Heimatreise

Bulgarische Tristesse

Von Jörg Plath · 17.12.2013
Der einst aus Bulgarien geflohene Autor Ilija Trojanow zeigt seine Heimat als Land der Stagnation. Fotos von sozialistischen Monumenten im Verfall illustrieren den tristen Eindruck.
Bulgarien wird sich nicht unbedingt glücklich schätzen, dass zwei angesehene deutsche Schriftsteller das Land recht gut kennen. Sibylle Lewitscharoff, deren Vater aus Bulgarien in die Bundesrepublik einwanderte, lässt im Roman "Apostoloff" ihrem Abscheu über die balkanischen Zustände freien Lauf, und auch Ilija Trojanow, der 1971 mit seinen Eltern nach Deutschland floh, schildert in "Hundezeiten", wie trost- und hoffnungslos ihm das postkommunistische Land auf vielen Reisen erschien. Für die Zusammenarbeit mit dem Fotografen Christian Muhrbeck hat sich Trojanow wieder einige Monate in Bulgarien aufgehalten. "Wo Orpheus begraben liegt" heißt ihr faszinierender Band, der von einem sehr fernen, archaischen Land zu erzählen scheint.
Ein Esel grast vor einem Flieger-Denkmal.
Ein Esel grast vor einem Fliegerdenkmal.© Fotograf: Christian Muhrbeck
"Wo Orpheus begraben liegt" ist kein Fotobuch und keine Reportage mit Fotos. In zwei eigenständigen Erzählweisen, mit zwei eigenwilligen Handschriften nähern sich der Schriftsteller und der Fotograf in neun Kapiteln ihrem Gegenstand. Beide Autoren präsentieren Innenansichten: Muhrbeck, 1969 in Berlin geboren und derzeit in Bulgarien lebend, ist mit seiner Kamera mittendrin: am Küchentisch nach der Mahlzeit, inmitten der Ziegenherde, die um ruinöse Plattenbauten zieht oder bei den Donaufischern in Sichtweite der großen Chemiefabrik, die die Bestände dezimiert. Er zeigt auch einige Stadtszenen: verfallene sozialistische Monumente, dazu das Graffito "Forget your past", Hochhäuser am Strand.
Bulgarien ist Europa sehr fern, doch dem Betrachter sehr nah
Die Linien stürzen, die Szene lebt, der Augenblick ist nicht eingefroren, sondern in großer Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit eingefangen. Dass die Gesichter oft zerfurcht oder doch gezeichnet sind von der Ahnung kommender Furchen und dass die Umgebung heruntergekommen und ärmlich wirkt, lässt die Szenerien wie aus fernen Zeiten wirken. Das Bulgarien dieser Fotografien ist Europa sehr fern, aber dem Betrachter sehr nah, zuweilen wie eine Erinnerung an das Leben der Großeltern.

Ein Schafhirte zieht vorbei an leerstehenden Hochhäusern.
Schafhirte zwischen leerstehenden Hochhäusern.© Fotograf: Christian Muhrbeck

Eine Frau steht im ersten Stock eines halb verfallenen Hauses.
Eine Frau steht im ersten Stock eines halb verfallenen Hauses.© Fotograf: Christian Muhrbeck
Auch Ilija Trojanow, mit dem Roman "Weltensammler" (2006) bekannt geworden und jüngst als Kämpfer gegen staatliche Überwachung, sucht die Nähe: Er fängt das Stimmengewirr einer großen Sippe ein, montiert die Stimmen der Roma, die vom Müll leben, und resümiert in kargen Worten das Leben des ehemaligen Minenarbeiters, der mit beschädigten Lungen in einer Hütte auf dem Land sein Leben fristet. Zum Clanunwesen, der Umweltverschmutzung, der Bespitzelung, der Korruption und bitterster Armut tritt bei Trojanow Politisches: Ein Priester rechtfertigt seine Spitzeltätigkeit vor der Wende, eine junge Journalistin aus der Hauptstadt erfährt in der Provinz, wie verschlungen die Lebenswege zwischen den Diktaturen verliefen.
Trojanow wütet mit Bedacht über die umfassende Stagnation seit der Wende. Auch Muhrbeck zeigt auf seinen Fotografien, die jede für sich eine Geschichte zu erzählen scheinen, dass das Alte die Gegenwart beherrscht. Er zeigt zudem, dass es sich dennoch leben lässt in Bulgarien und nicht ohne freudige Augenblicke. Nur ohne größere Hoffnungen.

Ilija Trojanow: Wo Orpheus begraben liegt
Fotografien von Christian Muhrbeck
Carl Hanser Verlag, Berlin 2013,
212 Seiten, 24,90 Euro

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