Herbert Heckmann: "Benjamin und seine Väter"

Ein Stadt-Roman, aber wenig historisch

Herbert Heckmann: "Benjamin und seine Väter". Im Hintergrund: eine Straßenszene in den 20er-Jahren.
© imago / Schöffling & Co
Von Jörg Magenau · 07.02.2017
Ab und zu landen Verlage mit Wiederentdeckungen vergessener Romane Publikumserfolge. Nun probiert es Schöffling mit Herbert Heckmanns Geschichte eines Heranwachsenden in der Zeit der Weimarer Republik, erschienen 1962. So richtig lohnend ist diese Neuentdeckung allerdings nicht.
Vergessen geht schnell, und es trifft auch Schriftsteller von einiger Bekanntheit. Herbert Heckmann ist so einer. Als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung von 1984-1996 gehörte er zu den wichtigen Figuren des Literaturbetriebs, eher er 1999 im Alter von nur 69 Jahren starb. Er hinterließ ein Werk, aus dem – neben Erzählungen, Kinderbüchern und ein paar Gedichten – vor allem ein Roman herausragt: "Benjamin und seine Väter".
Das Buch wurde immer mal wieder neu aufgelegt, jetzt ist es beim Verlag Schöffling wiederzuentdecken, der sich mit Autoren wie Rudolf Lorenzen oder Dieter Meichsner schon einen Namen gemacht hat im Marktsegment der Neuauflagen historisch gewordener Stadt-Romane. Beim Ur-Frankfurter Herbert Heckmann passt das für einen Frankfurter Verlag besonders gut, zumal der "Benjamin" in diesem Frühling in der Veranstaltungsreihe "Frankfurt liest ein Buch" mit Lesungen und Spaziergängen zum Stadtereignis werden soll.

Episodische Erzählung über einen Heranwachsenden

Beginnen werden die Exkursionen wohl in der Berger Straße in Bornheim, dem Zentrum des Romangeschehens. Es setzt ein im Jahr 1919, als die junge Kanzleigehilfin Anna ein Kind zur Welt bringt, ohne jedoch einen Vater vorweisen zu können. Ihr Chef, der wohlhabende, dickleibige, gemütvolle Anwalt Fritz Bernoulli nimmt sich der beiden an und wird für den Knaben so etwas wie ein väterlicher Freund. Wenn "bloße Wünsche anstelle des Samens" Vaterschaft ermöglichen würden, dann müsste man sie ihm zweifellos zusprechen. Benjamin wird aber dennoch immer nach seinem wirklichen Vater fragen und suchen.
Heckmann erzählt diese Geschichte episodisch mit viel Liebe für seine Figuren und fürs Detail, Schulhofprügeleien, Geigenunterricht, Schwarzpulverexperimente und – nicht ganz zufällig - die Lektüre des Don Quijote. Ein "heiterer Melancholiker" wurde Heckmann genannt, doch in diesem Schelmenroman, der recht harmlos vor sich hinschnurrt, hat er einige Schockmomente eingebaut. Der Tod der Mutter ist so ein erschütterndes Ereignis. Oder wenn Benjamin zusammen mit einem Freund einen Kater mit Ziegelsteinen erschlägt. Oder der Tag, an dem sein Pflegevater stirbt. Symbol, Symbol: Es ist kurz vor Hitlers Machtergreifung, und die Beerdigung findet am 30. Januar 1933 statt.

Unwissend durch die Zeit

Der Handlungsrahmen ist die Zeit der Weimarer Republik, Heckmann verharrt dabei aber konsequent in der kindlichen Perspektive. Darin mag er sich an der ein paar Jahre zuvor erschienen "Blechtrommel" von Günter Grass orientiert haben. Sein Benjamin ist jedoch gänzlich unwissend und versteht wenig. Die Zeitgeschichte bleibt bloße Staffage. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und schließlich die Machtübernahme Hitlers werden eher aufgezählt als wirklich erzählt. Der Blick auf die Vergangenheit spiegelt weniger die 20er-Jahre wieder, als die 60er. So treten die Nazis als folkloristische Kasperlefiguren auf und nicht als ernstzunehmende Bedrohung. Auch die Stadt Frankfurt bleibt seltsam blass und austauschbar. So ein auch stilistisch biederer Roman kann heute auf dem Buchmarkt allenfalls als so genannte Wiederentdeckung durchgehen. Denn da gelten andere Maßstäbe: Es war einmal. Das kann man immer interessant finden, auch wenn es ästhetisch und politisch wahrlich nicht vom Hocker haut.

Herbert Heckmann: "Benjamin und seine Väter"
Mit einem Nachwort von Peter Härtling.
Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2017, 438 Seiten, 22 Euro

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