Hebbel am Ufer in Berlin

Ensemble aus Film, Livemusik und Geräusch

Theater Hebbel am Ufer (HAU) Berlin
Das Hebbel am Ufer in Berlin: Hier probieren sich die beiden Regisseure aus. © dpa/picture alliance/Paul Zinken
Von Tobi Müller · 26.03.2015
Im HAU in Berlin mischt das Regie-Duo Daniel Kötter und Hannes Seidl in ihrer Projektreihe "Ökonomie des Handelns" auf der Bühne gekonnt verschiedene Genres: Film, Livemusik, Geräusche. Und am interessantesten werden die Stücke, wenn sie inhaltlich an ihre Grenzen stoßen.
Wer seine Kunstwerke "Kredit" und "Recht" nennt und zu zwei Teilen einer "Ökonomie des Handelns" erklärt, sitzt am großen Tisch, gleich neben dem Weltgeist. Das Konzeptbesteck ist für Riesen mit Doktorweihen gemacht, könnte man denken. Auf der Bühne geschieht zum Glück was anderes. Diese musiktheatralischen, filmischen, hörspielnahen und auch wieder konzertanten Abende auf mehreren Kanälen sind besonders stark, wenn das große Wort nicht geführt, sondern fein zerlegt wird. Beide Arbeiten des Duos Kötter & Seidl – der eine Filmer, der andere Komponist – ziehen die Zuschauer in Zonen, wo die scheinbar rationalen Systeme wie eben die Banken oder das Recht flackern, knirschen, surren.
"Kredit" pirscht sich langsam an seinen Gegenstand heran. Der Film, dessen Tonspur gelöscht wurde, zeigt die Skyline der Bankenstadt von weitem, bei Nacht im Grünen gefilmt. Drei Geräuschemacher und Klangleute auf der Bühne imitieren Tierstimmen, der Tag kommt über Frankfurt am Main und damit die Krise. Schön, wie wir im Auto Richtung Zentrum fahren und Radio hören: Der eine Sender macht ein Spiel aus der Finanzkrise, der andre hat Poesie zur Hand – André Schmidt und Dunja Funke sitzen vor dem Mikrofon, halten sich die Nase zu oder sprechen in Plastikbecher. Und es ist wie immer in solchen Orgien der Transparenz: Dass wir zusehen können, wie das alles gemacht wird, mindert die Wirkung kein bisschen. Die Kamera simuliert in der Folge einen Reporterstil aus dem Kriegsgebiet: Von weit weg herangezoomt, von außen nach innen durch Glas und Türen hindurch, sehr verwackelt und immer wieder total unscharf treten Banker ins Feld und fallen wieder aus ihm heraus.
Ganz lustig, ein paar Mal - mit der Zeit ermüdet es
Die Sprecher auf der Bühne synchronisieren sie. Zentraler Satz: "Es ist etwas passiert, das außerhalb unseres Systems lag". Wir hören ihn am Vormittag des gefilmten Tages mehrmals, wir hören ihn am Abend bei einem Empfang mt Strippern. Das Böse ist außerhalb: Das ist eine verständliche Reaktion auf die Erschütterungen auf den Finanzmärkten. Man weiß nicht weiter, außer die Stirn in Falten zu legen. Schlimm, aber nicht unser Fehler. Oder? Ein Chor singt Choräle, als wäre es ein Requiem, das Mühe hat, sich Gehör zu verschaffen im anschwellenden Lärm. Denn mit der Zeit spielt die Stadt selbst eine Rolle, auch akustisch. Sicherheitsleute werden nah gezeigt, während man Protestrufe hört (zur Erinnerung: jedes Klangereignis wird auf der Bühne hergestellt). Die Fassaden werden hektisch abgeschwenkt. Baustellen, noch mehr Bewachung, Autos. Mit dem Flugzeug hebt der Film wieder ab und verlässt Frankfurt in der Nacht. Elektronische Bässe bestimmen den Sound. Ein bisschen Ruhe verschaffen nur ein paar schöne Bilder von leicht abgeranzten Vorstandsetagen - Teppiche, Flure, Glas, keine Menschen.
Vieles, das gesprochen wird, sind keine Synchronisationen. Wir hören theoretische Texte, die kaum ein Banker morgens um neun zum Diktat durchgibt (obwohl eine wiederkehrende Stelle von Jacques Attali sein könnte, einem Theoretiker mit Bankenerfahrung). Das ist ganz lustig. Ein paar Mal. Mit der Zeit wirkt es altklug, und ermüdet auch ästhetisch, wenn der Film ständig absichtlich die Schärfe verliert, weil man so besser irgendeinen Text auf der Bühne performen und als Synchronisation behaupten kann. In solchen Momenten richtet sich das Stück fast gegen seine Methode: Zum einen führt das Ensemble aus Film, Livemusik, Geräusch und Sprache sehr sinnfällig vor, wie unfassbar, unverstehbar die Maschine läuft, und zum anderen hören wir doch wieder Texte, die aus der Distanz eine Übersicht beanspruchen. Vielleicht wäre dieser kleine Mangel einfach zu beheben: Wenn man etwas mehr über die Arbeit und den Alltag der Banker erfahren hätte.
Musikalische genauso wie gesellschaftliche Fragen
"Recht", die jüngere Arbeit, verfährt im Prinzip gleich, aber setzt die Mittel anders ein. Kötter & Seidl sind kein One Trick Pony, sie können mehrere Kunststücke, und das ist nicht selbstverständlich in einer Theaterlandschaft, die Marken belohnt (zum Beispiel das Nature Theater of Oklahoma, das seit Jahren genau eine Idee hat, nämlich eine Biografie einer jungen Frau aufgrund von Transkriptionen mehrerer Telefongespräche zu inszenieren). "Recht" zeigt einen Film mit Ton. Eine Gruppe von, wir vermuten: zur Mehrheit, Rechtswissenschaftlern hat 24 Stunden Zeit, ein neues Rechtssystem zu entwerfen, eine neue politische Philosophie auszurufen, eine neue Ordnung zu postulieren, die möglichst keiner Ver-Ordnung gleichkommt.
Ein schönes Bild, wenn der Vorlauteste der Gruppe Anzug trägt und im nassen Gras rumsitzt, denn dieser Workshop findet unter Zelten statt, auf einer kleinen Insel in der Nähe von Schengen, jenem Ort, der der Festung Europa ihren Namen leiht. Das Ensemble Nadar ist im Film zu sehen, aber auch auf der Bühne. Ihre Musik ist parallel zu verstehen zu den Problemen der Juristen auf Klassenfahrt: Sie wirkt frei, ist aber bestimmt zu weiten Teilen notiert. Oder doch nicht? Gibt es ein gutes Recht, das man top down sprechen kann, also von oben nach unten? Wo sind meine Grenzen, wo jene des Gegenübers, lassen sich die vereinen? Das sind sicher musikalische genauso wie gesellschaftliche Fragen. Und wie in "Kredit" erscheint auch "Recht" da am sinnfälligsten, wenn die ganzen Vorsätze und Theoreme selbst an ihre Grenzen stoßen: Wenn die Nacht und das Trockeneis rufen im Zeltlager, wenn auch der Cellist mal Hunger hat, der Morgen zu kalt ist, die Reste vom Abend noch rumliegen und Schengen noch immer steht wie eine eins.
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