Hellas braucht neue Ideen

Von Uli Müller · 30.11.2011
Ökolandbau, Strom aus Sonnenkraft – in der Krise finden die Griechen neue Wirtschaftsfelder. Europa täte gut daran, das alles genau zu beobachten, meint Uli Müller. Denn die Rettungsprogramme sollen darauf ausgelegt sein, dass Griechenland das Geld für den Schuldenabbau irgendwann selbst erwirtschaftet.
Wer in diesen Wochen nach Athen kommt, muss lange suchen, um Menschen zu finden, die inmitten der verbreiteten Sorge und Ausweglosigkeit neue Wege ausprobieren. Die Stadt scheint sich selbst verloren zu haben. Ausländische Besucher drängen sich zwar weiter auf der Akropolis und der Agorá, dem antiken Marktplatz und Versammlungsort. Doch pfeift den Gästen der kühle Novemberwind so kräftig um die Ohren, als wollte er ihnen unmissverständlich klarmachen, dass hier eben doch nicht alles ist wie eh und je.

Am Rande des Ausgeh-Viertels Psiri schlafen mehr Obdachlose und Drogenabhängige nachts auf der Straße als noch vor einem Jahr. Und noch immer ziehen fast täglich wütende Demonstranten mit rot-weißen Fahnen vor das Parlamentsgebäude auf dem Syntagma-Platz und fordern in lauten Sprechchören "Nieder mit der Plutokratie!", der Herrschaft des Geldes also. Viele Läden sind geschlossen, die Schaufenster leer geräumt. Egal, ob in der zentralen Einkaufsstraße Eulou, im schicken Kolonaki-Viertel oder im weiter südlich gelegenen Stadtteil Neu-Smyrna.

Eine bleierne Schwere liegt über der Stadt und ihren Bewohnern. Der Goldschmied, der bei Zolotas feinen Schmuck verkauft, hat ebenso Angst um seinen Arbeitsplatz wie die Besitzerin eines kleinen Blumenladens oder die Ordnungshüterin von der Stadtpolizei. Schon bei der nächsten Lohnkürzung, von der sie erwarten, dass sie ganz sicher kommen werde, dürfte es ans Eingemachte gehen.

Aristos Doxiadis gehört zu den wenigen Intellektuellen im Land, die etwas gegen den Pessimismus unternehmen wollen. In Griechenland ist er ein bekannter Mann. Doxiadis hat mit 45 anderen gerade das soziale Netzwerk "Kinonikos Sintesmos" gegründet. Sie suchen nach Alternativen - in Politik und Wirtschaft. Um das festgefahrene Zwei-Parteien-System zu knacken, denken sie daran, eine neue Partei zu gründen. Das Projekt würde dauern, könnte aber das Zeug haben, um der gegenwärtigen Klientel-Politik Paroli zu bieten und das verlorene Vertrauen der Griechen zurück zu gewinnen.

Auch die zweite Botschaft von Aristos Doxiadis ist ebenso einleuchtend wie einfach: Die griechische Wirtschaft braucht Arbeitsplätze – und zwar in neuen Wirtschaftszweigen. Und wer ihm zuhört, stellt überrascht fest: Jenseits aller politischen Wirren haben sich die Griechen längst auf den Weg gemacht. Die Krise lässt ihnen gar keine andere Wahl.

Sie beginnen zu entdecken, was das Land und seine Inseln ihnen an Chancen und Reichtum bieten – in der Natur zum Beispiel. Wind, Sonne, Meer hat es im Überfluss. Erst jetzt begreifen sie, dass es vorteilhafter ist, Strom aus Sonnenkraft zu produzieren, anstatt Erdöl teuer zu importieren. Erst jetzt denken Landwirte ernsthaft darüber nach, Heilkräuter nicht für den eigenen Bedarf zu nutzen, sondern in großem Stil anzubauen und zu exportieren. Andere setzen auf den Ökolandbau - auch da gibt es noch viel zu tun.

Europa täte gut daran, das alles genau zu beobachten. Bislang gehorchen die EU-Auflagen vor allem der finanziellen Not Griechenlands. Sie sind als Gegenleistung für Kredithilfen konzipiert. Dabei wirken die rigiden Kürzungen der öffentlichen Ausgaben ohne Ansehen der Besonderheiten der griechischen Wirtschaft wie Gift inmitten einer Rezession. Sie würgen das Wachstum noch zusätzlich ab. Dabei sollen die EU-Auflagen ja eigentlich helfen, dass die Griechen irgendwann das notwendige Geld für den Schuldenabbau selbst erwirtschaften.

Viel zuwenig haben sich Wirtschaftspolitiker bisher einfallen lassen, wie ihre Rettungsprogramme das nötige Umsteuern im Euroraum sinnvoll begleiten können. Durch Impulse nämlich, die das Einkommen von morgen schaffen. Die Griechen erfahren gegenwärtig vor allem, dass später Protest allein nicht weiterhilft. Dass dem Schuldner die Bedingungen diktiert werden. Die schmerzhafte Lektion lautet: Sie müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Uli Müller, geboren 1968, lebt als Autorin und freie Journalistin in Berlin. Dort sowie in Großbritannien studierte sie Volkswirtschaft. Für überregionale Zeitungen und Zeitschriften (u.a. taz, FTD, Zeit online) schreibt sie über Ökonomie und Literatur. Fürs Radio bespricht sie Bücher und macht Reportagen und Feature. Bis zum Jahr 2010 war sie Korrespondentin für Wirtschaftspolitik bei der Financial Times Deutschland.
Uli Müller, Journalistin
Uli Müller, Journalistin© Anton Eger
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