Hass auf Fremde

Von Matthias Bertsch · 22.08.2007
Im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen wurden zu Beginn der 90er Jahre Asylbewerber angesiedelt. Von Anfang an gab es Konflikte mit der Bevölkerung der Ostseestadt. Am 22. August 1992 eskalierte die Situation: Drei Tage und Nächte griffen Jugendliche das dortige Asylbewerberheim an und wurden von bis zu 3000 Schaulustigen dabei unterstützt.
Es waren Bilder, die um die Welt gingen: In Rostock-Lichtenhagen grölten Jugendliche ausländerfeindliche Parolen und warfen Brandsätze auf einen Wohnblock - und die Menge applaudierte. In dem wegen seiner Bemalung als "Sonnenblumenhaus" bekannten Plattenbau war die ZAST, die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern, untergebracht. Der Ausländerbeauftragte der Stadt, Wolfgang Richter, erlebte den Gewaltausbruch mit:

"Wenn wir dort in diesem Haus nach draußen geguckt haben, wie dort also eine mehrtausendköpfige Menge in einer pogromartigen Stimmung dieses Haus angegriffen hat, uns attackiert hat, also eine Stimmung von Gewalttätigkeit, wo kein rationales Argument mehr gegriffen hätte, wo es dann auch egal ist, ob dort über 100 Leute in diesem Haus sind, die dann bei der Brandlegung auch in diesem Haus hätten umkommen können."

Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass während der Ausschreitungen in dem brennenden Haus körperlich niemand zu Schaden kam. Nachdem die Asylbewerber am 24. August, zwei Tage nach Beginn der Krawalle, evakuiert worden waren, richtete sich der Mob gegen die vietnamesischen Bewohner des Hauses und gegen die Polizei: Über 200, zum Teil völlig unzureichend ausgerüstete Beamte wurden durch die mit extremer Härte vorgehenden Randalierer verletzt.

Doch was wie ein spontaner Gewaltausbruch wirkte, kam nicht ohne Vorwarnung: Wenige Tage vor dem 22. August hatte ein anonymer Anrufer bei den Norddeutschen Neuesten Nachrichten angekündigt, dass vor der ZAST demnächst "aufgeräumt" werde. In den ersten Monaten des Jahres 1992 war die Zahl der Asylsuchenden deutlich gestiegen, so dass sich vor der Behörde immer längere Schlangen gebildet hatten, vor einem Wohnblock, in dem auch alteingesessene Rostocker lebten. Richter:

"Ab Ende Juli, Anfang August war das dann beinahe ein permanenter Zustand, so dass auch im Hochsommer hunderte von Menschen auf den Wiesen standen, lagen, warteten, auch übernachteten und hofften, dass sie in den nächsten Tagen ihren Asylantrag stellen können. Und das war in der Tat unzumutbar: Das war unzumutbar für die Flüchtlinge, für die Vietnamesen, die mit dem Thema Asyl nichts zu tun hatten als DDR-Vertragsarbeitnehmer, und es war selbstverständlich auch unzumutbar für die deutschen Anwohner."

Kommentare der Anwohner:

"Seit über einer Woche ist bekannt, was hier heute los ist, man hat eine Woche lang gar nichts gemacht, meiner Meinung nach ist das alles provoziert worden."

"In den Nachrichten sehen, dass Rostocker etwas gegen Ausländer haben, das stimmt gar nicht: Wir haben etwas gegen die Sauerei, gegen die Ferkel, die hier hinscheißen und hinpissen."

"Das war doch mal eine schöne Grünfläche hier: Lichtenhagen, hat man immer gesagt, war immer so ein wunderbar grüner Fleck, aber seit ein paar Monaten, seit die Zigeuner hier sind, ist Terror hier."

Die Politik wusste um die Wut in Teilen der Bevölkerung oder zumindest hätte sie es wissen können. Doch anstatt die angespannte Situation zu entschärfen und die Flüchtlinge anderweitig unterzubringen, nahmen viele Politiker die unhaltbaren Zustände zum Anlass, um auf etwas anderes hinzuweisen. Richter:

"Man brauchte ja Radio, Fernsehen nur einzuschalten und es war von Flüchtlingsströmen und von ‚das Boot ist voll’ und von einer Kriminalisierung von Asylsuchenden die Rede, das hat ganz sicher dazu beigetragen, und dann war ja auch ganz deutlich zu merken, dass rechte Kräfte in diesem Land vom zweiten Tag an, wo das ja dann bundesweit Thema war, gab es dann ja auch einen Gewalttäter-Tourismus nach Rostock, wo Rechte für ihre Argumentation ‚Fremdenfeindlichkeit und Rassismus’ dieses Treiben wie für sich geschaffen sahen."

Wenn bis heute auch unklar ist, welche Rolle organisierte Rechtsextreme genau gespielt haben - der damalige Neonazi und spätere Aussteiger Ingo Hasselbach bestätigt diese Sichtweise:

"Das war ja im Prinzip das, was man wollte. Man hat ja jahrelang nichts anderes gepredigt als ‚Ausländer raus’, wir müssen etwas machen. Und das ist ja im Prinzip die logische Folge, dass irgendwann die Leute angefangen haben, diese Forderung umzusetzen, wie auch immer sie das gemacht haben, wie durch Angriffe auf Ausländerwohnheime oder durch die Krawalle in Rostock."

Auch bei der juristischen Aufarbeitung der Gewalt von Rostock-Lichtenhagen ist vieles im Dunkeln geblieben: Die Grenze zwischen Angreifern und Schaulustigen ließ sich kaum klar ziehen. Der Großteil der meist jugendlichen Täter wurde zu geringfügigen Sanktionen verurteilt, die höchste Strafe wurde in einem Prozess zehn Jahre nach den Krawallen verhängt: drei Jahre Jugendhaft. Das Grundrecht auf Asyl war vom Bundestag bereits im Mai 1993 eingeschränkt worden.