Hebräischer Chor in Berlin

Gesang mit Gemeinschaftsgefühl

Ein Notenständer mit einem geöffneten Notenheft, welches durch zwei orangefarbene Klammern befestigt ist.
Ein Notenständer mit einem geöffneten Notenheft. © imago / Westend61
Von Astrid Pietrus · 08.04.2016
Heterogener geht es kaum: Im Hebräischen Chor Berlin singen Israelis und Deutsche, Juden und Christen, Laien und ausgebildete Musiker aus allen Altersklassen. Das Repertoire reicht von bekannten israelischen Liedern bis hin zu Eigenkompositionen des 26-jährigen Chorleiters Ohad Stolarz.
In einer Kirche in Berlin-Mitte probt der Hebräische Chor Berlin. Jeden Dienstagabend treffen sich dort rund 30 Sängerinnen und Sänger. Eine Gruppe, die heterogener kaum sein könnte: alle Altersgruppen sind vertreten von Anfang 20 bis Anfang 80. Gemeinsam singen Israelis und Deutsche, Juden und Christen, Laien und ausgebildete Musiker. Gesprochen wird überwiegend Englisch, aber auch Hebräisch und Deutsch.
Katharina Eesmann war mit ihrem jüdischen Lebensgefährten in der Synagoge und hat dort vom Chor gehört. Seit einem halben Jahr ist die erfahrene Chorsängerin nun dabei.
"Ich finde den Chorleiter sehr gut, der ist sehr engagiert, sehr mitreißend und präzise. Er ist diszipliniert, fordert auch Disziplin von den Chormitgliedern und ist so vorwärtstreibend. Der hat ein Ziel, der hat 'ne Vision und das finde ich begeisternd. Das ist wirklich schön, da mitzumachen."
Ohad Stolarz ist der Chorleiter. Er ist 26 und studiert ab Sommer in Berlin Chordirigieren. Entstanden ist der Hebräische Chor Berlin zufällig. Seine Freundin Lior Stern ist Sängerin und war Babysitterin bei einer deutschen Familie, die in Israel gelebt hatte. Die Mutter war auf der Suche nach einem hebräischen Chor. Lior erzählte Ohad davon und wenige Wochen später fand die erste Probe statt.

"Herausforderung in einem guten Sinne"

Das Repertoire ist bunt gemischt: bekannte israelische Lieder, die Ohad für den Chor neu arrangiert hat oder Stücke, die er selbst komponiert hat. Hin und wieder singen sie auch jüdisch-liturgische Musik. Für Ohad Stolarz und seinen Chor ist die hebräische Sprache das Hauptmotiv:
"… und die Kultur, die aus der Sprache kommt, israelische Kultur, jüdische Kultur. Wir können auch deutsche Musik singen, Musik in deutscher Sprache, solange sie uns relevant ist und zwar Musik zum Beispiel Texte von jüdischen deutschen Dichtern. Ich habe zum Beispiel einen Text für Chor gesetzt von Otto Weid, der die Blindenwerkstatt in Berlin Mitte während des Krieges geleitet hat und damit die jüdischen Mitarbeiter gerettet."
Ohad und seine Freundin haben viele befreundete Musiker mit in den Chor gebracht. Eine davon ist Maria Gilman, sie ist Flötistin. Sie liebt die Mischung aus säkularen und liturgischen Liedern. Besonders die Kompositionen und Bearbeitungen von Ohad gefallen ihr, die haben es in sich:
"Es ist für mich, obwohl ich eine Musikerin bin, auch musikalisch herausfordernd. Manchmal kommen so komische Rhythmen oder komische Intervalle vor, dann muss ich nachdenken, hm, wie sing ich das und das macht mir immer sehr viel Spaß. Es ist eine Herausforderung in einem guten Sinne."
Dekel Peretz ist in der 3. Klasse aus dem Chor ausgeschlossen worden. Dieses Kindheitstrauma wollte er im Hebräischen Chor Berlin aufarbeiten. Seit eineinhalb Jahren ist er schon dabei und merkt, dass auch er Potenzial hat. Für die Vielfalt des Chores ist er dankbar:
"Es ist schön, dass das klappt. Es ist gar keine Selbstverständlichkeit, dass Leute, die super singen können, dass die zusammen mit Leuten wie ich, die kaum singen können, zusammen singen würden. Und das ist eine große Meisterleistung, einmal von dem Chorleiter, der die Geduld hat und die Fähigkeit, das alles zusammenzubringen, auch für die, die sehr gut sind, dass sie die Geduld haben. Das zeigt auch, dass die Anziehungskraft dieses Chores ist nicht nur der Gesang, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl."

Hebräische Texte in lateinischer Lautschrift

Für die Deutschen im Chor ist es nicht immer einfach, mit dem Hebräischen zurechtzukommen. Bei einem neuen Lied üben sie gemeinsam die Aussprache und verteilen Übersetzungen. In den Notenblättern steht der Text dann in lateinischer Lautschrift.
"Es fällt mir schwer, die Partitur zu lesen und gleichzeitig den Text. Aber ich komme rein, es ist okay, es geht gut."
Salomea Genin ist das älteste Chormitglied. Siebenmal schon hat sie in ihrem Leben versucht, Hebräisch zu lernen und jedes Mal wieder aufgegeben:
"Ich kann nicht genügend Hebräisch, um die Subtilitäten eines Liedtextes zu verstehen, was ein ganz großer Nachteil ist, aber die Melodien sind so wunderschön. Es macht mir Spaß, hier zu sein, mitzusingen und ich brauche Spaß in meinem Leben."
Ohad Stolarz ist es wichtig, immer offen für neue Chormitglieder zu sein, auch dann, wenn sie keine Noten lesen können oder kein Hebräisch sprechen:
"Weil wir so können unsere interessante, spannende Mischung, Mischung von Musik, Mischung von Menschen, Mischung von Kulturen, so können wir das immer weiter entwickeln. Manchmal macht es schwierig, aber Kunst ist nie einfach, Chorgesang ist nie einfach, neue Sprachen zu lernen nicht einfach, aber mit Geduld und mit Übung geht das."
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