Hauptstadt-Blues

Frohsinn mit Schnauze

Ein Narr mit den Landeswappen von Berlin und Brandenburg an der Kappe steht am 11.11.2013 zum Karnevalsauftakt vor dem Rathaus in Potsdam (Brandenburg). Die fünfte Jahreszeit dauert bis zum Aschermittwoch. Foto: Ralf Hirschberger
Kopf eines Rentners mit Karnevalskappe und dem Wappen von Berlin und Brandenburg © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Janine Kowalke · 27.01.2014
Viele Rheinländer tun sich schwer mit der Großstadt an der Spree, klagen über die Berliner Unfreundlichkeit, die berüchtigte Schnauze. Besonders hart ist es für sie in der Zeit des Karnevals.
"Also schon der Berliner hat ne freie Schnauze so sehr direkt, eher nörgelig motzend."
"Die Berliner pflegen gerne ihr Klischee der Berliner Schnauze hab ich erlebt: Ich ging in 'ne Bäckerei und wartete und vor mir stand so 'ne Flasche Bananenmilch. Und auf der wurde geworben: seit 1933. Und da hab ich gefragt, wo haben die denn 1933 die Bananen hergekriegt? Und er sagte: Ick glob, von den Bomen gepflückt. - Das war jetzt nicht so die Antwort, die man vielleicht erwartet hat."
"Als ich hochschwanger war - hier hochschwanger jemanden zu bitten und zu fragen ob ich mich setzen kann und der sagt: 'Nein!'- Das sind so Dinge, die dürfen nicht passieren, die sind undenkbar und die passieren dann aber trotzdem und das finde ich, finde ich schon erschreckend: Dass so ein paar Regeln des Zusammenseins überhaupt nicht mehr zählen."
Unfreundlich, direkt und motzig ist er, der Berliner. Im Städte- Ranking der Gesellschaft für Konsumforschung landet Berlin in puncto Freundlichkeit auf Platz 34. Von 50 Städten weltweit. Der Rheinländer hingegen ist freundlich, humorvoll und kontaktfreudig. Und feiert gerne.
Kölsch in Berlin
Es wirkt wie Rosenmontag in Köln. Das Kölsch fließt in Strömen, die Leute schunkeln und singen lauthals Karnevalslieder. Fehlen nur die Kostüme. Es ist aber nicht Rosenmontag in Köln, sondern ein stinknormaler Dienstag in Berlin. Der Sodaclub in Prenzlauer Berg platzt aus allen Nähten.
Wer zu nah an der Tanzfläche steht und nicht aufpasst, befindet sich plötzlich in einem riesigen Kreis von Menschen, die sich umarmen, schunkeln und singen, so als ginge es um ihr Leben.
Einmal im Monat gibt’s den "Kölner Abend" in Berlin. Karneval feiern die Rheinländer in der Ständigen Vertretung und im Gaffel-Haus. Kölsch gibt es sowieso in vielen Spätis und Kneipen der Stadt.
Manfred Hannes: "Ja es ist jetzt tatsächlich… - ich weiß nicht, ob das bewusst oder unbewusst war, aber man hat dann auch größtenteils seinen Freundeskreis unter Exil-Rheinländern gefunden."
Manfred Hannes, der lieber Hannes als Manfred genannt werden möchte, ist Bundesverwaltungsangestellter- und: Gründer und Präsident des Fanclubs des 1. FC Köln in Berlin. Die Rheinländer haben es sich in Berlin gemütlich gemacht. Kölsch, Karneval, Effzeh. Fast wie zu Hause. Eine kleine Parallelgesellschaft.
Ulrich Kelber: "Ja gut, Sie dürfen ja nicht vergessen mit dem Zwangsumzug von Parlament und Regierung sind natürlich Leute in einem Pulk hierher gekommen, die sich schon kannten. Und dass diese Freundschaften hier natürlich weiter gepflegt wurden, das ist klar, das ist natürlich anders als wenn sie einzeln irgendwo ankommen und sehr viel schneller dort reingehen."
Ulrich Kelber ist seit dreizehn Jahren "Bonns Abgeordneter in Berlin". Er pendelt zwischen den beiden Städten. Wenn es um Bonn geht, macht der SPD-Mann auch vor FDP-Politikern keinen Halt:
"Also es gibt die Bonn-Runde der Abgeordneten aus der Region Bonn, also ne kleine, wo dann die eine Millionen Einwohner Bonn Rhein Sieg, aber auch die große bis nach Köln, Rhein-Erft, Neuwied und so weiter in der wir uns treffen, über Partei-und Koalitionsgrenzen hinweg und auch besprechen, was ist im Moment wichtig bei uns. Und die Rheinländer können das ja auch, die stellen sich dann zusammen und trinken ein Kölsch. Und da das im Gegensatz zu anderen Bieren immer frisch ist, sind das dann auch immer frische Ideen."
Der knapp zwei Meter große SPD-Mann setzt sich unter anderem für die Erhaltung des Berlin/Bonn Gesetzes ein. Verabschiedet wurde das 1994, drei Jahre nach dem so genannten "Hauptstadtbeschluss", der Entscheidung, den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen. Dank des Berlin/Bonn-Gesetzes behielten noch sechs Ministerien ihren Hauptsitz in Bonn, zum Beispiel das Bundesministerium für Verteidigung.
Natürlich war es auch ein kleiner Trost für die damals schockierten Bonnerinnen und Bonner. Viele von ihnen protestierten Mitte der Neunziger gegen den Umzug der Regierung nach Berlin. Überall in der Stadt klebten die Aufkleber: "Umzug ist Unfug!" Und: "Wir brauchen keinen Umzug nach Berlin!"
Auch die Politiker taten sich schwer mit der Berlin-Entscheidung. Sie diskutierten lange und hitzig. Wolfgang Thierse plädierte für den Umzug der Regierung:
"Ich verstehe die Menschen, die sich gestern auf dem Bonner Marktplatz aus Sorge um ihre eigene Zukunft versammelt haben. Es müssen und sollten hier und heute nicht Hymnen auf die eine und Spottlieder auf die andere Stadt gesungen werden."
Die Wirklichkeit beider Städte – so unterschiedlich sie sind – widerspricht solchen Versuchen, die allzu leicht zu Karikaturen geraten. Beide Städte sind in jedem Falle grauer oder vor allem bunter als ihre Verzeichnungen, und Bonn ist eine glückliche Stadt.
Nein, es geht heute nicht um einen Wettstreit zwischen zwei Städten. Es geht vielmehr um die zukünftige gesellschaftliche und politische Entwicklung, nämlich um einen entscheidenden Schritt bei der Vollendung der Einheit Deutschlands."
Berlin gewann in der Bundestagsabstimmung 1991 knapp. Und so mussten tausende Rheinländer nach Berlin umziehen. Manfred Hannes, Mitgründer und "Präsi" des Fanclubs des ersten Effzeh Köln in Berlin ist einer von ihnen:
"Und als dann die Hauptstadtentscheidung kam war ich gerade mitten in der Ausbildung und naja, damals fand ich es irgendwie schon ein bisschen befremdlich wenn ich wüsste ich bleib jetzt in der Bundestagsverwaltung, dann müsste ich irgendwann auch in diese große böse Stadt aus meinem kleinen schnuckeligen Bonn raus, ich bin dann übernommen worden und hatte quasi acht Jahre Zeit mich darauf einzustellen. Ich bin dann 2000 nach Berlin gekommen, das war zwei Tage nach meinem dreißigsten Geburtstag und das war für mich auch so ein schöner Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt … - ich sach immer gerne dreißig Jahre Bonn reichen aus."
Die große böse Stadt beeindruckte Hannes schnell: endlos lange Straßen, große Häuser, unzählige Sehenswürdigkeiten. Er wollte eigentlich nach Prenzlauer Berg, wohnte dann aber in einer WG in Pankow. Im Ostteil der Stadt zu sein, war ihm wichtig:
"Ost-Berlin war damals noch nicht so saniert wies jetzt heutzutage ist, es war damals noch diese Aufbruchsstimmung, also Ost-Flair war für mich wirklich diese Aufbruchsstimmung, die Straßen selber hatten noch Kopfsteinpflaster, die andern Ampelmännchen, auch wirklich Ostberliner kennenzulernen, von denen ich ja auch nicht so viel wusste. Also DDR, mit der DDR bin ich aufgewachsen, für mich war das damals Ausland gewesen. So und man hat sich da wirklich erst Gedanken darüber gemacht als die Mauer gefallen ist, dass das ja tatsächlich irgendwie genauso Deutschland ist, wies die BRD auch war."
Hannes lernt hier seine erste Frau kennen und zieht in den Wedding, wo er bis heute lebt. Allerdings wieder ohne Frau, in einer WG. Er fühlt sich wohl in Berlin. Auch mit den neuen Kollegen kam er schnell gut klar. Und doch ist es irgendwie anders als zu Bonner Zeiten.
"In Bonn war es doch wesentlich lockerer gewesen halt und die Kollegen haben auch viel mehr miteinander unternommen und auf Arbeit blieb man auch mal watt länger und hat es sich n bisschen gemütlich gemacht und hier ist dann nach Feierabend auch wirklich in der Regel Schluss und dann geht jeder seinen eigenen Weg."
Was er mit "Gemütlichkeit“ auf der Arbeit meint:
"Also es wurde tatsächlich wesentlich mehr Alkohol konsumiert im Dienst- ich hab da auch schon von Kollegen gehört, also ich selber war natürlich immer ganz brav und harmlos gewesen, hab wirklich nur mal freitags nen Sektchen mitgetrunken aber das war es dann auch aber da ging es teilweise richtig gut zur Sache glaub ich“,
sagt Hannes, zieht an seiner Elektrozigarette und fügt hinzu, wahrscheinlich sei es in Bonn heute auch nicht mehr so locker wie früher.
Für die Gemütlichkeit in seinem Leben sorgen jetzt der Kunst-und Kulturverein im Wedding, für den er sich engagiert. Im Lokal des Vereins hat Hannes dafür gesorgt, dass auch Kölsch ausgeschenkt wird. Mit dem Fanclub des ersten FC Köln fährt er zu Spielen des Effzeh- oder schaut sie sich im Fernsehen an. Ein Stückchen Heimat. Die heimliche Hymne des Fanclubs ist übrigens "Isch han nen Deckel" von den Bläck Fööss. Sozusagen das kölsche Pendant zu Hildegard Knefs "Ich hab noch einen Koffer in Berlin"
Die einen mussten, die anderen kamen aus freien Stücken
Die einen mussten mit der Regierung nach Berlin umziehen, die anderen kamen und kommen aus freien Stücken. So zum Beispiel Ulla Ostendorf. Psychologin und Künstlerin aus Köln-Brühl. Sie lebt mit ihrer Tochter im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Und sie liebt Berlin. Trotz der Unfreundlichkeiten.
Dieses Motzen auch wenn man sowieso nichts ändern kann, das widerstrebt mir dann mehr. Das ist auch ein bisschen was anderes als wenn man beim Bäcker angepampt wird, weil man die Schuhe nicht abgetreten hat. Das kann ich glaub ich noch mit Humor sehen. Aber so ein ewiges Nörgeln…
Ulla Ostendorf, eine Frau mit dunklen Haaren und randloser Brille bezeichnet sich selbst als "überzeugte Rheinländerin in Berlin":
Ich glaub das ist schon so ein Stück Identität, die ich als Rheinländerin hab und die ich mir auch behalte. Also ich lebe gerne in Berlin und bin trotzdem Rheinländer vom Herzen. Wenn ich ich da 'nen Rheinländer sehe oder man sich sieht, erkennt man sich schnell und es ist gleich so 'ne Heimatverbundenheit, so eine gewisse Übereinstimmung oder ein Verständnis da und das macht das glaube ich auch aus."
"Sich zu erkennen geht ganz einfach, findet sie. Zum einen sei es der Tonfall, der den Rheinländer verrät und: Ja, Rheinländer sind oft auch ein bisschen lauter als andere, es wird viel gelacht, son bestimmter Humor, auch selbstironisch. Ich glaub, Rheinländer können ganz gut über sich selber lachen oder sich nicht so ernst nehmen."
Und eines darf natürlich nicht fehlen, der Karneval. Für viele ist es der Horror. Verkleidete Leute hüpfen, schunkeln und singen durch die Gegend. Für Rheinländer ist es genau die beste Zeit des Jahres. Und viele Exil-Rheinländer fahren dafür nach Hause oder versuchen, in Berlin zu feiern. Was nicht so einfach und außerdem nicht dasselbe ist:
"Und dann haben wir gesagt: Okay, dann gucken wir uns mal den Zug in Berlin an und waren dann auch irgendwie irritiert, denn wir waren natürlich in voller Kostüm-Montur und sahen entsprechend peinlich auch dann aus und saßen dann alleine kostümiert in der Berliner Straßenbahn und wurden angeguckt. Der große Unterschied finde ich von Berliner und Kölner Zug ist halt, das beim Berliner Zug wirklich nur die Leute am Zug kostümiert waren und alle anderen nicht und das hat mir gar nicht gefallen. Es fehlte so dieses 'Wir machen das alle', dieser Ausnahmezustand."
Karneval feiert sie in Zukunft also lieber wieder im Rheinland.
Angekommen im Exil?
Wie geht es den drei Exil-Rheinländern also in Berlin? Sind sie angekommen? Ein eindeutiges Jein ist hier die Antwort. Bundesverwaltungsangestellter Manfred Hannes ist, wie die anderen beiden auch, gerne in Berlin. Mit seinen Vereinen und den vielen Rheinländern in seinem Freundeskreis hat er sich aber eine Art "Rheinland-Prothese", ein Ersatz-Rheinland in Berlin geschaffen.
Politiker Ulrich Kelber wohnt in Bonn und pendelt seit vielen Jahren- er stellt fest, dass er Berlin nur sehr begrenzt kennt, seine Welt in Berlin besteht hauptsächlich aus Berlin-Mitte, aus Büro und Arbeit. Und Psychologin Ulla Ostendorf meint: Mit Berlinern, mit "Ureinwohnern" dieser Stadt hat man wirklich selten Kontakt:
"Man muss sich auf die Suche machen nach Originalberlinern, wenn man hier lebt."
Ulla Ostendorf behält sich bewusst ein Stück "rheinischen Frohsinn". Schließlich ist Rheinländer-Sein nicht an einen Ort gebunden, sondern eine Mentalitätsfrage. Das stellt auch Kabarettist und Rheinland-Liebhaber Konrad Beikircher fest. Er selbst kommt aus Südtirol, fühlt sich aber nach vielen Jahren in Bonn auch als Rheinländer. Für ihn können auch Eskimos "mentale Rheinländer" sein:
"Isch liebe Berlin!"
"Man erkennt de mentale Rheinländer am Mutterwitz, an der schnellen flotten Antwort oder an der Beherrschung des Prinzips der Umkehrung. Hier, de Eskimo is esu ne Fall. Du gehst, was weiß isch en Eskimo bezoeke im ewije Eis da bove, ne. Saukalt da und dann steht dat Iglo da irjendswie auf der Scholle und du jehst erein und dann drin im Iglo isn Kühlschrank und die Tür is auf. Du willst natürlich schon die Tür zu machen, da sacht der Eskimo: Ähäh. Ja warum dat denn? Joah die Tür is auf, damit et drinnen wärmer wird. Dat is dat Prinzip der Umkehrung - so en Eskimo ist mentaler Rheinländer! Ja sischer, keine Frage!“
Für den Kabarettisten ist der mentale Status des Rheinländer-Seins sogar ausschlaggebend. Nicht alle, die im Rheinland geboren wurden, sind auch mentale, also wahre Rheinländer:
"Isch mein, dat wissen Sie ja auch, ne. Isch sach et niet jern, aber et jev en Rheinländer, der ist zwar gebürtisch von hier, aber da muss man sagen: Ohoh. Das sieht man so an manschen Tagen sieht man das ganz deutlich, wenn man zufällig, wat soll ich sagen, nehme we mol irjendswie en Beispiel, wenn man an Wieverfastelovend dursch Kölle fährt … da sieht man so mansche Wohnung, da sind die Rolläden herunter jelassen, die Zeitungen stapeln sisch für de Dür… also da möscht man sagen … wer die höchsten Feiertage seiner Heimat nischt ehrt …Ne!"
Karneval- das ewige Thema, das Lebenselixier für den Rheinländer. Karneval muss man feiern, komme was wolle. Der Traum aller Träume, die Krönung ist es aber, einmal Karnevalsprinz sein. Für den Rentner Edmund Braun ist dieser Traum wahr geworden: Er ist diese Session Karnevalsprinz von Berlin. Und er ist überzeugt davon, dass die Berliner genauso gut und gerne Karneval feiern wie die Rheinländer:
"Es ist nicht so, dass der Berliner nicht Karneval feiern kann oder Karneval feiern möchte. Der Berliner feiert eben nur auf ner anderen Art, eben ein bisschen ruhiger wie der Kölner."
Edmund Braun kam schon 1968 nach Berlin „aus beruflichen Gründen“, wie er sagt. Ein Schelm wer dabei denkt, dass er einfach keine Lust auf Wehrdienst hatte und deshalb nach West-Berlin gegangen ist. Berlin ist seine Heimat geworden.
"Ick bin leidenschaftlicher Berliner, sonst wär ich nicht so viele Jahre hier geblieben und ich werde auch hier bleiben, meine Familie ist hier. Ich bin gern in Berlin, isch liebe Berlin."
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