Heitmeyer: Zuwanderer brauchen "neue Kultur der Anerkennung"

Moderation: Birgit Kolkmann · 14.06.2007
Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer hat die Politiker aufgefordert, grundsätzlicher und radikaler als bisher über die Integration von Migranten nachzudenken. Sprachkurse seien zwar ein wichtiges Element, aber darüber hinaus müsse vor allem der Sozialraum als Ganzes - beispielweise der Stadtteil - im Blickpunkt der Politik stehen, sagte Heitmeyer, Pädagogikprofessor an der Universität Bielefeld, anlässlich der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz zum Thema Integration.
Birgit Kolkmann: Vor einem Jahr verabschiedete sich das politische Berlin mit dem Integrationsgipfel in die Sommerpause. In den Wochen und Monaten davor war diese Veranstaltung intensiv vorbereitet worden. Neue statistische Zahlen aus dem Bevölkerungsbericht belegten: Immer mehr Menschen haben in Deutschland einen Migrationshintergrund. In den kommenden Jahren werden es immer mehr werden. Und Kinder aus Migrantenfamilien haben im deutschen Bildungssystem deutlich schlechtere Chancen als deutsche Schüler. Ausgrenzung, Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt und mangelnde Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Wohlstand lassen befürch-ten, dass es in Zukunft mit dem Zusammenleben nicht leichter werden wird.

Heute werden die Ministerpräsidenten der Länder ihren Integrationsplan verabschieden, in dem es im Wesentlichen um den Beitrag der Länder zum nationalen Plan der Bundesregierung geht. – Wir sind jetzt mit dem Bielefelder Konfliktforscher Professor Wilhelm Heitmeyer verbunden. Schönen guten Morgen!

Heitmeyer: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Professor Heitmeyer, Sie veröffentlichen jedes Jahr Ihren Bericht "Deutsche Zustände" und Sie haben festgestellt, dass sich in manchen Gegenden Deutschlands die Probleme ballen und unter anderem für mehr Fremdenfeindlichkeit sorgen. Sind denn mehr Sprachkurse – und das wollen die Länder ja vor allen Dingen – das geeignete Mittel dagegen?

Heitmeyer: Das ist sicherlich ein wichtiges Element. Aber es geht im Grunde um viel mehr, wo-bei die Frage der Integration von Migranten ja vor allem dann in Westdeutschland ein Thema ist, einfach wegen der Verteilung. In Ostdeutschland stellen sich die Probleme anders. Die Fremden-feindlichkeit ist dort zum Teil ja höher ohne Fremde. Das hat etwas mit dem Zustand in Ostdeutschland selbst zu tun. Das was eigentlich notwendig ist über solche Sprachkurse hinaus, ist einfach, dass die Politik sehr viel grundsätzlicher daran geht und Politik sozialräumlich denkt. Damit meine ich, dass gerade auch Migranten dort, wo die Bildungsqualifikationen niedrig sind, ja in Desintegrationsprozesse hinein geraten.

Zweitens, dass wir in westdeutschen großen Städten ja zunehmende Segregation haben, das heißt, das Zusammenballen in bestimmten Stadtteilen. Und wir müssen ja damit rechnen, dass es Veränderungen in den Bevölkerungsrelationen gibt, also Mehrheiten und Minderheiten sich aufgrund der demographischen Entwicklung verändern. Das muss nicht zwangsläufig dann in große Konflikte münden. Nur kann man es andererseits auch nicht ausschließen, wie zum Beispiel Großbritannien zeigt. Es muss sehr viel grundsätzlicher gedacht werden, also Politik sozialräumlich denken. Das heißt, was braucht ein Stadtteil, und nicht, dass die Einzelressorts versuchen, mit Klein-Klein da ranzugehen.

Kolkmann: Nun wird ja das, was Sie mit Segregation beschrieben haben, auch die Entwicklung von Parallelgesellschaften, die Zusammenballung bestimmter Ethnien in manchen Stadtteilen, als eine ganz große Gefahr häufig angesehen. Ist dieses wirklich so gefährlich, oder sind diese Bildun-gen von sogenannten Parallelgesellschaften eigentlich etwas ganz Normales? Gibt es das in der deutschen Ursprungsgesellschaft genauso?

Heitmeyer: Natürlich gibt es das. Die Superreichen wohnen unter sich. Da spricht niemand von einer Parallelgesellschaft. Wobei man ohnehin mit dem Begriff sehr vorsichtig umgehen muss. Zahlreiche Politiker meinen, dass diese schon gegeben seien, wenn Menschen bloß anders leben. Das ist natürlich ziemlicher Unsinn und führt dazu, dass dieser Begriff dann instrumentalisiert wird und mobilisiert wird gegen die Zugewanderten.

Nein, wir wissen es gar nicht so genau, ob wir so etwas haben. Das mag kleinräumig der Fall sein, aber dazu gehören im Grunde zahlreiche Kriterien. Das heißt, wenn Menschen aus bestimmten Sozialräumen nicht mehr rausziehen können aufgrund ihres Einkommens, also festgeklemmt sind in Sozialräumen, dann ist das ein Indikator. Oder wenn sich ein eigenständiges, quasi unter der Hand, Rechtssystem entwickelt. Und so gibt es eine ganze Reihe von wirklich harten Kriterien, ehe man überhaupt davon sprechen kann.

Gleichwohl ist es wichtig, dass die Aufmerksamkeit darauf ruht, denn wir müssen noch einen anderen Punkt sehen. Je größer die Desintegration der Mehrheit oder in der Mehrheit auch ist, desto schwieriger wird die Integration von Minderheiten. Wie gesagt, die Debatte um Integration in Deutschland hat ganz viele Facetten, und da macht es sich die Politik an vielen Stellen viel zu einfach. Es muss grundsätzlicher und radikaler im wahrsten Sinne des Wortes gedacht werden. Denn das was wir im Grunde brauchen ist eine neue Kultur der Anerkennung, und da ist an vielen Stellen in den letzten Jahren grundsätzlich sehr viel versäumt worden.

Kolkmann: Das ist ja sehr viel mehr, als zum Beispiel anzukündigen, mit Sprachkursen und Bildung anzusetzen, was ja sicher ein sehr wichtiges und wesentliches Element ist. Aber da kommen natürlich auch schon wieder eher populistisch gemeinte Äußerungen vom Fördern und Fordern, was auch nicht falsch ist. Das Problem aber dabei ist, wenn Menschen in Sprachkurse nicht gehen wollen, sollen sie mit Sanktionen bedroht werden. Halten Sie das für richtig?

Heitmeyer: Mit Sanktionen wird man da im Grunde nicht viel weiter kommen. Klar ist allerdings auch, dass sehr viel mehr interveniert werden muss in bestimmten Migrantenmilieus selbst. Aber das können im Grunde sinnvollerweise nur jene, die aus Familien mit Migrationshintergrund kommen, gewissermaßen Aufsteiger in dieser Gesellschaft, die dann gleichzeitig auch als Modell dienen können und allerdings dafür werben müssen – und zwar intensiv werben müssen -, dass die Familien ihre Kinder in eine ungewisse Zukunft schicken, wenn sie nicht da verstärkte Bildungsanstrengungen unternehmen, denn über Sprache, über Bildung läuft in dieser Gesellschaft fast alles.

Kolkmann: Ist die Politik denn nun aufgewacht, nachdem jahrelang das Thema der Integration im Prinzip verschlafen worden ist?

Heitmeyer: Das ist immer etwas schwierig mit dem Aufwachen. Es war ja schon ein wichtiger Umschwung, dass Deutschland überhaupt als Einwanderungsland anerkannt ist. Ich bin aber der Auffassung, dass zu wenig dieses zum Thema gemacht wird. Da müssen sehr viel mehr Anstrengungen in Richtung auf neue Formen der Kultur der Anerkennung erfolgen, denn zum Teil funktionieren ja die alten Integrationsmechanismen über Arbeit et cetera schon gar nicht mehr, zum Teil schon nicht für Teile der Mehrheit und auch nicht für Teile der Minderheit.

Denken Sie an jene, die mit niedrigen Berufsqualifikationen ins Leben starten oder mit niedrigen Schulqualifikationen - zumal dann, wenn das Bildungssystem diese Gruppe auch noch wenn man so will unten hält. Das sind Zukunftsfragen. Da wissen wir nicht so genau, wie sich das für das Zusammenleben auswirkt. Da ist es immer besser, vorrangig das zu bearbeiten, denn solche Probleme haben Zeitfenster, und wenn diese Zeitfenster nicht genutzt werden, dann gibt es so strukturelle Verhärtungen, die dann kaum noch aufzubrechen sind.

Kolkmann: Vielen Dank! – Professor Wilhelm Heitmeyer, der Bielefelder Konfliktforscher, zum Problem der Integration und zu dem, was die Bundesländer heute vorstellen werden.