Hauptstadtkultur

Letzte Phase

Neue Nationalgalerie Berlin
Warteschlange vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin: Die Impressionisten-Ausstellung 2007 war einer der Blockbuster-Erfolge, die dem Wahlberliner Francesco Masci gegen den Strich gehen. © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Ingo Arend · 01.05.2014
Diese Streitschrift ist sowohl Warnung vor einer Stadt, in der der Kommerz für tödliche Gleichmacherei gesorgt hat, als auch Kritik an dem unantastbaren Wert Kultur. Störend wirkt aber die unerbittliche Rhetorik des Endgültigen.
Welthauptstadt der Kultur und der Kreativen – die Selbstdarstellung, mit der die deutsche Metropole seit dem Mauerfall gern glänzt, hat etwas Großmäuliges. Andererseits: Sehr viel mehr als Kultur war auf der Brache des Kalten Krieges wirklich nicht zu holen, warum also nicht die materielle Not zur urbanen Tugend machen. Und ausgerechnet die soll nun in eine postpolitische Sackgasse führen?
So sieht es jedenfalls Francesco Masci. In seiner fulminanten Streitschrift "Ordnung herrscht in Berlin" holt der 1967 im italienischen Perugia geborene Philosoph zum großen Schlag gegen das liebgewordene Selbstbild der Hauptstädter aus. Es gehört schon einige Chuzpe zu der Behauptung, dass ausgerechnet die widerspenstige Kultur die herrschende Ordnung stabilisiert. In Berlin, so Masci, habe das "Regime der absoluten Kultur" Geschichte und Politik unter sich begraben und "das Unterhaltungsbusiness mit der Revolte" versöhnt. Für ihn ist Berlin nicht das neue Utopia, sondern ein postpolitischer nightmare.
Als Warnung vor einer von Kommerz und Fun zu Tode nivellierten Stadt lässt sich Mascis Text ebenso goutieren wie als radikale Kritik an dem sakrosankten Wert Kultur. Zielsicher spießt er deren Widersprüche vor Ort auf: Etwa wenn er sich darüber lustig macht, wie in Berlin besetzte Häuser zu Touristenattraktionen mutieren. Oder dass in einer Stadt so viele Kunstgalerien öffnen, in der es so wenig Kaufkraft gibt. Sein Pamphlet ist ein glänzendes Beispiel einer in Deutschland leider raren Essay-Kultur. Er lebt von paradoxen Verknüpfungen, eleganter Polemik und starken, philosophisch aufgeladenen Metaphern.
Oper, Berghain, Blockbuster: Alles in einem Topf
Es versteht sich, dass in einem solchen Text zwar messerscharf dekretiert, aber niemals empirisch bewiesen wird. Und mehr als einmal beschleicht einen der Verdacht, dass Masci zu viel in denselben Topf wirft: die Oper und das Berghain, den antikommerziellen Projektraum über dem Flagship-Store und die Blockbuster-Ausstellung. Der Wahlberliner unterschätzt zudem womöglich das, was er zu "Repräsentationskonflikten" herabstuft. Der "Revolutionäre 1. Mai" in Kreuzberg mag vielleicht wirklich nur "hedonistischer Krawall" für "angeheiterte fiktive Subjektivitäten" sein. Die Unruhen im Gefolge der Gentrifizierung der Stadt oder der Streit um das Tempelhofer Feld belegen aber, dass die "Logik der Entwirklichung" doch nicht ganz so bruchlos triumphiert, wie Masci meint.
Nicht nur hier brechen Konflikte auf, die mehr sind als folgenlose Ersatzbefriedigungen für die hedonistische Generation Easy-Jet, die sich mit dem Smartphone gern selbst bespiegelt. Abgesehen davon, dass Kultur nicht per se Widerstand bedeutet. Mascis Behauptung von der "Vermählung von Kritik und Ökonomie" ist so pauschal sicher unzutreffend. Und hätte, wer Geschichte und Politik einen Platz einräumen will, Berlin als ewige Trümmerlandschaft konservieren sollen?
An Mascis Pamphlet stört auch die unerbittliche Rhetorik des Endgültigen. Ständig dämmert irgendeine "letzte Phase der Entwicklungsgeschichte". Ständig ist etwas "unumkehrbar" oder "null und nichtig". Dazu kommt ein zwar beeindruckender, aber hypertropher Wille zum Stil. Ein Überbauphänomen, das wie der ultimative Beleg dessen wirkt, was Masci so vehement attackiert: die absolute Kultur.

Francesco Masci: Die Ordnung herrscht in Berlin
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2014
108 Seiten, 14, 90 Euro

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