Heimatgefühle

29.11.2010
Der Essayist Asfa-Wossen Asserate, eingewanderter Prinz aus Äthiopien, versucht nach seinem Bucherfolg "Manieren", Deutschland noch besser zu verstehen. Er liebt Dinge, die die Meisten nicht mögen, und er lehnt ab, was die Mehrheit gut findet.
Ende der 60er, als Asfa-Wossen Asserate nach Deutschland kam, hörte er diese Ansage zum ersten Mal und sie sollte ihm immer wieder begegnen: "Draußen nur Kännchen!". Diese Erfahrung blieb für den eingewanderten äthiopischen Prinzen ein Stück neue deutsche Heimat.

Wenn er heute noch auf Menükarten den äußerst selten gewordenen Hinweis auf den Kännchen-Zwang entdeckt, dann weiß er: "Hier bin ich zu Hause." Und das meint er gar nicht mal ironisch. Was soll die internationalisierte Latte-Macchiato-Kultur? Die Kännchen erinnern ihn ein wenig an seine äthiopische Heimat, wo Kaffee-Trinken extrem unpraktisch sein kann, weil es Zeit braucht und es keine Pappbecher "to go" gibt.

Asserate, der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, trauert der deutschen Gemütlichkeit hinterher. Er hält auch an Dingen fest wie dem deftigen Sonntagsbraten, dem gepflegten Bierchen und der dazugehörigen "Gaststube". Er dankt Friedrich II. für die Einführung der Kartoffel, freut sich über Kartoffelsalat (aber mit Öl und Essig, nicht mit Mayonnaise!); er liebt das angeblich gute deutsche Frühstück (man achte auf die vielen Brotsorten), er vergöttert den Rheinischen Sauerbraten.

Die Kulinarik nimmt einen großen Platz ein in diesem episodischen Büchlein, aber sie steht neben anderen Liebeserklärungen: zum Beispiel an die Institution der Autorenlesung in Provinzbuchhandlungen – oder an die Deutsche Bahn. Wer auf die Bahn schimpfe, solle doch die Äthiopien-Djibouti-Bahn ausprobieren, deren Pünktlichkeit nach Tagen und nicht nach Minuten gemessen wird.

Aber Asserate lässt es bei den Lobgesängen nicht bewenden. Er vermisst auch vieles. Die Kultur des Dienens zum Beispiel. Der Prinz, der mit Kammerdienern groß geworden ist, meint damit nicht Unterwerfung, sondern Dienen auf Basis gegenseitigen Respekts. Warum gibt es in Deutschland keine Schuhputzer? Weil die Deutschen meinen, diese Dienstleistung sehe nach einer unterwürfigen Geste aus. Für Asserate ein Missverständnis. Dienen sei eine Meisterschaft, die genauso viel Respekt verlange wie andere Tätigkeiten.

Sein Buch liest sich generell wie eine Absage an den Drang vieler Deutscher nach einer unvermittelten, moralisch korrekten "Echtheit", die das Leben eher schwierig und anstrengend mache. Formen, Rituale, Symbole – davon brauchen die Deutschen nach Meinung des Autors nach viel mehr. Das gilt auch für die Sphäre des Politischen. Deutsche zieren sich mehrheitlich, frei heraus die Nationalhymne zu singen. Und sie respektieren ihre politischen Institutionen nicht genug, meint Asserate. Und dann verlangen sie genau dieses umso intensiver von Einwanderern – wie ihm.
Asfa-Wossen Asserate ist ein seltener Vertreter der aristokratischen Salonliteratur in Deutschland. Er bewegt sich als hochgebildeter Beobachter durch das deutsche Geschehen. Er hält den Deutschen keinen Spiegel vor, er unterhält sie – und dies mit charmant gestelzter Ironie, gepflegtem Snobismus und einer altertümlichen Stilistik, die aus der Welt gefallen scheint. Asserates Perspektive auf Deutschland hat etwas Tröstendes, denn er setzt uns in Relation zum Rest der Welt; zeigt, wie der Hang zur Selbstzerfleischung die Freude an Deutschland vermiest.

Besprochen von Vladimir Balzer

Asfa-Wossen Asserate: Draußen nur Kännchen. Meine deutschen Fundstücke
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2010
189 Seiten, 18,95 Euro
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