Helene Fischer

"Schnell ins Ohr, schnell wieder raus"

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Die Sängerin Helene Fischer präsentiert bei der Verleihung des Musikpreises Echo ihre Auszeichnungen. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Moderation: Vivian Perkovic · 05.08.2014
Die Sängerin Helene Fischer, die heute 30 Jahre alt wird, begeistert mit ihrem Lied "Atemlos" die Fußballnationalmannschaft - und halb Deutschland gleich dazu. Wie konnte es nur so weit kommen? Die Antwort kennt der Schlager-Experte Ingo Grabowsky.
Vivian Perkovic: Eine Meldung, die heute über die Nachrichtenticker ging: Jogi Löw ist Fan von Helene Fischer, und die deutsche Fußballnationalmannschaft und mit ihr das halbe Land auch. Heute wird die Schlagersängerin Helene Fischer 30 Jahre alt. Millionen Fans hat die blonde Sängerin, aber viele, darunter das Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und auch manche Kollegen aus unserer Musikredaktion, die ertragen die Trivialität ihrer Musik und Texte nur schwer.
Über den Erfolg und wieso der so groß ist, sprechen wir jetzt mit Dr. Ingo Grabowsky, der sich in verschiedenen Seminaren, Büchern und Ausstellungen mit Schlagern, mit deutschen Schlagern beschäftigt – oder nicht nur mit deutschen, sondern auch schon mit russischen Schlagern hat er sich beschäftigt. Und der natürlich auch Helene Fischers Karriere verfolgt hat. Hallo, Herr Grabowsky!
Ingo Grabowsky: Ja, Hossa, Frau Perkovic!
Perkovic: Schön, dass Sie Zeit haben. Sie haben, als Sie vor sechs Jahren eine Auswahl der vielversprechendsten Schlagerkünstler treffen sollten, die Karriere von Helene Fischer schon vorhergesehen. Warum denn? Was hatte sie damals schon?
Grabowsky: Was Helene Fischer auszeichnet, sind wirklich, das muss man sagen, vor allem vor dem Durchschnitt gesehen des deutschen Schlagers insgesamt, Talent, die Möglichkeit, nicht nur zu singen, sondern sich auf der Bühne zu bewegen, zu tanzen. Sie kann Akrobatik, und sie hat schon, meine ich, eine besondere Ausstrahlung, sowohl in der Stimme als auch in der Persönlichkeit, die sie vor anderen auszeichnet. Das heißt nicht, dass man ihre Musik schätzen muss, aber dass sie ein besonderes Talent hat, ist, glaube ich, nicht zu bestreiten.
Perkovic: Ja, also absolut, ich meine, sie hat ja fast den Schlager revolutioniert und wirklich große Shows draus gemacht mit – also gut, Backgroundtänzer hatten andere auch schon, aber so, wie sie eingebaut ist in diese Show und wie sie von der Bühne schwebt und "Kunststücke aufführt", das ist schon was anderes. Sie ist ja ausgebildete Musicaldarstellerin. Trotzdem, wie konnte es denn kommen? Reichte das tatsächlich auch, Fußballfans für sich zu vereinnahmen oder sogar Teenager, die "Atemlos durch die Nacht" laut auf der Straße singen, wie ich letztens beobachten musste?
Grabowsky: Helene Fischer ist ja ganz besonders mehrheitsfähig, würde ich sagen. Sie hat ein Image, das keinem so richtig weh tut. Ihre Lieder gehen schnell ins Ohr, gehen auch schnell wieder raus. Bei den Texten, gut, man hört, dass es nicht Alice Schwarzer ist, die da singt, aber die Texte sind so, dass man sich gar nicht besonders an ihnen reiben kann. Sie sind nicht besonders gut, sie sind auch nicht besonders schlecht, im Vergleich auch zu vielem anderen, was geboten wird. Und man muss ja sagen, dass insgesamt der Boden für einen deutschen Schlagerstar auch schon bereitet war in den 90er-Jahren und in den Nuller-Jahren. Die Leute haben heute sehr viel weniger Berührungsschwierigkeiten mit der deutschen Sprache im Lied. Das ist ganz anders, als es etwa in den 80er- oder 90er-Jahren war.
Perkovic: Dass das Rezept Helene Fischer funktioniert, das ist augenscheinlich, aber oft ist es ja auch so, dass, wenn etwas funktioniert, sogar kopiert wird. Wie hat Helene Fischer denn andere Schlagerstars beeinflusst?
Ein sexualisierter Unterton
Grabowsky: Es gibt ja eine ganze Welle von jungen Schlagersängerinnen, die vielleicht Helene Fischer nicht unbedingt kopieren, aber die doch versuchen, auf dieser Welle mitzureiten. Sie werden die Namen wahrscheinlich noch nie gehört haben. Beatrice Egli ist so ein Name, die "Deutschland sucht den Superstar" gewonnen hat als Schlagersängerin. Das ist so eine, na sagen wir Musiksendung auf RTL. Dann gibt es Linda Hesse, die so ein bisschen anderes, burschikoseres Image pflegt. Und dann gibt es, wenn Sie mal die Schlagersender hören, Dutzende von jungen Frauen, die mehr oder minder versuchen, Helene Fischer, auch ihre Tonlage, zu kopieren, die versuchen, so ein bisschen leicht freche Texte anzubieten, die einen sexuellen Unterton auch oft haben oder sexualisierten Unterton zumindest. Das ist schon so, dass es da eine Menge Epigonales auch gibt.
Perkovic: Bei Helene Fischer finde ich ja auch besonders interessant, dass diese Produktionen an sich gar nicht mehr so schlagerhaft sind. Also das ist nicht schwülstig mit Synthesizern oder Geigen oder so, sondern es ist fast eine Euro-Trash-Produktion, die dahinter steht. Also auch schon ein Schritt, der ihr andere Hörerschichten ermöglicht hat. Aber was muss denn heutzutage ein Schlagerstar überhaupt bieten, damit das funktioniert, also heute, in 2014?
Grabowsky: Wenn ich das genau wüsste, dann würde ich wahrscheinlich Schlager produzieren. Man muss natürlich in so eine bestimmte Stimmung der Zeit kommen mit dem, was man macht. Der Schlager insgesamt ist ja unheimlich breit. Schlager ist ja eigentlich kein musikalisches Genre, sondern ein Begriff aus der Wirtschaftssprache. Er bezeichnet letztlich nur ein kommerziell erfolgreiches Produkt. Und so vielfältig ist auch insgesamt der Schlager, von Deutsch-Hip-Hop über Deutsch-Pop. Da gibt es auch eine Menge Bands, die immer das gleiche Image anbieten eben bis zu dem, was Helene Fischer macht. Und natürlich gibt es sozusagen diese Trias, die ein Lied immer haben muss: Ich muss Musik und Text entsprechend dem Geschmack des Publikums anbieten, und ich brauche auch die Interpretenpersönlichkeit, die den Schlager dann an die Käuferin oder an den Käufer bringt.
Perkovic: Ganz kurz noch: Sie haben Helene Fischers Karriere vor sechs Jahren vorhergesagt. Was glauben sie denn, wie lange wird ihre Karriere noch dauern?
Grabowsky: Wenn sie es geschickt macht, wenn sie weiterhin eine glückliche Hand bei der Auswahl auch des Managements hat – Uwe Kanthak macht das ja schon sehr lange bei ihr – und wenn sie in Zukunft an Autoren gerät, die vielleicht Helene Fischer noch besser treffen in dem, was sie ist, dann kann sie, glaube ich, sehr lange erfolgreich bleiben.
Perkovic: Dr. Ingo Grabowsky, Sie bleiben dran. Wir sprechen gleich weiter. Nicht vielleicht so viel über Helene Fischer, sondern über den deutschen Schlager generell. Gleich, nach dem alles zur Seite räumenden Song "Atemlos durch die Nacht" von Helene Fischer. Und das ist einigermaßen hart für unser Musikprogramm hier im Deutschlandradio Kultur. Vielleicht auch für Sie, liebe Hörer, deshalb folgender Vorschlag: Wenn wir in der ersten Minute von Helene Fischers Lied "Atemlos durch die Nacht" mindestens zehn Mails an die Adresse tonart@deutschlandfunk.de bekommen mit dem Titel Ausschalten oder irgendwas in die Richtung, dann blenden wir den Titel früher aus. Also, wenn in der ersten Minute von Helene Fischers Lied "Atemlos durch die Nacht" mindestens zehn Hörer mailen, "Ausschalten" an tonart@deutschlandfunk.de, dann werden wir respektvoll Helene Fischers Lied "Atemlos durch die Nacht" ausblenden und sprechen dann eben früher weiter mit Ingo Grabowsky. Jetzt aber erst mal dieser Titel.
(...)
Perkovic: Ja, so kann man auch den Musikgeschmack der Hörer von Deutschlandradio Kultur feststellen. Mindestens 30, 40, und es werden sekündlich mehr Mails mit "Ausschalten" haben uns erreicht. "Atemlos durch die Nacht" war das von Helene Fischer, aber wir sprechen natürlich trotzdem weiter über dieses Phänomen oder über das, was Helene Fischer mit dem deutschen Schlager gemacht hat. In der Leitung haben wir dafür Dr. Ingo Grabowsky. Er ist Schlagerexperte, hat Schlagerausstellungen organisiert und beschäftigt sich auch wissenschaftlich damit. Herr Grabowsky, stimmt denn mein Eindruck, dass Schlager in 2014 in Deutschland so gesellschaftsfähig geworden sind wie seit den 50er-Jahren nicht mehr?
Grabowsky: Ja, kann sein. Die Schlager waren ja noch nie so richtig, also schon in den 50er-Jahren nie so richtig gesellschaftsfähig. Man nannte das damals auch Musik für Lehrlinge. Wer sich für so ein bisschen gebildeter hielt, der blickte schon immer auf die Schlager herab, die wurden eben in den 50er-Jahren belächelt, und dann in den späten 60er- und in den 70er-Jahren sozusagen als ideologisch gefährlich bekämpft. Das war dann das Besondere. Und heute ist da wieder so etwas wie Normalität eingetreten, glaube ich. Die Menschen dürfen eben Schlager hören, ohne dass man sie gleich für Stimmvieh der CDU hält.
Perkovic: Das hat sich ja angebahnt. Wir haben es vorhin schon mal kurz angesprochen, seit Mitte der 90er-Jahre, als Schlagerlieder von Künstlern wie Guildo Horn oder Dieter Thomas Kuhn populär gemacht wurden, vor allem als Partymusik, zu der man so große Gemeinschaftsekstase erleben konnte. Das ging in den 90er-Jahren aber nicht ohne Ironie. Das war das Schmiermittel, dass das wieder zu einer jüngeren Hörerschicht dringen konnte. Wieso geht das auf einmal jetzt auch ohne lustige Übertreibungen?
Deutsch-Pop mit larmoyanten Texten
Grabowsky Genau, das war wichtig in den 90er-Jahren, vor allen Dingen Dieter Thomas Kuhn, der hat mit einem sehr ironischen Unterton die Schlager der 70er-Jahre gesungen. Wobei man dann, wenn man sich das Publikum ansah, und ich gehörte sehr oft zu diesem Publikum, dann konnte man sehen, dass die Leute im Grunde bereit waren, die Ironie auch sausen zu lassen und "Tränen lügen nicht" mit wirklichen Tränen in den Augen mitzusingen. Das war schon sehr aussagekräftig, das so zu beobachten, und dann gab es natürlich Entwicklungen, gefördert auch durch dieses Revival, wie diesen sogenannten Deutsch-Pop, der aus meiner Sicht auch nichts anderes ist als Schlager als massenhaft junge Bands zu Beginn der 90er-Jahre eben wieder auf Deutsch sangen, mit Texten, die ebenso larmoyant waren.
Perkovic: Sie denken an Silbermond und ähnliche Bands.
Grabowsky: Ja, natürlich. Da wurde auch das Elend der einzelnen Liebenden ebenso besungen wie zu schwülstigsten Schlagerzeiten. Das unterschied sich, muss man sagen, nur dadurch, dass man diese etwas uniforme Art der Präsentation hatte, so wie das vielleicht in den 70ern in der Hitparade auch nicht anders als uniform war. Und dann hatten wir natürlich die WM in Deutschland 2006, die dieses Schwarz-Rot-Goldene aus der miefigen Ecke zog, und die letztlich auch, glaube ich, die deutsche Sprache etwas salonfähiger machte. Man denkt eben heute nicht mehr automatisch an die unselige Vergangenheit vor '45, wenn man an das Wort "deutsch" denkt. Und dann vielleicht noch ein letzter Faktor: Helene Fischer ist auch eine symbolkräftige Figur dafür – Helene Fischer ist ja Russlanddeutsche von Geburt –
Perkovic: Mit vier Jahren nach Deutschland gekommen.
Grabowsky: – und spricht ja auch immer wieder von ihrer russlanddeutschen oder gar russischen Herkunft –
Perkovic: Oder russischen Seele in Interviews.
Grabowsky: Von der russischen Seele, die wird auch gerne beschworen. Und sie singt ja auch russische Lieder, wobei man auch immer hört, dass das nicht ihre Muttersprache ist, aber das nur nebenbei gesagt, und es kamen unheimlich viele Einwanderer nach Deutschland in den letzten Jahrzehnten, und die sehen das ganze Thema sehr viel unverkrampfter als wir, weil es diese Polarisierung, die es im deutschen Schlager gibt, in anderen Gesellschaften eben so nicht gibt. Und man sollte dieses Publikum gar nicht so unterschätzen. Ich habe schon oft im italienischen – und ich achte ja auch sehr intensiv darauf – in italienischen Restaurants hört man in der Küche häufig die Viererwellen der öffentlich-rechtlichen Sender.
Perkovic: Das sind die Schlagerwellen.
Grabowsky: Das sind die Schlagerwellen, genau.
Perkovic: Insofern haben Schlager und Fußball vielleicht was gemein. In Fußballweltmeisterschaften werden also nicht-deutsche oder nicht-bio-deutsche Spieler beschäftigt, jetzt also seit der Weltmeisterschaft 2006, und jetzt also auch immer wichtiger im deutschen Schlager kommen diese Fangruppen dazu, die eben diese Berührungsängste mit Deutsch nicht haben und verrückterweise sind Fußballweltmeisterschaften offensichtlich ein ganz wichtiges Vehikel für deutschsprachige Musik. 2006 waren die Hymnen der Weltmeisterschaft "Dieser Weg wird kein leichter sein" von Xavier Naidoo oder die Sportfreunde Stiller. In diesem Jahr war es eben Helene Fischer.
Vielen Dank, Ingo Grabowsky über Schlager in Deutschland, den Erfolg von Schlager und den Erfolg vor allem von Helene Fischer, die heute 30 Jahre alt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.