Hendrick Goltzius

Kunsthalle Bremen zeigt den Meister der Imitation

Die Kunsthalle Bremen
Die Kunsthalle Bremen © dpa / picture alliance / Ingo Wagner
Von Anette Schneider · 02.12.2014
Der Kupferstecher Hendrick Goltzius galt als Meister im Nachahmen: Er imitierte Künstler wie Albrecht Dürer und Lucas van Leyden. Einige seiner Werke sind nun in der Ausstellung "Virtuos imitiert. Die Meisterstücke des Hendrick Goltzius" zu sehen.
Die Körperlichkeit seiner nackten "Römischen Helden" ist unglaublich. Jeden einzelnen Muskel der Figuren zeigt Hendrick Goltzius: prall und angespannt. Oder das Porträt seines Freundes Dirck Volkertz: Jede Falte sieht man im Gesicht des bärtigen Mannes, jedes Haar, selbst eine kleine Warze auf der Stirn.
Goltzius wurde 1558 in Mulbracht geboren, lernte Kupferstecher, kopierte einige Jahre für Verlage berühmte Kunstwerke - und traf mit 34 Jahren eine geradezu unverschämte Entscheidung: Er brach das Antwerpener Verlagsmonopol. Kuratorin Christien Melzer:
"Er fängt an in Haarlem seine Dinge selbst zu verlegen und zu publizieren, und konzentriert die Arbeit des Zeichners, des Stechers und Verlegers in einer Person, notiert das auch ganz stolz auf seinen Kupferstichen, dass die Stiche also von ihm gefertigt und verlegt worden sind."
Goltzius eröffnete eine eigene Werkstatt und begann, hemmungslos zu experimentieren. Immer neue Ausdrucksformen entwickelte er. Greift man in der Ausstellung zu einer der ausliegenden Lupen und wandert mit ihr z.B. über das Bildnis eines jungen Fahnenträgers, wird eine Stofflichkeit sichtbar, die bis dahin im Kupferstich als unmöglich galt: die seidenen Strümpfe schimmern, die Perlen am Federhut glänzen.
"Er hat nur schwarze Linien zur Verfügung"
"Er kann vom gleißendsten Licht bis ins tiefste Schwarz alles darstellen. Er kann Rauch darstellen, menschliche Haut, Feuer, Wasser, Metall, Stein! Man muss sich ja vor Augen halten: Er kann nicht mit Farbe arbeiten. Er hat nur schwarze Linien zur Verfügung. Und je nachdem, wie dicht er sie setzt, oder ob er sie mit Punkten verbindet, ob er die Linien parallel oder in bestimmtem Winkel sich kreuzen lässt, entstehen ganz unterschiedliche Texturen und ganz unterschiedliche Helligkeitswerte."
Chonologisch gehängt verdeutlichen die Blätter Goltzius Themenvielfalt und seine künstlerische Entwicklung: Er griff christliche und mythologische Themen auf. Er entwickelte neue Motive, wie etwa ein Hundebildnis. Er war einer der gefragtesten Porträtisten seiner Zeit. Er reiste durch Italien und arbeitete nach der Antike. Als einer der ersten schnitt er reine Landschaftsdarstellungen in Holz, die so frei wirken wie Zeichnungen. All dies zeigt die Ausstellung. Und natürlich nutzte er den Kupferstich auch politisch.
"Es ist die Zeit, in der sich die protestantischen Provinzen, die Nordprovinzen Hollands, unabhängig machen wollen vom katholischen Spanien. Das heißt: Die Kupferstiche dienen auch als Propagandamittel. Das sehen wir bei Goltzius: Er hat also Kriegerfiguren, Fahnenträger von holländischen Regimentern gestochen, die so die Tugend hochhalten sollten und die Moral der Truppe stärken. ... Der Kupferstich ist das am weitesten verbreitete Bildmedium. Es ist erschwinglich, man kann sich das auch als Bürger leisten."
Goltzius rächte sich für die Borniertheit der "kunstsinnigen Bürger"
Allerdings waren die "kunstsinnigen Bürger" vornehmlich auf der Jagd nach Blättern der Altmeister Albrecht Dürer und Lucas van Leyden. Goltzius rächte sich für diese Borniertheit: Da das Kopieren künstlerischer Vorbilder zur akademischen Ausbildung gehörte und die Aneignung und Weiterentwicklung fremder Handschriften als "künstlerischer Wettstreit" galt, schuf Goltzius eine Serie sogenannter "Meisterstiche".
Im Stile Dürers und van Leydens sieht man "Maria mit dem Kind", "Die Beschneidung", oder "Die Anbetung der Könige". Goltzius druckte sie auf Ruß-geschwärztes Papier - und verkaufte sie als "Altmeisterdrucke".
"Und die Leute sind tatsächlich darauf reingefallen. ... Es zeigt auch die Urteilskraft der Zeitgenossen, die gesagt haben, Goltzius sei überhaupt nicht in der Lage, so etwas zu schaffen, und es sei der beste Dürer, den sie je gesehen hätten. Das ist natürlich in einer Zeit der großen Kunstfälscherskandale, die wir heute wieder haben, eine unheimlich interessante Frage: Was macht denn die Authentizität eines Werkes aus? Ist es nur die Handschrift eines Künstlers? Oder welche Parameter kann ich denn noch heranziehen, um sicher zu sein?"
Ängste, Krieg und Gewalt
Umwerfend sind die drei runden Blätter der Himmelsstürmer Tantalus, Ikarus und Phaeton. Nicht die mythologische Geschichte interessiert Goltzius hier, sondern allein der Himmelssturz: der nackte Mensch, der aus dem Nichts in die Tiefe stürzt, und in dessen Haltlosigkeit sich die Haltlosigkeit der politisch unruhigen Epoche des Manierismus spiegelt. Christien Melzer:
"Es gibt Glaubenskriege, es gibt Territorialkriege. Nichts ist letztlich sicher. Das ist der Übergang ... von der Renaissance zum Barock. Das spiegelt sich auch in der Kunst wieder: ... Das Thema des Fallenden, des Stürzenden, des Erzengels, der den Luzifer besiegt."
So erzählt Goltzius stets auch von seiner Zeit, von existentiellen Ängsten, von Krieg und Gewalt, und von der erfolgreichen Befreiung der nördlichen Niederlande von Spanien.
Im Jahr 1600 beendete Goltzius sein Kupferstecher-Dasein und begann eine zweite große Karriere als Maler. Gerade so, als hätte er im Kupferstich alles ausprobiert, was in und mit dem Medium möglich war - und was nun die Ausstellung mitreißend vorführt!