"Heilig Abend" von Daniel Kehlmann in Wien

Zwei Standpunkte mit Sprengkraft

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Von Christoph Leibold · 02.02.2017
"Heilig Abend" heißt das neue Stück von Daniel Kehlmann: Kommt es zu einem Bombenattentat oder nicht? Darum geht es 90 Minuten lang bei der Wiener Uraufführung. Doch nicht Menschen, sondern Ideen treten hier zum Showdown an.
Sie ist Professorin und philosophiert über Gewalt als legitime Form des Protests gegen eine ungerechte Gesellschaft. Er ist Verhörspezialist und versucht herauszufinden, ob es sich bei ihren Überlegungen um ein reines Gedankenspiel handelt, oder aber ob sie in die Planung eines Terroranschlags verwickelt ist, der unmittelbar bevorzustehen scheint – um Mitternacht. Es ist Heilig Abend, 22.30 Uhr. Die Zeit läuft.
Daniel Kehlmanns neues Stück bezieht seine Spannung daraus, dass der Autor auch die Zuschauer lange im Unklaren darüber lässt, ob es das Bombenattentat geben wird oder nicht. Seine Sprengkraft indes gewinnt der Text aus der Kollision zweier Standpunkte, die auf je eigene Weise an aktuell drängenden Problemen rühren.
In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt? Wie weit darf einerseits der Staat dabei gehen, im Namen der allgemeinen Sicherheit Grundrechte zu verletzen? Und wann ist damit andererseits ein Punkt erreicht, an dem sich Bürger – notfalls mit Gewalt – gegen diesen Staat zur Wehr setzen dürfen.

Meinungen im Gleichgewicht

Die Stärke des Stücks ist es, dass sich Kehlmann auf keine Seite schlägt. Allerdings hat er sich etwas zu sehr um Ausgewogenheit bemüht. Mitunter erscheinen seine Figuren als bloße Vertreter der Ansichten, die gleichgewichtig gegeneinander ausgespielt werden. Nicht Menschen, sondern Ideen treten hier an zum Showdown.
Dass Herbert Föttinger, der Regisseur der Uraufführung, die Gewichte verschiebt, ändert daran auch nichts, bringt das Stück aber aus der Balance. Anders als vom Autor vorhergesehen, lässt der Josefstadt-Intendant den Ermittler auch körperlich übergriffig werden. Brutal stößt er die zu Verhörende gegen die Fensterscheibe, durch die das Publikum die in einen neonlicht-beschienenen Glaskasten gesperrten Figuren (Bühne: Walter Vogelweider) beobachtet. Der Polizist kommt in Föttingers Inszenierung eindeutig schlechter weg als die Professorin.
Das empfindliche Gleichgewicht, das Kehlmann so sorgfältig herbeikonstruiert hat in diesem Wellmade Play, ist damit gestört – und der Zwiespalt, in den er den Zuschauer stürzen wollte, weitgehend dahin.
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