Helmut Qualtingers "Mein Kampf" auf DVD

Hitler als weinerlicher Apokalyptiker

Der österreichische Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger im Jahr 1962
Der österreichische Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger im Jahr 1962 © picture alliance / dpa / Felicitas Timpe
Von Ralf bei der Kellen · 23.12.2015
Ende des Jahres erlischt das Urheberrecht für Hitlers "Mein Kampf". Auf die Frage, ob das Buch nicht noch immer gefährlich sei, gibt die Lesung des Manifests von Kabarettist Helmut Qualtinger eine eindeutige Antwort: Es kommt immer drauf an, wer es liest und wie.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Ich habe mich seit früher Jugend bemüht, auf richtige Art zu lesen, und wurde dabei auf glücklichste Weise von Gedächtnis und Verstand unterstützt."
Da sitzt ein übergewichtiger, bärtiger Mann schwitzend auf einer Bühne und deklamiert mit fast unbeweglicher Mimik einen Text, der aus seinem Mund wie eine Persiflage klingt. Unbeholfen wie weiland Heinrich Lübke in seinen schwächsten Stunden versucht da jemand, sich und anderen die Welt zu erklären. Und das mit oft haarsträubenden Metaphern.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Das Wort 'Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann geh'n!' hat leider nur zu tiefe Bedeutung. Jahrtausendelang musste das Pferd dem Menschen dienen. Und mithelfen, die Grundlagen einer Entwicklung zu legen, die nun in Folge der Entwicklung des Kraftwagens das Pferd selbst überflüssig macht. In wenigen Jahren wird es seine Tätigkeit eingestellt haben – allein ohne seine frühere Mitarbeit wäre der Mensch vielleicht nur schwer dorthin gekommen, wo er heute ist."
Der Mann ist Helmut Qualtinger, einst das Enfant terrible der Wiener Nachkriegskabarettszene, eine Art Mischung aus Wolfgang Neuss und Orson Wells. Der verlesene Text stammt aus der Feder eines Landsmanns – Adolf Hitler.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint."
Wenn jemand "Mein Kampf" öffentlich vortragen konnte, dann war es Qualtinger. Die Familie seines Vaters stammte, wie die Hitlers, aus Braunau. Hitlers und Qualtingers Großväter hatten Seite an Seite als Zollinspektoren gearbeitet.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Was nicht gute Rasse ist auf dieser Welt ist Spreu!"
Die dunklen Seelen der Volksgenossen
Helmut Qualtinger, 1928 in Wien geboren, war bei den Pimpfen, der Hitlerjugend, mit 16 bei den Flakhelfern. Nach dem Krieg ist Qualtinger zunächst Schwarzmarktschieber, dann ungebärdiger Journalist und schließlich Kabarettist. Bereits hier ergründet er die dunklen Seiten der Seelen seiner Volksgenossen. Zunächst in der Rolle des Travnicek:
O-Ton Travnicek aus "Travincek und die Parteien":
Gerhard Bronner: Sie sind kein Demokrat, Travnicek!
Helmut Qualtinger: Das hat mir noch niemand gesagt, net amoi unter'n Hitler.
Gerhard Bronner: Na, damals war's auch keine Ehre.
Helmut Qualtinger: Und jetzt isses eine Ehre?
Gerhard Bronner: Natürlich, die höchste Ehre! Sie genießen das freie, aktive und passive Wahlrecht.
Helmut Qualtinger: Des passive is ma lieaber.
1961 schreibt Qualtinger mit seinem Co-Autor Carl Merz den Monolog eines Magazineurs in einem Wiener Feinkostladen, der seinem jüngeren Kollegen das Leben erklärt.
O-Ton "Der Herr Karl": "Österreich war ja immer unpolitisch. I maan, wir sind ja keine politischen Menschen."
"Der Herr Karl" – so der Titel des Stücks – rührt derart an die verdrängte Geschichte, dass während der Ausstrahlung des Ein-Mann-Stückes im österreichischen Fernsehen die Telefondrähte heißlaufen und Qualtinger sogar Morddrohungen bekommt:
O-Ton "Der Herr Karl": "Ah ja, 34er-Jahr. Wissen's eh wia des wor. Naa, sie wissen's net, sie san ja zu jung. Aba sie brauchen's a net wissen. Das sind Dinge, da woll'n mir nicht dran rühr'n, da erinnert man sich nicht gern, niemand in Österreich."
Qualtinger demontierte auf unnachahmliche Art den Opfermythos Österreichs. Auch hier geht es um die Person Adolf Hitlers.
O-Ton "Der Herr Karl": "Aber – a Persönlichkeit war er. Vielleicht ein Dämon, aber – man hat die Größe gespürt. I maan, er war net groß. I bin ja vor ihm gestanden, beim Blockwarte-Treffen in Mauthausen, so wie ich jetzt vor eane sitz bin i vor eam gstandn. Er hat mich angeschaut mit seinen blauen Augen, I hob eam angschaut – denn hatter gsagt: Jaja! Und do hob I alles gwusst. Wir ham uns verstanden."
Hitler als Kleinbürger im Größenwahn
Helmut Qualtinger hat immer den Abgründen im Jedermann nachgespürt und suchte stets den "Ewigen Spießer" zu entlarven – kein Wunder, dass das Stück gleichen Namens Ödön von Horvaths zu seinem Standardrepertoire gehörte. Und in diese Reihe des Travnicek, des Herrn Karl und auch Karl Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit" stellt er auch "Mein Kampf".
Lesung "Mein Kampf" Hamburg 1973: "Auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst, wenn sie schädlich wäre, sie müsste dennoch stattfinden: (schreit) Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich!"
Die im Januar erscheinende DVD enthält die Aufzeichnung einer Lesung im Auditorium Maximum der Universität Wien vom Mai 1985 – anlässlich des Jahrestages der Kapitulation. Am 29. September 1986 verstarb Helmut Qualtinger.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Die grundsätzliche Gesinnung, aus der ein solches Handeln erwächst, nennen wir im Unterscheid zum Egoismus und Eigennutz 'Idealismus'. Dieser Inneren Gesinnung verdankt der Arier seine Stellung in dieser Welt. Und ihr verdankt die Welt den Menschen."
Die dieser Tage oft gestellte Frage, ob das Buch nicht noch immer gefährlich sei, erfährt hier eine eindeutige Antwort: Es kommt immer drauf an, wer es liest und wie. Qualtinger liest es als eine groteske, kraus zusammengesuchte und halbverdaute Mischung sich widersprechender Gedanken. Bei ihm ist Hitler ein Kleinbürger im Größenwahn, ein weinerlicher Apokalyptiker.
Ausschnitt DVD "Mein Kampf": "Der Grund und Boden, auf dem dereinst deutsche Bauerngeschlechter kraftvolle Söhne zeugen können, wird die Billigung des Einsatzes der Söhne von heute zulassen. Die verantwortlichen Staatsmänner aber, wenn auch von der Gegenwart verfolgt, dereinst freisprechen von Blutschuld und Volksaufopferung. (schreit) Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein!"
Fußnote: Zu seinem 40. Geburtstag gab Helmut Qualtinger zu Protokoll: Er glaube nur an eine Nation: Die Resignation.
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