Hebbels "Der Untergang der Nibelungen"

Familie Rumpelstilz

Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
Das Berliner Gorki-Theater vergibt mit den "Nibelungen" wieder eine Chance, ernst genommen zu werden, kritisiert Michael Laages. © picture-alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Michael Laages · 23.10.2014
Siegfried als Macker, Kriemhild als Party-Schnepfe: "Der Untergang der Nibelungen" in Sebastian Nüblings Regie bietet auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters viel oberflächliches Getue. Das reicht für den Hebbel-Stoff allerdings nicht aus.
Wie die Lemminge drängen sie ins Nichts: Familie Burgund beim Showdown in der Burg des Hunnenkönigs Etzel. Treu wollen sie sein bis in den Tod – das ist der Stoff, aus dem Legenden wurden. "Nibelungentreue", also Zusammenhalt gegen jede Rest-Vernunft, selbst wo es nur noch darum geht, den schlimmsten Finsterling zu schützen, der das willige Werkzeug aller Intrigen war daheim in Burgund am Rhein – das ist einer der Schlüsselbegriffe, die aus den mittelalterlichen Stoff heraus destilliert wurden in den dunkleren Zeiten deutscher Geschichte. Wer nicht hier ansetzt, im tendenziell suizidalen Treue-Begriff des Stoffes, braucht sicher gar nicht erst anzufangen mit Friedrich Hebbels monströsem Theaterstoff.
Darum nimmt natürlich auch Sebastian Nübling, Hausregisseur am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und der neueste Nibelungen-Interpret, dieses Thema ins Visier. In öffentlichen Gesprächen vor der Berliner Hebbel-Premiere und gemeinsam mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, hat er in "Fazit" zu den eigenen Regie-Plänen Stellung bezogen (Audio). Er wies allerdings auch darauf hin, dass ihn die Verortung der alten Nibelungen im deutschen Hier und Heute eher weniger interessiere.
Beten einer deutschen Litanei
Nun aber ist speziell das Finale aktuell wie nie. Den finstren Herrn Hagen von Tronje, in Dimitrij Schaads cooler Haltung einer der (wenigen) Pluspunkte des Abends, haben die Verwandten längst verlassen (anders als bei Hebbel). Jetzt sitzt er auf dem Präsentierteller für die "Kill Bill"-Schwerter der rachedurstigen Hunnen, und betet im Angesicht des Endes eine komplette deutsche Selbstbewusstseins- und Selbstbehauptungslitanei herunter. Die schwächelnde Wirtschaft? Wird schon wieder. Die deutsche Rolle in der Welt? Ist demnächst noch wichtiger als bisher. Weltmeister sind wir schon, Brasilien haben wir 7:1 geschlagen – nichts als historische Triumphe, wohin das Auge schaut. Und so also bramarbasiert ausgerechnet der mörderischste Funktionär des burgundischen Königshauses – wenn das kein zeit-aktueller Kommentar ist.
Überhaupt ist "Der Untergang der Nibelungen" unter Nüblings Regie ein Stück Gegenwart vom ersten Augenblick an. Eine (schon zu Beginn) stark ramponierte S-Klasse unter dem Stern von Zuffenhausen steht auf der Bühne, als einziges Requisit (das amüsanterweise von unten, aus der Unterbühne herauf, betreten werden kann – schöner Trick!). Mit dieser Vorzeige-Karre kommen die Burgund-Brothers gerade vom Raubzug zurück. Drinnen im Auto wummert Disco-Lärm, und wenn die Herren heraus treten, zucken noch Hüften und Schultern als Folge der geilen Party, die wohl bis gerade eben dauerte. Im Kofferraum haben sie eine echte Spezialität mitgebracht: Brünnhilde, ein magisches Weib, das (so erfahren wir gleich) der Burgunden-Gast Siegfried für Oberburgunder Gunther erobert hat. Dass diese männliche Hilfe dringend nötig war, bekommen wir auch gleich zu sehen – denn diese massive Walküre ist in Berlin ein aufgebrezelter Kerl.
Siegfried als ewiger Macker
Später übrigens ist der wilde Hunnenkönig Etzel ein ziemlich zartes Mädel. Und schon in den ersten Minuten hat Nüblings Team fast jede Chance verspielt, den Stoff und die Figuren halbwegs ernst zu nehmen. Modernistisches Gemache und Getue auf der einen Seite (Kriemhild ist auch nur so eine Party-Schnepfe, mit ganz viel Gucci im Kopf und sonst gar nix!), daneben die optische Demontage der an sich extrem seriösen Brünnhilde-Figur – was soll danach schon noch kommen.
Nicht viel, in der Tat – Siegfried (Taner Sahintürk) swingt als ewiger Macker zwischen den hysterischen Frauen (Till Wonka und Sesede Terziyan). Und nur in der noch hysterischeren chronischen Dauerüberforderung des Lächerlings Gunther (Tim Porath, als Rumpelstilz so etwas wie der Star des Abends) kommt so etwas wie Tiefe in das Karussell der Comicfiguren. Immerhin wird deutlich, wie brummend dumm diese Kriemhild agiert, wenn sie Siegfrieds Verletzlichkeit verrät. Mit dem folgenden Rachegeschrei ist das aber auch nicht wettzumachen. Spürbar wird in einigen Besetzungen wieder mal die latente Schwäche des Gorki-Ensembles.
Offene Bemühung um Kompression
Im zweiten Teil (in dem Kriemhild an der Seite des neuen Gatten Etzel Rache nehmen will) schwächelt auch die Regie beträchtlich – für die offene Bemühung um Kompression des Stoffes auf zweieinhalb Stündchen ist hier viel, sehr viel Tribut zu zahlen. Zumal zusätzlich ziemlich viele Kommentarpassagen zum Hebbel-Text ins Spiel kommen. Und außer der "Kill Bill"-Assoziation, mit Schwertern, weißen Hemdchen und kurzen Hosen über weißen Söckchen, findet sich kein echter Gedanke mehr. Effekte sind alles.
Wer "Nibelungen" spielen will, kommt nur mit Oberflächen wie hier nicht aus. Große Behauptungen (wie vor bald 30 Jahren bei Jürgen Flimm in Hamburg, wie vor 15 Jahren bei Frank Castorf in Berlin) liegen weltenweit entfernt. Und nicht mal die ehrliche Beglaubigung der Quasi-Unspielbarkeit des Stückes kam Nübling in den Sinn. Die Gorki-Bühne meint wohl, im Theater des Jahres sei derart kleine Mode-Münze wie hier allemal genug. Damit vergibt das Theater wieder eine Chance, ernst genommen zu werden jenseits aller postmigrantischen Programmatik.

Der Untergang der Nibelungen
Trauerspiel in drei Abteilungen von Friedrich Hebbel
Regie: Sebastian Nübling
Maxim Gorki Theater Berlin

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