Hat die Funke Mediengruppe sich da ein Ei gelegt?

Steffen Grimberg im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 25.07.2013
Springer-Chef Mathias Döpfner halte den Print-Journalismus für ein "sehr endliches Konzept", glaubt der Medienexperte Steffen Grimberg. Daher sei es konsequent, wenn Springer Traditionstitel wie "Hamburger Abendblatt" oder "Hörzu" verkaufe, um sich künftig auf die digitalen Medien zu konzentrieren.
Stephan Karkowsky: Der deutsche Journalistenverband ist schwer empört, ver.di protestiert, und noch muss ja auch das Kartellamt zustimmen, aber der Verkauf der Springer-Regionalzeitungen "Hamburger Abendblatt" und "Berliner Morgenpost" ist so gut wie unter Dach und Fach, heißt es.

Auch seine fünf Programmzeitschriften stößt der Springer-Verlag ab, darunter das Flaggschiff "Hörzu" plus die beiden Frauenzeitschriften "Bild der Frau" und "Frau von heute". Warum der Verlag zum Ausverkauf bläst und was das bedeuten könnte für die betroffenen Blätter, das wollen wir uns erklären lassen vom NDR-Medienjournalisten Steffen Grimberg, guten Tag!

Steffen Grimberg: Ja, hallo!

Karkowsky: Wenn so ein Verlag Verluste macht mit seinem Blättern, und sie deshalb verkauft, dann sagt jeder: Okay, das verstehen wir. Aber profitable und dazu ja noch renommierte Titel, von denen viele eine ganz lange Tradition haben – warum tun die das?

Grimberg: Ja, zum einen, weil sie – Sie haben gerade gesagt, wenn man nicht profitable Titel verkauft, dann kriegt man leider nicht so viel Geld für. Jetzt bekommt Springer ja offensichtlich eine ganze schöne Menge Geld, von 920 Millionen Euro ist die Rede, also fast einer Milliarde Euro für dieses von Ihnen genannte Paket. Das ist auch für Springer keine ganz kleine Einnahme, und sie tun es, weil sie ja – das hat Verlags- und Konzernchef Döpfner heute angekündigt – konsequent auf die Digitalstrategie setzen wollen. Und da, muss man im Umkehrschluss jetzt folgern, hat offensichtlich der regionale Journalismus und haben eben auch Programmzeitschriften und die Frauentitel nicht mehr so recht Platz.

Karkowsky: Ist das denn schlau, irgendwie ganz auf Regional- und Lokaljournalismus zu verzichten?

Grimberg: Die strategische Weichenstellung hat Springer ja schon vor einiger Zeit vorgenommen. Sie haben ja schon vor ungefähr drei Jahren einen großen Teil der Regionalpresse, an der sie beteiligt waren, an den Hannoverschen Madsack-Konzern verkauft, und sie hatten eben nur noch die "Berliner Morgenpost" und das "Hamburger Abendblatt", ihre beiden Flaggschiffe in den beiden Städten, in denen Springer auch groß geworden sind. Sie sagten es ja, lange Tradition, das "Hamburger Abendblatt", die allererste Zeitung, die Axel Springer persönlich gegründet hat – da hat man sich auch gewundert, denn es galt immer so als sakrosankt, dieses wird eben nicht verkauft. Offensichtlich sieht Springer das tatsächlich so, dass man dort im digitalen Geschäft nicht so vorankommt. Man setzt jetzt nur noch auf die nationalen Marken "Bild" und "Welt".

Karkowsky: Und dafür braucht man so viel Geld? Ist das denn wirklich so teuer, für diese Marken den digitalen Markt weiter zu erobern?

Grimberg: Nein, natürlich nicht. Ich glaube, das ist jetzt einfach, wenn Sie so wollen, ein Mitnahmeeffekt, dass die Funke-Gruppe, die vormals WAZ-Gruppe hieß und diese Regionalzeitungen vor allen Dingen im Ruhrgebiet und in Thüringen herausbringt, so viel im Moment dafür zu bezahlen bereit ist, weil die Titel eben noch hochprofitabel sind und die WAZ-Gruppe sich offensichtlich im Zusammenhang mit ihren anderen Regionalzeitungen da ein gutes Geschäft künftig raus verspricht.

Springer wird das Geld benutzen, voraussichtlich, glaube ich auch eher, um weitere digitale Zukäufe zu tätigen. Und da liegt eigentlich die Crux: Auch Springer hat noch keine wirkliche Strategie, wie man journalistische Inhalte in der digitalen Zukunft verwertbar macht. Momentan hat Springer zwar schon einen ganz ordentlichen Umsatz und auch Gewinn im digitalen Geschäft, aber eben eher mit so Preisvergleichsplattformen oder Jobbörsen im Internet, das ist alles doch recht weit vom klassischen journalistischen Geschäft entfernt. Und man muss ganz klar konstatieren, Springer wird vom größten Zeitungshaus Europas jetzt zu einem, ich sage mal, weniger publizistisch auf jeden Fall aufgestellten Medienhaus und damit einem ganz normalen Unternehmen ähnlicher.

Karkowsky: Weiß man, wie die Witwe Axel Springers reagiert, Friede Springer? Sie gilt ja als Traditionsbewahrerin der Axel Springer AG.

Grimberg: Absolut, und deswegen galt ja auch ein Verkauf zum Beispiel vom "Hamburger Abendblatt" oder auch der "Hörzu" – auch eines der ganz frühen Erfolgsblätter ihres Mannes – als eigentlich ausgeschlossen. Offensichtlich hat Mathias Döpfner, der ein sehr gutes Verhältnis zu Friede Springer hat, sie aber davon überzeugen können, dass quasi ein Traditionstitel, nämlich die "Welt", reicht. Und sie hat zugestimmt, dass eben diese Schritte gegangen werden. Sie sind, ehrlich gesagt, natürlich auch wirklich konsequent, denn man hat sich schon vom regionalen Zeitungsgeschäft getrennt. Und dass man also das "Hamburger Abendblatt" noch weiter zum Beispiel im Portfolio hatte, machte eigentlich wenig Sinn.

Interessanter wird es in Berlin, wo ja die "Berliner Morgenpost" und die "Welt", die überregionale Tageszeitung der Axel Springer AG seit Jahren schon in einer ganz engen Redaktionsgemeinschaft arbeiten, es gibt also gar nicht so eine klar trennbare Redaktion der Berliner Morgenpost, die jetzt von der WAZ-Funke-Gruppe übernommen werden könnte, wie das die Meldungen suggerieren. Das wird also, glaube ich, noch ein ganz interessanter Prozess, wie die sich da wieder auseinanderklamüsern in Berlin.

Karkowsky: Sie hören zum Ausverkauf bei der Axel Springer AG den NDR-Medienjournalisten Steffen Grimberg. Herr Grimberg, natürlich machen sich jetzt eine ganze Menge Kollegen viele, viele Sorgen und sagen: Was wird uns da passieren bei der Funke-Mediengruppe, also beim Verlag der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung"? Wird es da weitere Zusammenlegungen von Redaktionen geben? Wird der eine oder andere Titel womöglich ganz vom Markt verschwinden? Beim Hamburger Abendblatt besteht diese Gefahr vermutlich nicht, die ist ja konkurrenzlos in Hamburg.

Grimberg: Absolut, da gibt es noch einen Lokalteil der "taz", aber das ist de facto fast eine Monopolstellung. Auch in Berlin ist die WAZ bislang noch nicht am Markt, das heißt also, sie hätte zumindest nicht, wie das im Ruhrgebiet ja passiert ist, mehrere Titel in ein und derselben Region, die man zusammenschrauben könnte. Auch da bin ich also nicht so pessimistisch, dass die Titel sofort eingestellt würden. Die Frage ist eher, wie refinanziert die WAZ den Kauf – wir haben ja gesagt, der Verkaufspreis von Springer knapp eine Milliarde Euro, das stemmt auch die WAZ-Funke-Gruppe logischerweise nicht mal eben aus der Portokasse.

Karkowsky: Ist die größer oder kleiner als Springer?

Grimberg: Sie ist kleiner als Springer, sie ist um einiges kleiner als Springer, und sie hat vor allen Dingen einen unglaublich rigiden Sparkurs schon gefahren, und ich glaube, das ist das, was vor allen Dingen die Gewerkschaften nichts Gutes befürchten lässt. Die WAZ hat in den vergangenen – sagen wir mal über den dicken Daumen – fünf bis acht Jahren weit über ein Drittel ihres journalistischen Potenzials, zumindest bei ihren Titeln im Ruhrgebiet abgebaut, nicht unbedingt des Potenzials, aber des Personals, damit ist aber auch das Potenzial natürlich kleiner geworden. Die Auflagen der Titel gehen sehr stark zurück.

Im Januar hat die WAZ sich einen Schelmenstreich sondergleichen geleistet als Gruppe und hat bei der "Westfälischen Rundschau" aus Dortmund die gesamte Redaktion entlassen. Die Zeitung gibt es zwar dem Titel nach noch weiter, aber es ist gar kein eigenständiger Journalismus mehr, sondern es ist einfach Inhalt aus anderen Titeln, der dann zusammengebaut wird und als "Westfälische Rundschau" vertrieben wird, mit der Konsequenz, dass die Auflage noch mal erheblich eingebrochen ist seitdem.

Die Leserinnen und Leser lassen sich da natürlich nicht für dumm verkaufen, und die Befürchtung ist jetzt natürlich, dass eine so auf Sparen getrimmte Gruppe auch mit den neuen Titeln, die sie von Springer übernimmt, solche Sparrunden vorhat, zumal sie ja im Bereich der Frauen- und Programmzeitschriften selber aktiv ist, und da lassen sich vermutlich die Synergien erzielen, auf die die Verlagsmanager der Funke-Gruppe scharf sind, also zum Beispiel eine Zusammenlegung von Redaktionen bei den Programmzeitschriften, oder eben auch bei den Frauentiteln.

Die einzelnen Marken bleiben dann erhalten, mein Lieblingsbeispiel ist immer das Bier aus dem Ruhrgebiet oder aus Dortmund, da gibt es auch noch ganz viele einzelne Marken, aber sie kommen mehr oder weniger alle aus einer großen Dortmunder Brauerei, und so was Ähnliches könnte jetzt auch dem WAZ-Konzern vorschweben.

Karkowsky: Sie haben es auch schon erwähnt, dass Sie so eine ganz klare Digitalstrategie im Springer-Verlag noch nicht erkennen können. Nun war ja Kai Diekmann, der Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Herausgeber, glaube ich, auch von anderen Titeln, jetzt ein Jahr lang im Silicon Valley und hat das ja auch sehr publikumswirksam verkauft, als er wieder da war, mit seinem neuen Outfit und so weiter. Er dürfte doch wohl hinter diesen ganzen Bestrebungen stecken, oder ist das Döpfner vor allen Dingen, der das macht?

Grimberg: Das ist vor allen Dingen Döpfner, aber natürlich dürfte eingeflossen sein, dass man im Silicon Valley gemerkt hat, da kann man Google und Co. noch so nahe sein und sich da mit den großen Experten und Nerds umgeben und sich zur Not auch einen Kapuzenpulli überziehen, man hat dann immer noch keine Strategie, wie man eine deutsche Regionalzeitung, eine deutsche Frauenzeitschrift oder ähnliches erfolgreich in die digitale Welt hinüberbefördert, und wahrscheinlich hat man deswegen auch den Schluss gezogen, gut, dann lassen wir es.

Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen, die WAZ-Funke-Gruppe hat, glaube ich, noch viel weniger eine Digitalstrategie als die Axel Springer AG. Deswegen ist da eben abzuwarten, was die machen, denn natürlich ist auch klar, der Print-Journalismus ist natürlich nicht dem Untergang geweiht, aber in dem Maße, wie er heute noch reüssiert, so hoch die Auflagen noch sind, das ist ein sehr, sehr endliches Konzept.

Nehmen Sie zum Beispiel so was wie TV-Programmzeitschriften, wenn in einer volldigitalisierten Fernsehwelt es immer mehr Programme geben wird, der Unterschied zwischen direkt live gesehenem Fernsehen und Abruffernsehen, dass man sich also im Netz noch mal Sendungen anschaut, die schon längst ausgestrahlt wurden über eine Mediathek, wenn diese Entwicklung weitergeht, dann ist ja sozusagen eine klassische TV-Zeitschrift, die so ganz normal den Fernsehabend strukturiert, auch vermutlich nicht mehr so ganz zukunftsfähig.

Das heißt also, Springer hat da mit Sicherheit etwas abgestoßen, was ihnen langfristig Probleme bereitet hätte, und ich bin mal sehr gespannt, ob die WAZ sich nicht in Wirklichkeit ein Ei gelegt hat, weil sie vermutlich auch nicht so ganz einfach, sagen wir mal, für die nächsten 10, 20 Jahre eine Strategie hat, was sie damit machen soll. Im Moment funktionieren die Titel noch, nur was ist eben in der Zukunft.

Karkowsky: Der Springer-Verlag trennt sich in einem radikalen Schritt von zahlreichen bekannten Zeitungen und Zeitschriften, darunter "Hamburger Abendblatt", "Berliner Morgenpost" und "Hörzu", und will nun weiter online expandieren, und dazu hörten Sie den NDR-Medienjournalisten Steffen Grimberg, Ihnen vielen Dank!

Grimberg: Sehr gerne!


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