Heimkino

Eine Chronik der Leipziger Verhältnisse

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Etwa 300.000 Menschen demonstrieren am 23.10.1989 in Leipzig für Reformen und demokratische Erneuerung in der DDR. © picture alliance / Kimmo Mantyla
Von Matthias Dell · 29.08.2015
Zwischen 1987 und 1997 hat Andreas Voigt fünf Dokumentarfilme über Leipzig gedreht - sie erzählen von Aufbruch, Hoffnung und Desillusionierung. Nun erscheinen seine Arbeiten auf DVD.
Der Traum des Dokumentaristen: Einmal mittendrin zu sein, da, wo es passiert. Das ist mit "Leipzig im Herbst" gelungen, dem bekanntesten Film von Andreas Voigt, den er gemeinsam mit Gerd Kroske zwischen dem 16. Oktober und 7. November 1989 gedreht hat. Am Anfang stehen die Leute applaudierend Spalier für die Kamera und begrüßen die Filmemacher wie Heilsbringer, ehe die Tonspur zu dem zentralen Satz dieser Tage wechselt:
"Wir sind das Volk, wir sind das Volk, wird sind das Volk!"
"Leipzig im Herbst" ist zu einem Teil Fernsehen und wäre heute wohl ein Potpourri aus lauter Handyfilmen – eine atemlose Materialsammlung, Nahaufnahme eines historischen Umbruchs, die so nur gemacht werden konnte in diesem Moment, da die Menschen vor wie hinter der Kamera das freie Sprechen entdecken, noch höflich und brav, wie in der Schule gelernt, die Antwort aus der Frage bildend.
In der zweiten Hälfte von "Leipzig im Herbst" wird dann schon historisiert, werden die Ereignisse von der entscheidenden Demonstration aus dem Herbst 1989 rekonstruiert, von jenem 9. Oktober, an dem der Staat sich schließlich entschied, nicht auf seine Bürger zu schießen, die an dem Abend zu Hunderttausenden über Leipzigs Straßen zogen. Oder wie der zuständige Sekretär für Agitation und Propaganda resümiert:
"Es ging nicht um eine Entscheidung für den 9., sondern am 9. ging es um Entscheidungen, die über den Tag hinausreichen."
Voigts "Leipzig-Filme" sind Protokolle einer Desillusionierung
In gewisser Weise gilt das auch für Andreas Voigts Arbeit. Der Leipziger Herbst wird zum Ausgangspunkt für weitere Filme, für Chroniken der Folgejahre, die in der DVD-Veröffentlichung nun gebündelt vorliegen. Und durch die man sehen kann, was aus dem Volk von 1989 geworden ist. Überspitzt ließe sich mit einer Gruppe Näherinnen aus "Große weite Welt", dem bislang letzten Film von 1997, antworten:
"Rentner, Rentner, Angestellter, Umschüler, Rentner, Rentner, Rentner"
Die gute Laune ist nicht selten Galgenhumor, Voigts "Leipzig-Filme" sind Protokolle einer Desillusionierung: Die Hoffnungen aus der Wendezeit haben sich selbst da nicht erfüllt, wo materieller Wohlstand herrscht. Die großen Ideen vom anderen Leben erschöpfen sich in Reisen, Hobbys, wildem Feiern oder bürgerlichen Lebensentwürfen. Der "Papa" genannte Redskin Sven, der Karriere bei der Bundeswehr macht, sagt 1997:
"Das, was ich mir eigentlich immer erhofft hatte, hat sich so ziemlich im Sande verlaufen. Ich wollte halt immer, dass sich irgendwie eine Einheit bildet zwischen der ganzen Gesellschaft, dass es nicht in einem Land diesen riesengroßen krassen Unterschied zwischen arm und reich gibt, aber jetzt hab ich halt mitbekommen, dass man daran nichts ändern kann, und versuch ich halt einigermaßen im Strom mit zu schwimmen."
Wiederbegegnung mit einer skurrilen Figur jener Jahre
Solchem Pessimismus liegt die Annahme zugrunde, dass es das nun gewesen sei mit der Geschichte. Dabei ist die Erzählung der "Leipzig-Filme" von heute aus betrachtet keineswegs abgeschlossen, weisen doch gerade die aktuellen rassistischen Aufwallungen gegenüber Flüchtlingen zurück in die frühen 90er-Jahre. In "Glaube, Liebe, Hoffnung", dem vierten "Leipzig-Film", hat Andreas Voigt auf der Suche nach Ursachen für die Gewalt mit Neonazis gesprochen, wie dem inhaftierten Dirk, der teilweise erstaunlich reflektiert ein Programm rechten Terrors beschreibt.
"Meiner Ansicht nach ist das ganz natürlich und ganz normal, ob es richtig ist oder nicht, das ist dann erst mal zweitrangig. Meiner Ansicht nach greift das Volk die unterste Stufe an, die für das Volk erreichbar ist, und das sind die Asylbewerber, die Asylanten. Die Politiker, die die eigentlichen Schuldigen sind an diesem Debakel, die haben eine Leibwache um sich geschart, und an die kommen wir leider nicht ran, zumindest noch nicht."
Leider entziehen sich die rechtsradikalen Protagonisten der Langzeitbeobachtung, die Voigts "Leipzig-Filme" auch sind. Denn gerade aus deren Entwicklung ließe sich vielleicht besser verstehen, wie die Zwickauer Zelle möglich war, woher der Hass von Pegida kommt.
Interessant ist die DVD-Edition nicht zuletzt, weil sie zur Wiederbegegnung mit einer skurrilen Figur jener Jahre einlädt – dem Baulöwen genannten Jürgen Schneider, dessen münchhausenhafter Investitionsbetrug bei der Sanierung von historischen Immobilien aus heutiger Sicht beinahe romantisch wirkt. In "Glaube, Liebe, Hoffnung" klopft Schneider als Herold der neuen Zeit gegenüber einem Taxifahrer jovial Sprüche, mit denen man kurze Zeit später, als er aufgeflogen war, sich über ihn selbst hätte amüsieren können.
"Sie haben schon ein bisschen was vom marktwirtschaftlichen Denken mitgekriegt, hehe."
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