Héctor Abad: "La oculta"

Der Terror in den Tropen

Der 220 Meter hohe Berg El Penon in Guatape in Kolumbien.
Das Hochland Kolumbiens: ein wunderschönes, aber u.a. wegen des Drogenkrieges über viele Jahre hinweg ein gefährliches Gebiet. © imago/ZUMA Press
Von Sigrid Löffler · 11.07.2016
Héctor Abad erzählt in "La oculta" vom Aufstieg und Fall der Familie Ángel. Sie wandern von Spanien ins tropische Hochland Kolumbiens aus, gründen eine herrschaftsfreie Landkommune und werden als Kaffeebauern und Viehzüchter reich. Doch dann beginnt eine Gewaltspirale, die alle Utopien platzen lässt.
Die steinalte Matriarchin der Familie Ángel aus Jericó im tropischen Hochland Kolumbiens ist tot, ihre drei Kinder – Eva, Pilar und Antonio – erben La Oculta, die Verborgene, die Finca an ihrem verwunschenen Nebelurwald-See, Paradies, Zufluchts- und Schreckensort zugleich. Was tun mit dem Familiensitz, dem letzten schönen Rest der einst riesigen Kaffee-Plantage samt Viehzucht-Hacienda?
Eva, die Rastlose, reist durch die Welt und wohnt zwischendurch in Medellín; Antonio, der schwule Orchestergeiger, lebt seit langem mit seinem Partner in New York; einzig Pilar, die Häusliche, ist ortsfest und hängt mit ihrer Familie an der Finca als ihrem Lebensort.

Wie in Tschechows "Kirschgarten"

Verkauf und Parzellierung in eine Sommerhaus-Kolonie für reiche Großstädter sind so unausweichlich wie in Tschechows Tragikomödie "Der Kirschgarten". Nur sind es statt der alten russischen Kirschbäume die edlen Teak- und hundert Jahre alten Regenbäume, die gefällt werden. Der See wird abgelassen, zurück bleibt ein stinkender Sumpf.
Héctor Abad, dem kolumbianischen Journalisten und Autor, geboren 1958 in Medellín, ist mit seinem Roman "La Oculta" Mehreres zugleich gelungen: Er erzählt die Aufstiegs- und Verfallsgeschichte der Familie Ángel, eingewanderter Sepharden aus Spanien, die in Kolumbien ihr Judentum fast vergessen haben und erst durch die Archiv-Forschungen des Familien-Chronisten Antonio wieder daran erinnert werden.
Antonio gräbt auch die Erinnerung an ein gelungenes Gesellschaftsexperiment aus: Die Kolonie Jericó wurde einst gegründet als utopisches Modell einer herrschaftsfreien Landkommune; die Ángels als Mitbegründer der Siedlung gelangten durch Kultivierung der Wildnis zu ihrem beträchtlichen Wohlstand als Viehzüchter und Kaffee-Bauern.

Hymne auf die Schönheit der Tropenlandschaft

Ein Reichtum, der wieder verloren geht – durch die Weltwirtschaftskrise und durch die ewigen kolumbianischen Bürgerkriege. So verborgen La Oculta auch liegt, wird die Finca doch heimgesucht von Gewalt und Terror durch revolutionäre linke Guerillas, rechte Paramilitärs und räuberische Drogenbanden, die durch Menschenraub und Geiselnahme Löse- und Schutzgeld erpressen, die Finca zwischendurch niederbrennen und Eva ums Haar ermorden.
So spiegelt Héctor Abad im Format des Familienromans, der dreistimmig, abwechselnd, von innen und von außen, aus der Perspektive der Geschwister Eva, Pilar und Antonio erzählt wird, die Geschichte Kolumbiens von der Gründung der Kolonie über die Zerrüttungsjahrzehnte der Bürger- und Drogenkriege bis heute.
Doch im Herzen ist Abads Erzählung ein inniges und wehmütiges Preislied auf alles Vergangene und Zerstörte: eine Hymne auf die Schönheit der üppigen Tropenlandschaft seiner Heimatregion und ein Abgesang auf La Oculta, die Geschändete und Verschwundene, voll sehnsüchtiger Trauer um dieses verlorene Paradies und seine in die Diaspora verstreuten angestammten Bewohner.
Abads rückwärtsgewandtem Blick entspricht auch der Erzählgestus: solides, gediegenes, althergebrachtes Sprachhandwerk.

Héctor Abad: "La Oculta"
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Berenberg Verlag, Berlin 2016
352 Seiten, 25 Euro

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