Haushaltsdebatte

"Die schwarze Null ist nicht notwendig"

Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf einer Pressekonferenz in Berlin
Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung © imago / CommonLens
Peter Bofinger im Gespräch mit Dieter Kassel · 27.11.2015
Der Ökonom und Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat sich für eine Stärkung inländischer Wachstumsimpulse ausgesprochen. Das "krampfhafte Festhalten an der schwarzen Null" sei nicht sinnvoll: So blieben viele Chance ungenutzt, die das Land voranbringen könnten.
Der Ökonom Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, hält eine Stärkung inländischer Wachstumsimpulse für sinnvoll. Aus ökonomischer Sicht sei eine Verwirklichung der "schwarzen Null" nicht zwingend notwendig, sagte Bofinger im Deutschlandradio Kultur. Man müsse vielmehr die Frage stellen, welchen Bedarf es für öffentliche Investitionen gebe, etwa im kommunalen Bereich oder auf dem Feld der Bildungspolitik. Der deutsche Staat könne sich derzeit quasi zu Null-Zinsen Geld an den Kapitalmärkten beschaffen und müsse daher auch mögliche Renditen prüfen:
"Und wenn man dann krampfhaft an der schwarzen Null festhält, dann lässt man einfach Chancen ungenutzt, mit denen man das Land voranbringen könnte", betonte Bofinger. Er ist auch Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten Wirtschaftsweisen.
Neuverschuldung könnte positive Impulse setzen
Eine Neuverschuldung des Bundes könne positive Impulse setzen, so Bofinger. Er ging dabei besonders auf die "massiven Probleme" der Kommunen durch die Flüchtlingsproblematik ein:
"Weil sie sehr viel Sozialausgaben haben, wenig Geld haben für Investitionen. Und das ist dann so eine Art Teufelskreis nach unten. Weil eben nicht genug investiert wird, ist die Stadt auch weniger attraktiv."
Deswegen sei es sinnvoll, diesen betroffenen Kommunen zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, um damit deren Infrastruktur voranzubringen, forderte Bofinger:
"Um eben auch für die Öffentlichkeit ein Zeichen zu setzen, dass es jetzt den Menschen in Deutschland nicht schlechter geht, weil die Flüchtlinge da sind."
"Die deutsche Wirtschaft steht gut da"
Insgesamt stehe die deutsche Wirtschaft gut da, sagte Bofinger vor dem Hintergrund der heute zu Ende gehenden Haushaltsdebatte des Bundestages:
"Nach allen Prognosen wird die wirtschaftliche Entwicklung wohl auch im nächsten Jahr positiv sein. Der Arbeitsmarkt läuft gut, den Unternehmen geht es gut. "
Damit sei es durchaus realistisch, dass die schwarze Null trotz der zusätzlichen Belastungen für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen erreicht werden könne. Bofinger warnte jedoch auch:
"Aber das Ganze steht natürlich unter sehr vielen Fragezeichen. So dass man jetzt noch nicht die Champagnerflasche aufmachen sollte auf die schwarze Null des Jahres 2016."


Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Im Bundestag werden heute Vormittag erst mal die Beratungen zum Bundeshaushalt 2016 abgeschlossen und anschließend wird er dann beschlossen. Es geht um ungefähr 317 Milliarden Euro, für die keine neuen Schulden gemacht werden sollen. Es geht also wieder um die berühmte schwarze Null, die der Finanzminister, wenn das denn funktioniert, dann das dritte Mal in Folge schon hinbekommt – wenn das denn funktioniert. Das ist die Frage! Steht Deutschland wirtschaftlich wirklich so gut da, dass das alles möglich ist?
Das wollen wir jetzt von Peter Bofinger wissen, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, und, wenn ich richtig gerechnet habe, das inzwischen dienstälteste aktuelle Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also der sogenannten Wirtschaftsweisen. Schönen guten Morgen, Herr Bofinger!
Peter Bofinger: Schönen guten Morgen!
Kassel: Wolfgang Schäuble ist so stolz auf seine schwarze Null, aber wird das wirklich realistischerweise klappen, keine Neuverschuldung bei diesem Haushalt?
Bofinger: Ich könnte mir das schon vorstellen. Die deutsche Wirtschaft steht ja gut da. Nach allen Prognosen wird die wirtschaftliche Entwicklung auch im nächsten Jahr positiv sein, der Arbeitsmarkt läuft gut, den Unternehmen geht es gut. Von daher, denke ich, ist das durchaus realistisch.
Herr Schäuble nimmt ja in diesem Jahr einen Betrag von 500 Milliarden, den er nicht braucht, und schiebt den ins nächste Jahr, damit, denke ich, ist durchaus die Möglichkeit da, dass er die schwarze Null wieder realisieren kann. Aber das Ganze steht natürlich unter sehr vielen Fragezeichen, sodass man jetzt, glaube ich, noch nicht die Champagnerflaschen aufmachen sollte auf die schwarze Null des Jahres 2016.
Rund 14 Milliarden zusätzlich für Flüchtlinge
Kassel: Eines dieser Fragezeichen hat natürlich mit der Zahl der Flüchtlinge zu tun, die zu uns kommen. Wenn wir, Herr Bofinger, zunächst einmal – wir können gleich noch darüber reden, ob das realistisch ist –, aber zunächst mal davon ausgehen, dass die Prognosen stimmen, die besagen, in diesem Jahr eine Million, im nächsten Jahr 750.000 Flüchtlinge, wenn es wirklich so kommt, sind dann die Summen, die für Aufnahme, Unterbringung, Integration et cetera vorgesehen sind, realistisch?
Bofinger: Ja, wir haben ja genau mit diesen Zahlen im Sachverständigenrat ein Szenario mal durchgerechnet. Und wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst bei eher ungünstigen Annahmen maximal zusätzliche Belastungen in 2016 gegenüber 2014 von etwa 14 Milliarden zu erwarten sind. Und ich denke, das bewegt sich auch mit dem, was jetzt auch der Herr Schäuble in seinen Berechnungen hat.
Kassel: Aber Sie haben zum Beispiel ja vorhin schon gesagt, im Moment ist eines der positiven Signale die niedrige Arbeitslosigkeit. Das ist ja eine reine Rechengeschichte, da muss man nicht zaubern, in die Zukunft gucken können, die wird natürlich auch steigen durch die Flüchtlinge.
Bofinger: Ja, aber ich denke, das sind Zahlen, die sich dann auch zunächst einmal noch in relativ engen Grenzen halten. Also, vielleicht 100.000 oder 200.000 mehr in 2016. Also, das dauert, bis sich das wirklich auf dem Arbeitsmarkt durchwirkt. Und wie dann tatsächlich die Beschäftigung der Flüchtlinge sein wird, das muss man ja auch mal sehen. Wir haben dabei ja auch das Problem, dass wir keine guten Angaben darüber haben, wie qualifiziert diese Menschen sind. Und es ist natürlich auch herauszufinden, wie gut sie sich dann tatsächlich qualifizieren lassen.
Nicht nur Kosten, sondern auch Chancen durch Zuwanderung
Kassel: Nun widersprechen sich Wirtschaftsexperten ja immer bei der Frage, ob uns das am Ende sogar eine höhere Wirtschaftsleistung bringen wird, die Flüchtlinge, oder ob es uns Geld kostet. Die Tageszeitung "Die Welt" hat in dieser Woche sogar geschrieben, lasst uns ehrlich sein, unser Wohlstand wird geringer werden durch die Flüchtlinge. Halten Sie das für Unfug?
Bofinger: Ich glaube, man sollte mit all diesen Prognosen sehr vorsichtig sein, weil eben wirklich die Informationslage sehr schlecht ist. Aber ich denke, man sollte sehen: Es sind natürlich nicht nur Kosten, sondern es sind auch Chancen da. Es sind sehr junge Menschen, und ich denke, viele sind ja auch wirklich in einer sehr verzweifelten Lagen in ihren Ländern aufgebrochen und sind auch motiviert, hier bei uns sich eine Existenz aufzubauen. Also, den Kosten, die ganz klar da sind, stehen sicher auch Chancen gegenüber, dass junge Menschen kommen. Wir haben in Deutschland das Problem der Demografie, wir haben das Problem des Facharbeitermangels, also, ein positives Potenzial ist da auf jeden Fall gegeben.
Kassel: Ich habe es vorhin live versprochen, dass wir es tun, also tun wir es jetzt bitte auch noch, das sind die Zahlen, mit denen auch Sie operieren, eine Million Flüchtlinge 2015, 750.000 2016, aber wie realistisch sind denn diese Zahlen überhaupt?
Bofinger: Also, als Ökonom bin ich sicher nicht geeignet, jetzt Prognosen für Flüchtlingsströme zu machen. Es ist klar, diese Prognose unterstellt, dass dieser Zustrom abnimmt, dass es gelingt, den Zustrom einzudämmen. Aber wie das realisiert werden kann, das ist Aufgabe der Politik. Und wie tatsächlich die Zahlen im Jahr 2016 aussehen, ich glaube, das muss wirklich offen bleiben. Es geht einfach darum, dass man etwa die Größenordnung zumindest abschätzen kann.
Schwarze Null als fast religiöses Symbol?
Kassel: Ich habe das Gefühl manchmal, Herr Bofinger, dass diese schwarze Null, auf die Herr Schäuble immer so stolz ist – also keine Neuverschuldung voraussichtlich, diesmal sogar schon im dritten Jahreshaushalt, wenn das klappt 2016 –, dass diese schwarze Null regelrecht zu einem religiösen Symbol schon erhoben wurde. Wie wichtig ist denn und wie bedeutend ist denn diese schwarze Null?
Bofinger: Aus ökonomischer Sicht ist es überhaupt nicht zwingend, diese schwarze Null zu verwirklichen. Denn als Ökonom würde man sich fragen, welche Bedarfe gibt es denn für öffentliche Investitionen, sei es jetzt im kommunalen Bereich, sei es im Bildungsbereich, welche Renditen bringen die. Und wenn man da davon ausgehen kann, dass relativ gute Ertragschancen da sind, dann muss man sehen, dass jetzt der deutsche Staat sich quasi zu Nullzinsen Geld an den Kapitalmärkten beschaffen kann. Und wenn man dann krampfhaft an der schwarzen Null festhält, dann lässt man einfach Chancen ungenutzt, mit denen man das Land voranbringen könnte.
Und man muss ja auch sehen: Wenn der deutsche Sparer zu Recht sich beklagt, dass er keine Zinsen bekommt, dann hat das auch damit zu tun, dass keine Schuldner mehr da sind. Und der Staat war ja in der Vergangenheit ein traditioneller guter Schuldner, der auch gut Zinsen bezahlt hat. Und wenn der jetzt sagt, das mache ich nicht mehr, dann ist das auch ein Problem für unsere Sparer. Das ist ein Punkt, der, glaube ich, oft nicht so gesehen wird.
Mehr Geld für die Kommunen
Kassel: Darf ich das als Laie folgendermaßen zuspitzen: Würde der Bund neue Schulden machen im nächsten Jahr, wäre das möglicherweise positiv für die deutsche und vielleicht sogar internationale gesamtwirtschaftliche Entwicklung?
Bofinger: Eindeutig! Wir würden sicher Impulse setzen. Und wie gesagt, es gäbe auch die Chance, dass die Zinsen wieder etwas höher wären. Und ich denke ja, gerade wenn man jetzt diese Flüchtlingsthematik diskutiert, dass wir sehr viele Kommunen haben in Deutschland, die schon jetzt massive Probleme haben, weil sie sehr viel Sozialausgaben haben, wenig Geld haben für Investitionen. Und das ist dann so eine Art Teufelskreis nach unten, weil eben nicht genug investiert wird, ist die Stadt auch weniger attraktiv.
Und deswegen könnte ich mir schon vorstellen, dass man jetzt Kommunen, die im großen Stil auch jetzt Flüchtlinge aufnehmen und die aber jetzt schon Probleme mit ihrer Infrastruktur haben, dass man denen auch zusätzliche Mittel gibt. Also nicht nur das Geld, das man benötigt, um jetzt diese Flüchtlinge zu versorgen. Sondern dass man ihnen zusätzlich Geld gibt, um ihre Infrastruktur voranzubringen, um eben auch für die Öffentlichkeit ein Zeichen zu setzen, dass es jetzt den Menschen in Deutschland nicht schlechter geht, weil die Flüchtlinge da sind.
Schwarze Null ist "Symbolpolitik"
Kassel: Wäre das nicht auch sinnvoll, im Inland zu investieren, mit oder ohne Schulden, weil natürlich vieles, auch vieles in Ihren Prognosen auch noch davon ausgeht, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auf der Welt halbwegs stabil bleibt? Denn Deutschland ist immer noch eine Exportwirtschaft, aber wenn wir an mögliche Kosten des Terrors in vielen Ländern denken, an wirtschaftliche Entwicklungen in Europa, in Großbritannien, zum Beispiel möglicher Grexit, China in der Krise, muss man sagen, das ist doch alles gar nicht so sicher, dass das gut weitergeht?
Bofinger: Ganz klar, das weltwirtschaftliche Umfeld hat sehr viele Risiken. Wir gehen allerdings jetzt auch in unseren Prognosen davon aus, dass der Wachstumsimpuls im nächsten Jahr überwiegend aus dem Inland kommt, aber den zu stärken, indem man eben insbesondere den Kommunen, die schon jetzt oft sehr große Probleme haben, hilft, zusätzliche Investitionen vorzunehmen, ich glaube, das wäre eine sehr sinnvolle Sache. Und es wäre sehr viel sinnvoller als eine Symbolpolitik, die man mit der schwarzen Null bezeichnet.
Kassel: Sagt der Wirtschaftsweise und Professor für Volkswirtschaft an der Uni Würzburg Peter Bofinger über den Bundeshaushalt 2016, der in einigen Stunden – er wird noch eine Weile dauern – beschlossen wird und wo natürlich die berühmte schwarze Null eine große Rolle spielt. Herr Bofinger, vielen Dank fürs Gespräch!
Bofinger: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema