Haus sucht Bauer

Von Adolf Stock · 09.06.2010
Nicht nur der Osten Deutschlands, auch ländliche Gebiete im Westen sind vom demografischen Wandel betroffen: Junge Leute ziehen weg, Häuser stehen leer und verfallen. Beispiele aus der Region rund um Göttingen.
Die Burg Adelebsen liegt in der Nähe von Göttingen. Eine imposante Wehranlage mit Brunnen und Turm hoch oben auf einer Sandsteinnase, die seit dem 13. Jahrhundert bebaut worden ist. Hausherr ist heute Peter Graf Wolff Metternich.

"Es hat nicht viel zu tun mit Bauer sucht Haus oder irgendwas. Die Adelebsens waren große Bauern, aber hier oben haben sie sich nur verteidigt."

Im Rittersaal der Burg erzählt Graf Metternich von einer langen Familientradition und von den rasanten Veränderungen in der Landwirtschaft seit Mitte des letzten Jahrhunderts.

"Wie ich hierher gekommen bin, ich habe ein Praktikum gemacht im Jahre '49, und da wurde morgens unten geläutet, da stand der Inspektor, und es waren vorhanden zehn Gespanne Pferde, zehn Gespanne Ochsen, unzählige Schafe, unzählige Schweine und alles, was auf so einen Betrieb gehörte – und zwischen 40 bis 60 Leute, die dort arbeiteten. Wie wir uns zusammengeschlossen haben mit dem Hardenberg und so weiter, waren auf dieser Riesenfläche noch zwei Mitarbeiter, Treckerfahrer. Aus. Das war 's."

Kühe und Schweine wurden schon Ende der 80er-Jahre verkauft. In den weitläufigen Stallungen unten im Dorf stehen jetzt nur noch die Pferde vom Reiterhof.

Nicht nur das Gut, auch die Gemeinde hat große Sorgen. Demnächst wird das örtliche Sägewerk geschlossen, dann werden 200 Beschäftigte arbeitslos sein. Adelebsen wird in den nächsten Jahren um zwölf Prozent schrumpfen. Bis 2020 werden 550 Wohnungen überflüssig. Der demografische Wandel schreitet dramatisch fort. Junge Menschen ziehen weg, nur die Alten bleiben. Die Bevölkerungspyramide wird immer mehr zur Palme, und die alten Konzepte sind unbrauchbar. Das Häuschen am Ortsrand wird nicht mehr gebaut, weil junge Familien auf dem Land immer seltener sesshaft werden. Markus Baran, Leiter des Bauamtes des Flecken Adelebsen:

"Wir müssen den demografischen Wandel mit seinen Auswirkungen akzeptieren, und wir müssen vor allem lernen, damit umzugehen. Dabei ist völlig klar, dass der demografische Wandel ganz Deutschland verändern wird. Wohnungen und Häuser stehen leer, viele Gebäude sind durch sogenannte Unternutzungen geprägt. Es ist zu erwarten, dass sich in den nächsten Jahren Zahl und Umfang der Leerstände mit gravierenden Auswirkungen auf die Ortsbilder erhöhen wird."

Im benachbarten Verliehausen steht Ortsrat Gerhard Sommer vor der Scheune eines verlassenen Bauernhofs. Er kennt sein Dorf genau und dokumentiert alle Veränderungen.

"Wir haben noch knapp 400 Einwohner, wobei wir erschreckend, erschreckend keinen Nachwuchs haben. Wir haben hier mal im Dorf siebzehn Hofstellen gehabt, wir haben jetzt zwei noch."

Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind in der ganzen Region spürbar. Bodenfelde hat es besonders schlimm getroffen, sagt Dietrich Maschmeyer, Bundesvorsitzender der IG Bauernhaus.

"Wenn man aus dem Speckgürtel der Städte Göttingen und Kassel raus ist, fällt man in ein tiefes Loch überall. Und Bodenfelde ist wie das Gewitter der Pastorale, das ist jetzt der dramatische Höhepunkt."

Bodenfelde liegt idyllisch direkt an der Weser. Grüne Wiesen und Wälder, und doch ist der Ort ein schier hoffnungsloser Fall. Durch die Hauptstraße rollt der Fernverkehr. In der Mittagszeit ist keine Menschenseele zu sehen. Und es gibt auch keinen Grund, hierher zu gehen.

Dietrich Maschmeyer: "Auf der rechten Straßenseite sehen Sie ein großes Geschäft, was völlig leer steht, und gegenüber sehen Sie ein Haus, dessen Schaufenster auch nur noch mühsam dekoriert ist und dessen Obergeschoss ebenfalls nicht mehr bewohnt ist. Und wo wir jetzt hier vorbeigehen, haben wir dieselbe Situation, wie man an den Gardienen erkennt. Es ist also eine grauenhafte Situation, die sich hier im Ortskern abzeichnet. Also das sind Riesenläden, Riesenläden, ja ..."

Eingekauft wird woanders. Die Verbrauchermärkte und die Sparkasse sind an den Ortsrand gezogen. Bodenfelde ist Luftkurort, doch der Ortskern mit den alten Fachwerkbauten gleicht einer Geisterstadt.
Und man fragt sich besorgt, sieht so die Zukunft auf dem Lande aus?