Haynes: Forschung hat großen Entwicklungssprung gemacht

John Dylan Haynes im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 28.12.2009
Der Hirnforscher John Dylan Haynes über den Zusammenhang zwischen Gedanken und Hirnaktivität sowie seine Versuche, Gedanken zu lesen.
Klaus Pokatzky: Herzlich Willkommen, John Dylan Haynes, Herr Haynes, ein kleiner Test: Was denke ich gerade?

John Dylan Haynes: Ich bin mir sicher, dass Sie sich gerade mit dem Interview beschäftigen, aber das könnte ich auch ohne einen Kernspintomographen leicht in Erfahrung bringen.

Pokatzky: Also, wann werden Sie mehr wissen? Wann werden Forscher, Hirnforscher wie Sie, vielleicht tatsächlich nicht nur logisch ableiten – weil das liegt jetzt auf der Hand, dass ich an das Interview denke –, wann sind Sie soweit, dass Sie wirklich Gedanken lesen können, Sie oder kommende Generationen von Hirnforschern?

Haynes: Die Forschung hat in den letzten paar Jahren einen großen Entwicklungssprung gemacht, und zwar deswegen, weil man moderne, statistische Verfahren angewendet hat auf Messungen der Hirnaktivität. Ich kann das mal ganz kurz erklären, wie das funktioniert. Es ist so, dass jeder Gedanke, den ein Mensch hat, mit einem unverwechselbaren Muster der Gehirnaktivität einhergeht, das heißt, wenn Sie etwas bestimmtes denken, stellt sich ein bestimmtes Aktivitätsmuster ein, wenn Sie was anderes denken, stellt sich ein anderes Aktivitätsmuster ein.

Pokatzky: Und das sehen Sie im Gehirn?

Haynes: Das können wir mit dem Kernspintomographen, also einem Messverfahren, mit dem wir die Hirnaktivität räumlich darstellen können, damit können wir das messen.

Pokatzky: Was sehen Sie da genau im Computer, sehen Sie da unterschiedliche Farben, unterschiedliche Schattierungen oder was sehen Sie da?

Haynes: Man stellt das … Erst mal sind das nur Daten, abstrakte Zahlen und diese Zahlen visualisiert man dann. Man stellt die dann bildlich dar anhand von Farbkodierung und man schaut sich dann zum einen die Bilder an, aber zum anderen lässt man auch einen Computer diese Aufgaben rechnen und zwar deswegen, weil man mit dem bloßen Auge in den Bildern nicht viel erkennt. Man muss dann erst mal einen Computer programmieren, eine sogenannte Mustererkennung durchzuführen. Das ist also … Man trainiert den Computer, bestimmte typische, charakteristische Kennzeichen in den Bildern zu erkennen, die auf bestimmte Gedanken hinweisen.

Pokatzky: Das ist jetzt genau die Zeit, wo wir vielleicht, was wir immer in unserer Reihe "Moderne Einsteins" machen, eine kleine Umfrage einspielen können, zum heutigen Thema natürlich lautete die Frage: Ist Ihnen – also den Befragten – die Hirnforschung unheimlich?

Person 1: Ich finde Hirnforschung einfach nur interessant, weil es einem ganz viel helfen kann, zum Beispiel wie man was lernt oder wie man was sich merken kann und so was, und da denke ich, dass man das auf sein alltägliches Leben übertragen kann.

Person 2: Also, ich hab mal von einem Hirnforscher gehört, der war mir sehr unheimlich, der hat nämlich den Leuten dann Löcher ins Gehirn gebohrt und hat gesagt, er heilt sie somit.

Person 3: Die glauben einfach, man muss da gucken, wo auf irgendwelchen Monitoren es aufblinkt und dann könnte man rausfinden, was die Menschen für Gedanken haben, wie überhaupt das Gehirn funktioniert.

Pokatzky: Herr Haynes, finden Sie das selber auch manchmal unheimlich, dass Sie quasi den Menschen in die Köpfe schauen können?

Haynes: Natürlich stellt man sich immer diese Frage, ob man das darf und wie gut das ist und ob das unheimlich ist, was man da in seiner Forschung treibt. In meinen Augen befinden wir uns im Moment so stark am Anfang. Also, die Möglichkeiten, die Gedanken auszulesen, obwohl sie diese rasanten Entwicklungsfortschritte gemacht haben in den letzten Jahren, sind doch noch sehr beschränkt. Das heißt, wir können einfache Gedanken, Alternativen auslesen. Es muss also jetzt im Moment keiner Angst haben, dass er zu seiner Kernspin-Untersuchung fährt und wir dann nebenbei auch noch die Gedanken dieser Person auslesen, während sie beim Arzt ist. Vor so was muss man keine Angst haben, wenn man jetzt in die Röhre geht.

Pokatzky: Aber Sie haben – und das ist ja das, womit Sie sich jetzt einen Namen schon gemacht haben in einem, wenn ich das so sagen darf, relativ jungen Alter noch, mit 38 Jahren, Sie haben ja herausgefunden, dass bei bestimmten, einfachen Tätigkeiten oder in Anführungsstrichen Entscheidungen, die wir dann zu treffen haben, dieses bereits sieben oder zehn Sekunden vorher im Gehirn ablesbar ist. Wenn ich dann also eine einfache Tätigkeit mache, können Sie das im Computer quasi schon vorher sehen. Was sind das für Tätigkeiten?

Haynes: Das sind ganz einfache Entscheidungen. Man muss etwas wählen, was man mit einem Probanden gut in einem Scanner machen kann. Wir können jetzt den Probanden nicht bitten, eine Lebensentscheidung zu fällen, so à la, soll ich in Hamburg oder in Berlin studieren? Oder, soll ich mir das rote oder das grüne Auto kaufen? Wir müssen ganz einfache Alternativen nehmen. Da nehmen wir dann Dinge wie, die Person soll sich frei entscheiden zwischen einem linken Tastendruck und einem rechten Tastendruck, also eine Taste zu drücken mit der linken oder der rechten Hand - so ganz einfache Entscheidungen. Und die Frage ist jetzt: Zu welchem Zeitpunkt entscheidet sich die Person? Wenn ich mich da entscheiden muss, ob ich Kaffee oder Tee trinken möchte, dann gibt es irgendeinen Zeitpunkt, wo ich das Gefühl habe: Jetzt habe ich mich entschieden. Die Frage ist: Wo kommt diese Entscheidung her? Man hat ja den Eindruck, das ist der freie Wille, der auf einmal sich materialisiert und dann in die Welt eingreift und mein Verhalten steuert. Die Frage ist aber: Was passiert möglicherweise, bevor ich diese Entscheidung fälle, im Gehirn? Entsteht diese Entscheidung möglicherweise aus unbewusster Hirnaktivität? Und das haben wir mit unserer Forschung zeigen können.

Pokatzky: Das heißt also, sind wir da quasi ferngesteuert und gar nicht so frei in unseren Entscheidungen, wie wir das immer denken?

Haynes: Man sagt, … Also, ich finde das sehr wichtig, dass Sie das jetzt aufgreifen. Die Frage, ob man ferngesteuert ist – das wäre man, wenn man gesteuert würde durch externe Faktoren, also wenn jetzt die Umwelt einen steuern würde. Es gibt ja auch bestimmte Situationen, wo das der Fall ist. Aber in diesem Fall ist es recht einfach: Ihre Gehirnaktivität und Ihre Persönlichkeit, das ist ein- und dasselbe, das sind zwei verschiedene Art und Weisen, mit denen Ihre mentalen Zustände und Ihre neuronalen Zustände gegeben sind. Wenn Sie Erlebnisse haben, diese Erlebnisse werden realisiert durch Ihre Hirnaktivität, das heißt, Sie dürfen jetzt nicht – also das machen viele – den Fehlschluss machen, dass das Gehirn einem gegenübersteht und einen kontrolliert. Das Gehirn, das sind Sie, das ist Ihre Person, die ist in der Hirnaktivität codiert.

Pokatzky: Wie trifft der Hirnforscher John Dylan Haynes seine eigenen Entscheidungen? Treffen Sie die heute anders als früher, bevor Sie angefangen haben zu forschen?

Haynes: Bei mir war es ein bisschen anders. Ich habe überhaupt angefangen mit diesem ganzen Thema, ich hab angefangen, Psychologie zu studieren, weil ich mich früher sehr viel mit Mathematik und Problemlösen beschäftigt habe, einfach aus Spaß, noch als ich in der Schule war, und hab mich immer gewundert, dass ich an irgendeinem kniffligen Problem gesessen habe und nicht auf die Lösung gekommen bin. Und dann hab ich was ganz anderes gemacht, ich hab zum Beispiel abgewaschen oder ich hab mein Fahrrad geputzt, irgendwas ganz Belangloses, und auf einmal ist mir immer die Lösung in den Sinn gekommen, wie so ein Aha-Erlebnis. Und ich habe mich immer gefragt: Wer hat denn jetzt eigentlich diese Lösung für mich verarbeitet? Mein Gehirn scheint da unbewusst weitergearbeitet zu haben an der Lösung des Problems und hat dann mir nur das Ergebnis gemeldet und auf einmal hatte ich dann die Erleuchtung, was die Lösung des Problems war. Diese Frage, die stand für mich ganz am Anfang. Deswegen bin ich in die Psychologie gegangen und später in die Hirnforschung, um solche Fragen beantworten zu können. Was kann das Gehirn unbewusst für uns tun? Wie hilft uns das Unbewusste dabei, unsere alltäglichen Probleme zu lösen? Das sind Fragen, die mich interessieren und die mich motiviert und inspiriert haben, mit diesem Forschungsthema anzufangen.

Pokatzky: Vergessen Sie manchmal auch Dinge und wundern sich hinterher darüber?

Haynes: Die Frage ist: Vergessen muss konstruktiv sein, man muss das Irrelevante weglassen und das Wichtige muss man sich merken. Und dabei kann einem das Vergessen tatsächlich ganz gut helfen. Ich gehe zum Beispiel davon aus, dass ich mir im Bereich der Forschung die wichtigen Dinge merke und damit über die ganzen irrelevanten Details dann auch hinwegschauen kann.

Pokatzky: Der Deutschengländer John Dylan Haynes hat ein ganz eigenartiges Hobby: Er baut nämlich Fitnessgeräte zu Musikinstrumenten um. Seit wann macht das der Deutschengländer John Dylan Haynes?

Haynes: Ja, seit ungefähr zwei bis drei Jahren mache ich das, mit zwei Kollegen von mir, mit Tom Fritz und Carlo Crovato, in Leipzig. Das ist ein Kunst-Musik-Projekt, wo es um die Frage geht: Kann man mit mehr körperlichem Einsatz Musik machen? Früher, Sie kennen das von klassischen Musikinstrumenten, wenn Sie zum Beispiel Geige spielen oder eine Gitarre, dann sind das ganz kleine Bewegungen, aber diese ganz kleinen Bewegungen werden genutzt, um sehr starke Gefühle auszudrücken. Und die Frage ist, ob man möglicherweise zurückkehren kann dazu, dass man den ganzen Köper einsetzt, um mit dem ganzen Körper Musik zu machen. Und wenn man jetzt auf einer Fitnessmaschine ist und damit Musik produziert, dann verausgaben Sie sich vollkommen, einfach nur, um damit dieses musikalische Gefühl zu erzeugen, das sie damit haben können.

Pokatzky: Aber welches Fitnessgerät bauen Sie denn jetzt zu welchem Musikinstrument um?

Haynes: Ja, das funktioniert so, dass wir eine Reihe von Fitnessinstrumenten benutzen. Wir haben zum einen den Zugturm, wo man draufsitzt und dann die Gewichte runterzieht, und dann haben wir so einen Bauchmuskeltrainer, wo man also Sit-ups macht und da muss man so eine Stange bewegen, das ist also gut für die Bauchmuskeln, und zum anderen haben wir so Stepper [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich].

Pokatzky: Wo Sie drauf laufen.

Haynes: Genau.

Pokatzky: Laufband.

Haynes: Genau, und mit denen kann man dann, das läuft dann digital, wir steuern dann damit einen Computer und können dann damit Musik erzeugen.

Pokatzky: Hilft das bei Ihrer Arbeit?

Haynes: Absolut. Ich kann es Ihnen empfehlen, es ist eine der schönsten Erfahrungen, die man machen kann im Leben, ist, eines dieser Instrumente zu spielen.

Pokatzky: Danke an den Hirnforscher John Dylan Haynes, wie alle anderen Interviews aus unserer Reihe "Moderne Einsteins" ist auch dieses nachzuhören unter www.dradio.de, und vergessen wir nicht das Relevante: Am nächsten Freitag hören Sie dann im Gespräch den Herzchirurgen Axel Haverich.