Heinrich-Mann-Preis an Ivan Nagel

Von Jens Brüning · 11.04.2005
Der Schriftsteller und Theatermann Ivan Nagel ist am Sonntag von der Akademie der Künste in Berlin für seine Essayistik mit dem Heinrich-Mann-Preis 2005 ausgezeichnet worden. Im vergangenen Jahr hat Nagel, der 1931 in Budapest geboren wurde, das lesenwerte "Falschwörterbuch" über die beschönigenden Wörter in der Politik der Gegenwart vorgelegt.
Das Haus war gut gefüllt, die Erwartung hoch. Aber schließlich gab es doch nur eine ganz normale Preisvergabe mit Begrüßung, Laudatio, Festvortrag und Lesung. Die Männer auf der Bühne waren allerdings durchweg bedeutend, Männer der Feder und des Theaters. Der Hausherr der Akademie der Künste, der Schriftsteller Adolf Muschg, nahm in seiner Begrüßung schon etwas von der Ehrung vorweg, indem er den Heinrich-Mann-Preisträger für Essayistik, Ivan Nagel, in eine Reihe stellte mit dem Namensgeber der Ehrung.

Heinrich Mann war im amerikanischen Exil nicht mehr so wirksam wie noch in Frankreich, als er das erste Jahr des Hitler-Faschismus bilanzierte und dieses erste Resümee seiner Emigration fast noch hoffnungsfroh überschrieb: "Das überstandene Jahr." Dieter Mann trug diese Bilanz zum Abschluss des Abends vor. Ivan Nagel hatte sich diesen Text gewünscht, weil dieser ganz ohne den - in der Politik im Nachhinein immer sehr beliebten - Konjunktiv "ach, hätte man doch!" auskam.

Zuvor aber sprach Luc Bondy über seinen verehrten Freund Ivan Nagel, der ihm, dem 1948 geborenen Sohn ihrer Heimat entwurzelter Eltern, auch Lehrer war. In Nürnberg hat er ihn kennen gelernt. Da war Nagel gerade Theaterintendant am Schauspielhaus in Hamburg geworden. Wahrscheinlich rührt von dieser raschen Trennung nach dem ersten Kennenlernen Bondys Überraschung, was man alles in Nagels geschriebenen Werken finden kann, wenn man sie sich nach Jahren wieder vornimmt und gründlich liest. So hörte es sich jedenfalls an, was Luc Bondy in seiner Laudatio hervorhob.
Luc Bondy sprach auch über die Kunst Ivan Nagels, Schwachstellen einer Inszenierung zu erkennen und zu benennen, und er lobte seine feinsinnige Interpretation der beiden "Maja"-Bilder von Francisco de Goya. Das Buch sei geschrieben wie ein Kriminalroman.

Ivan Nagel hatte seinen Vortrag unter das Motto "Man hätte bloß …" gestellt. Das war der Titel eines Aufsatzes von Louis Sebastian Mercier aus dem Jahr 1798, in dem er auf die Ereignisse der Französischen Revolution zurückblickte. Es ist der Konjunktiv, mit dem misslungene Geschichte revidiert werden soll, mit dem der Zurückblickende seine Klugheit herausstellt und also schlussendlich als Held da steht. Nach seinem langen Blick in die französische Geschichte kam Ivan Nagel auf die Gegenwart und fragte sich und uns, ob sich aus Geschichte lernen lasse und warnte aus eigener Lebenserfahrung.

Schließlich kam Ivan Nagel, der im letzten Jahr das sehr lesenwerte "Falschwörterbuch" über die beschönigenden Wörter in der Politik der Gegenwart vorlegte, auf erst kurz zurückliegende Ereignisse der Zeitgeschichte: Den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Angriffskrieg Amerikas gegen den Irak. Er hat das letzte Thema in seinem "Falschwörterbuch" bereits ausführlich dargestellt. Das Stichwort "Krieg und Lüge am Jahrhundertbeginn" mag hier ausreichen. Ivan Nagel hob hervor, dass in den amerikanischen Parlamenten das "Man hätte bloß…" fröhliche Urständ feierte. Die Struktur des Irak-Krieges sei dabei völlig vergessen worden. Ivan Nagel warnte am Schluss seines Vortrags:

" Wir – ich schließe Amerika in dieses "wir" ein – müssen heute aufpassen, uns von keinen rückwärts gedrehten Wünschen an jedem nüchternen Erkennen hindern zu lassen. "