Heldinnen der Arbeit

Susan Gluth im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 30.04.2009
Drei Frauen in einer Hamburger Wäscherei: Sie rackern sich tagtäglich ab für einen Lohn, der nur knapp zum Leben reicht. Und dennoch klagen sie nicht. Die Regisseurin Susan Gluth hat das Leben der Frauen in ihrem warmherzigen Film <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="188449" text="&quot;Wasser und Seife&quot;" alternative_text="&quot;Wasser und Seife&quot;" /> dokumentiert.
Stephan Karkowsky: Wie ticken eigentlich all diese Menschen, die am Stadtrand in Sozialbauten leben, die Bingo spielen und Lotto, und die für sehr wenig Geld jeden Tag zur Arbeit gehen. Susan Gluth ist mit ihnen groß geworden, allerdings als Tochter des Chefs. Ihre Familie besitzt eine Wäscherei, sie selbst ging zum Film und hat nun drei Wäscherinnen aus Papas Firma porträtiert. "Wasser und Seife" heißt der Film. Und ich begrüße die Regisseurin dieses Films, Susan Gluth, guten Tag!

Susan Gluth: Hallo, guten Tag!

Karkowsky: Und die Juniorchefin der Wäscherei, das könnte ich auch sagen, oder?

Gluth: Ja, wäre vielleicht mal so gekommen irgendwann, aber meine Schwester macht's weiter.

Karkowsky: Sie sind quasi in dieser Wäscherei groß geworden. Hat die Familie da auch gewohnt oder war Arbeiten und Wohnen getrennt?

Gluth: Die Vorgeneration hat da gewohnt, meine Eltern haben da dann schon nicht mehr gewohnt, aber ich war natürlich auch viel dabei, viel da, im Garten gespielt, mitgemacht.

Karkowsky: Dann kennen Sie die drei Protagonistinnen Ihres Films, Tatjana, Gerti und Monika, schon von klein auf?

Gluth: Ja, die Tatjana, die schon lang, weil ihre Mutter ja schon da gearbeitet hat, also die Tatjana auch, wir sind fast ein Alter, und die Monika Schückher auch, die Gerti ist erst ein bisschen später gekommen, aber letztendlich viele Jahre.

Karkowsky: Sie zeigen nun die drei Frauen bei der Arbeit, und wer noch nie in eine Heißmangel war, dem müssen wir das erklären. Was tun die da tagein, tagaus?

Gluth: Ja, rackern, wie eben der Beitrag auch so schön beschrieben hat. Also die stehen den ganzen Tag auf den Beinen. Da gibt's denn eine Viertelstunde Frühstückspause und ne halbe Stunde Mittagspause, der Rest wird gestanden und körperliche Arbeit verrichtet.

Karkowsky: Und das sieht man sehr deutlich im Film, die stehen im Dampf, in der Hitze, sie wuchten schwere, nasse Wäsche, sie leeren Taschen aus, störrische Büstenhalter müssen aus den Wäschebeuteln gezurrt werden. Und das gerade mal für genug Geld, dass es zum Überleben reicht. Für Billigzigaretten aus dem Discounter, das Hundefutter, der größte Luxus ist da ein Kaufkaffee auf dem Weg zur Arbeit. Waren Sie eigentlich befangen, als Tochter des Chefs einzudringen in das intimste Privatleben der Angestellten?

Gluth: Nee, Befangenheit ist beim Dokumentarfilm, wenn man menschennah arbeiten will, bestimmt nicht der richtige Weg, befangen zu sein.

Karkowsky: Aber Dokumentarfilmer filmen ja selten das eigene private Umfeld.

Gluth: Das eigene, na ja, ich empfinde das nicht als mein eigenes Umfeld, sondern das ist schon das der Menschen, die man da sieht. Ich hatte einfach einen Zugang, und den habe ich genutzt, ganz klar. Aber nee, befangen war ich nicht. Ich bin neugierig, von Haus aus neugierig.

Karkowsky: Und hat Ihnen das eher geholfen oder hat das manchmal auch etwas gehemmt, dass Sie die Damen schon so gut kannten?

Gluth: Das hat auf beiden Seiten erst mal was gehemmt, weil weder die eine, sprich die Familie, glaubte, dass daraus überhaupt ein Film werden kann, und wenn ja, denn was bitte für einer, was soll man über uns erzählen. Und zum anderen, klar, Unternehmertochter, was willst du über uns erzählen, sagten dann die drei Frauen. Also es gab da schon Vorsicht, und es hat auch ein bisschen gebraucht, bis da denn Vertrauen auch auf beiden Seiten da war.

Karkowsky: Wie haben Sie denn Ihren Vater zum Beispiel davon überzeugt, dass Sie ihn beim Geldzählen filmen dürfen?

Gluth: Da habe ich gar nicht gefragt, das passiert einfach und da sind wir mitgegangen, da haben wir einfach gemacht.

Karkowsky: Und er hat aber schon die Frage gestellt, wer will das denn eigentlich sehen?

Gluth: Ja, na klar.

Karkowsky: Und die Frauen, haben die bezweifelt, dass sich auch nur ein einziger Kinobesucher für sie interessieren könnte?

Gluth: Kino war damals noch gar nicht das Thema, da ging's um Fernsehen, aber selbst das haben sie alle bezweifelt. Also wirklich dran geglaubt, dass daraus ein Film wird, hat, glaube ich, niemand von denen dort, von denen aus der Wäscherei. Das ZDF war von Anfang an dabei, klar, die haben dran geglaubt und wir haben dran geglaubt, wir Macher, aber ansonsten ist so was auch schwer zu vermitteln. Dreharbeiten, wenn man denn da steht und auch arbeitet ja mit denen, wir haben ja auch gerackert den ganzen Tag als Team. Nee, das hat nicht wirklich jemand geglaubt, dass daraus ein Film wird.

Karkowsky: Sie hören Susan Gluth, die Regisseurin des Dokumentarfilms "Wasser und Seife", ab heute zu sehen in Kinos in Augsburg, Berlin, Hamburg und Lüneburg. Frau Gluth, ein Sozialdrama ist das ja nicht geworden. Ihre Bilder haben eine gewisse Leichtigkeit, dazu gibt's dann diese Musik von Nils Koppruch, die ja auch eher Dur ist als Moll. Und die drei Frauen scheinen trotz aller Lebenshärten nicht depressiv oder verzweifelt. Dennoch nehme ich mal an, das eine oder andere Detail beim Drehen wird sie schon erschüttert haben, oder?

Gluth: Na ja, erschüttert eben auch nicht, weil ich mache Filme in der Richtung jetzt nicht das erste Mal, da gibt's noch ganz andere Sachen, die einen wirklich oder die mich erschüttern lassen. Das ist halt traurig zum Teil zu sehen, aber das ist halt, ja, wenn man denen Respekt entgegenbringt, und das habe ich sehr versucht, und versucht, die Würde auch immer wieder herauszuarbeiten, die ja jeder Mensch hat, dann sieht man das auf diesem Level und dann passt es auch.

Karkowsky: Wo sehen Sie denn die stärksten Momente des Films?

Gluth: Oh Mann! Ich glaube, es gibt noch ganz viel starke Momente, die gar nicht im Film drin sind, die sind im Rohmaterial zum Beispiel, die keinen Platz gefunden haben. Aber ich denke, ganz wichtig ist immer wieder auch, sind diese Glücksmomente, dass man also trotz allem, trotz aller Härte des Lebens, des Alltags und des wenigen Glücks, was die Menschen, ja, denen das Glück eigentlich nicht so zufällt, die eigentlich dann eher auf der Schattenseite unserer Gesellschaft stehen, dass die aber auch immer versuchen, nach vorne zu gucken, zu hoffen und die Hoffnung nicht aufgeben und voller Stolz und Würde nach vorne gehen.

Karkowsky: Da gibt es die eine Szene, Gerti wird gefragt: Was war denn das Schönste bislang im Leben? Und sie antwortet?

Gluth: Sie antwortet, das Schönste war, als sie schwanger war, als sie ihre Tochter bekam.

Karkowsky: Genau. Den dicken Bauch habe sie in der U-Bahn stolz allen gezeigt.

Gluth: Ganz stolz, genau.

Karkowsky: Und sonst war gar nichts schön, sagt sie.

Gluth: Ja, das habe ich dann auch, ist ja auch eine lange Pause dann, das wollte ich auch so stehen lassen und hab auch sie überlegen lassen. Und dann schüttelt sie ja auch noch mal den Kopf und sagt, nee, sonst war nichts Schönes. Also das war schon das, was ihr Leben geprägt hat, denke ich, in dem Glück.

Karkowsky: Eine andere Stelle, die fand ich auch sehr berührend, da sagt Monika, sie habe drei Kinder gekriegt und sei dann abgehauen nach Berlin, weil ihr Mann Alkoholiker war. Und ihr größter Fehler war es gewesen, die Kinder beim Mann gelassen zu haben. Sie erfahren da ja vermutlich mehr über diese Frauen, als deren Chef, Ihr Vater, je gewusst hat, oder?

Gluth: Ganz sicher.

Karkowsky: Wie sind Sie damit umgegangen?

Gluth: Na ja, ich will ja nicht werten, ich erfahre das tatsächlich auch oft dann erst, wenn wir drehen. Ich weiß manche Sachen vorher auch nicht, weil ich denke, im journalistischen Arbeiten – das ist ja letztendlich auch journalistisches Arbeiten, was wir da machen – hört man was, und wenn man Glück hat, läuft die Kamera, aber darüber kann man vorher nicht sprechen. Weil wenn das alles schon dreimal durchgeredet wurde, dann erzählen das die Menschen auch nicht mehr bereitwillig. Also diese Situation ist entstanden auf dem Sofa abends, und wir kamen drauf, auf Familie, und dann sagte sie das. Und dann gibt's da auch den Moment, wo man einfach nicht mehr weiter nachfragt, sondern merkt irgendwie, das ist jetzt tragisch und das ist traurig und das hat uns alle irgendwie auch betroffen gemacht, das Team. Das lässt man dann auch stehen, finde ich.

Karkowsky: Und vermutlich wird sich der Alltag der Frauen ja kaum unterscheiden von dem Alltag von Millionen anderen. Glück, das ist die Hoffnung auf einen Gewinn bei Bingo oder Lotto.

Gluth: Genau.

Karkowsky: Werte, das sind Arbeit, Pünktlichkeit, möglichst keine Schulden. Luxus die 60 Pfennig, die Monika nicht für die "Bild"-Zeitung ausgeben will.

Gluth: Genau.

Karkowsky: Da ist ja der Dokumentarfilmer immer auch Voyeur und mit ihm sind wir das, seine Zuschauer. Gab's denn Momente, wo Sie die Kamera ausgemacht haben oder sehen wir Tatjana, Gerti und Monika weitgehend ungefiltert?

Gluth: Die sind natürlich gefiltert. Der Film ist sehr, sehr durchgeschnitten, wir haben lange Zeit im Schnitt verbracht, war auch eine sehr schwierige Zeit, das in eine Form zu bringen. Und natürlich sind Szenen drin, die ich bewusst nicht reinnehme, weil ich die Menschen einfach auch so in ihrer Würde auch belassen möchte. Und ich denke, es gibt bei allen Dreharbeiten, die man macht, immer Szenen, die die Menschen dann auch vorführen würden. Und darauf habe ich verzichtet, ja.

Karkowsky: Sie nehmen sich 80 Minuten Zeit in dem Film für Ihre Heldinnen der Arbeit …

Gluth: 85 sogar.

Karkowsky: 85. Nicht immer wird da geredet, manchmal schaut die Kamera ja einfach nur zu, wie im Prinzip nichts passiert. Manche Dinge wiederholen sich, da zeigen Sie auch, dass dieser Rhythmus immer derselbe ist. Und ich weiß nicht, wie Sie es sehen, aber vielleicht ist das größte Ereignis im Film der Auftritt von Tatjanas Tochter, die durch die Fahrprüfung gefallen ist, oder?

Gluth: Ja, das ist so der Action-Moment gewissermaßen, genau. Na ja, aber darum ging's mir ja auch. Ein Stück weit möchte ich natürlich mit diesem Film unterhalten, das ist ganz klar, aber letztendlich ging's mir ja darum, den Alltag dieser Menschen so authentisch wie möglich zu zeigen. Und man kann natürlich Langeweile oder Ruhe oder diese leisen Momente nicht in der vollen Länge zeigen, weil Langeweile zeigen, ist halt ganz schwierig, ist im Radio genauso.

Karkowsky: Langeweile zeigen, heißt Zuschauer langweilen.

Gluth: Genau, den Zuschauer langweilen, dann ist er weg. Er muss dran bleiben emotional. Und das ist sehr, sehr schwer herzustellen. Und trotzdem war es mir wichtig, diese Momente drin zu haben, weil das begleitet diese Menschen jeden Tag.

Karkowsky: Gibt es denn eine Botschaft, die für Sie am Ende des Films steht?

Gluth: Die gibt's bestimmt, aber die muss jeder Zuschauer für sich selber herausfinden. Ich glaube, es gibt mehrere. Da gibt's, glaube ich, viele kleine Metaebenen, die man entdeckt, wenn man aufmerksam ist, aber ich möchte jetzt keine Fahne raushängen und sagen, diese Botschaft muss jetzt jeder mitnehmen, also das nicht.

Karkowsky: "Wasser und Seife" heißt der Film von Susan Gluth, ab heute zu sehen in Kinos in Augsburg, Berlin, Hamburg und Lüneburg. Frau Gluth, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Gluth: Gerne.