine klare Antwort zu geben hat. Sonst – Aber du wirst dir nich etwa mit ihm schießen? Junge, vergiss bloß nicht, dass du aus dem Hinterhaus kommst! "
Das Stück thematisiert die sozialen Ungerechtigkeiten im wilhelminischen Kaiserreich und scheint auf eine Tragödie hinzusteuern. Es amüsiert jedoch zugleich durch ausgesprochen humorvolle Szenen und endet mit einem eher unglaubwürdigen, aber zu Herzen gehenden Happy End. Der Kritiker Alfred Kerr war bei der Uraufführung dabei:
"Es war ein namenloser Erfolg. Die Darstellung unterbrach man durch Beifallssalven und durch Lachsalven. Angeregter Lärm ging durch das Haus; nach jedem Akt neigte sich der Verfasser viele Male."
Die Ironie schimmert durch in diesen Erinnerungen, denn Alfred Kerr gehörte zu jenen Kritikern, die Sudermann als oberflächlichen Theatraliker abtaten. Das war eine lebenslängliche Kränkung für den Erfolgsautor, der als Sohn eines armen Bierbrauers im Memelland aufgewachsen war, sich lange hungernd und als Hauslehrer durchschlug und in Berlin zunächst als politischer Journalist Fuß fasste. Die Schauspieler rissen sich um die Rollen in seinen Stücken, seine Romane waren Bestseller, aber die Kritiker warfen ihm Kitsch und Boulevard nach französischer Façon vor und bevorzugten immer seinen Konkurrenten Gerhart Hauptmann. 1902 schlug Hermann Sudermann zurück und holte im Berliner Tageblatt zu einer umfassenden Kritikerschelte aus.
"Was diese ästhetischen Gewalthaber in Hauptmanns Namen gesündigt haben, das wird erst klar, wenn man die Folgen beobachtet, die sich daran knüpfen. ... ‚Unliterarisch' war für die öffentliche Meinung fortan alles, was nicht dem geschlossenen Kreise ihrer Gesinnungsgenossen entstammte. ... Unliterarisch war, was eine blühende Erfindung aufwies. Unliterarisch war der Witz. ... ‚Theatralisch' wiederum war alles, was nicht handlungslos in trübe plätschernden Dialogen von der Bühne auf uns herniederrann."
Doch dieser Rundumschlag hat ihm nicht geholfen, und auch die Nachwelt hat sich gegen ihn gestellt: Heute ist Hermann Sudermann fast vergessen, nur seine litauischen Geschichten werden noch gelesen. Dennoch war es in jenem Jahr 1889 sein Schauspiel "Die Ehre", das dem Publikum die neue Bewegung des Naturalismus nahe brachte. Denn darin federten Witz, Spannung und Sentimentalität die soziale Anklage ab, die trotzdem deutlich genug über die Rampe kam.
"Gut, das ist der Tag der Abrechnung. Machen wir also das Konto klar, das Konto zwischen den Vorder- und Hinterhäusern. Wir arbeiten für euch. Wir geben unsern Schweiß und unser Herzblut für euch hin. Wir gehen arglos in die Fremde, um euren Besitz zu mehren. Derweil verführt ihr unsere Schwestern und Töchter und bezahlt uns unsere Schande mit dem Geld, das wir euch verdient haben. Und das nennt ihr Wohltaten erweisen."