Hans W. Geissendörfer

Lindenstraße "auf internationalem Niveau"

Hans W. Geißendörfer am 29.10.2012 bei der Kinopremiere "Der deutsche Freund" in Köln
Der Filmproduzent Hans W. Geißendörfer © dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Moderation: Susanne Burg · 27.12.2014
Einer der wichtigsten Förderer des Filmnachwuchses in Deutschland ist Hans W. Geißendörfer. Im Gespräch erklärt der Regisseur und Produzent, wie er sich den jungen Blick bewahrt und warum er seinen größten Erfolg "Lindenstraße" entstauben will.
Susanne Burg: Sie hören "Vollbild", das Filmmagazin im DLR Kultur – mit einem Blick zurück und mit einem Blick nach vorne ins kommende Jahr: Und da steht gleich im Januar das Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken an, das wichtigste Forum für Nachwuchsregisseure aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein Preisträger steht bereits fest: der Regisseur und Produzent und Lindenstraßen-Mastermind Hans W. Geißendörfer. Er bekommt den Ehrenpreis für seine Verdienste um den deutschen Filmnachwuchs, und ich freue mich sehr, dass er jetzt schon mal vorab zu uns gekommen ist. Herzlich willkommen, Herr Geißendörfer!
Hans W. Geißendörfer: Schönen guten Tag!
Burg: Beginnen wir auch mit dem Filmnachwuchs: Sie begleiten ihn schon seit Jahren, haben zum Beispiel André Erkau gefördert, dessen Tragikomödie "Das Leben ist nichts für Feiglinge" auch beim Filmpreis 2013 eine Lola für die beste Nebendarstellerin gewann, oder Sie haben in diesem Jahr einen Kurzfilm von der 24-jährigen Joya Thome produziert. Warum tun Sie das? Warum kümmern Sie sich so gern um den Filmnachwuchs?
Geißendörfer: Das ist einfach spannender und irgendwie kann man mehr Begeisterung erzeugen. Wenn so ein junger Mensch anfängt, seinen ersten oder zweiten Film oder auch einen Kurzfilm zu machen, dann ist es Herzblut. Trotz wenig Erfahrung kommen ja meistens handwerklich sehr vernünftige Sachen dabei raus. Und es ist dann sehr oft wirklich auch das Erlebnis des Nachhinein-Betrachtens des Jungen des alt gewordenen Produzenten, dass man sehr genau analysiert, was hat man richtig gemacht und was nicht, während wenn Sie das mit, ich sage jetzt mal, mit meinem Freund Wim Wenders ... Wenn wir hier zusammen produzieren würden, dann wäre die Fehleranalyse nicht denkbar, dann hat man was hingestellt, es ist fertig. Bei jungen Leuten wird laufend diskutiert, es ist sehr viel lebendiger, vielleicht ab und zu zu riskant, aber so viel Geld ist ja so ein Kurzfilm auch nicht.
"Die Stößigen sind oft die besten"
Burg: Ich wollte gerade sagen, Fehleranalyse: Gibt es denn für Sie so was Objektives, Fehler – ja oder nein? Oder denken Sie auch manchmal, okay, ist unkonventionell gemacht, aber öffnet vielleicht auch meinen Blick noch mal neu aufs Filmemachen?
Geißendörfer: Das kann durchaus passieren. Also von den Jungen kann man mit großer Sicherheit mehr lernen als von den Älteren. Jeder will dann wirklich auch zeigen, was er gelernt hat oder sein Talent. Also viele passen sich sehr schnell an.
Burg: Also Sie suchen eher nach den Risikofreudigen?
Geißendörfer: Ich suche nach den Stößigen, wie das bei uns in Bayern heißt. Die Stößigen sind oft die besten, und wenn sie schwierig sind, umso besser.
Burg: Das heißt, für Sie ist aber auch die Gefahr eigentlich größer, dass das vielleicht auch auf kein Interesse stößt beim Zuschauer?
Geißendörfer: Das kann schon sein, aber es macht einfach viel mehr Spaß, mit jemandem darüber zu diskutieren und mit jemandem, der mit großer Kraft versucht, seine Vorstellungen umzusetzen, um dann auch sehr energisch auf seinen Vorstellungen zu beharren. Das ist mir viel lieber als ein Autor beim Drehbuch oder auch ein Regisseur dann, der dann sofort alles so macht, wie der Produzent das will.
Burg: Sie sind über 70 und es ist ja nun wirklich eine große Qualität, immer noch diesen Wunsch nach neuer Energie zu spüren. Haben Sie eine Erklärung: Wie bewahren Sie sich diesen jungen Blick?
Geißendörfer: Da gibt es keine Erklärung. Das ist halt so. Ich bin sehr aufmerksamer Zeitungleser, ich gucke die Welt immer wieder erstaunt an und manchmal auch verärgert. Aber was ganz grundsätzlich bei uns Achtundsechzigern nie vergehen wird, ist die Kritik. Man ist einfach damit aufgewachsen, ab 16 alles zu hinterfragen, und das ist, glaube ich, auch gut, wenn man das in hohem Alter, in höherem Alter macht, aber vor allem auch als junger Mensch.
"Das Handwerkliche haben wir uns alle selber irgendwie beigebracht"
Burg: Bekannt sind Sie ja vor allem als Kopf der "Lindenstraße", die 1985 auf Sendung ging und die in diesem Jahr die 1.500. Folge feierte. Mittlerweile scheint die ganze Nation serienverrückt zu sein, und da reden wir vor allem von amerikanischen Serien. Wie sehr sehen Sie sich selbst für Deutschland als Vorreiter, was Serien angeht?
Geißendörfer: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, darüber denke ich nicht nach. Wir waren sicher die ersten, die das 30-Minuten-Serielle in Deutschland produziert haben, abgeschaut von der rein technischen Oberfläche aus dem englischen Fernsehen, da gab es "Coronation Street", wie ich das das erste Mal gesehen habe, schon irgendwie 25 Jahre. Heute, dass alle Leute Serien, Serien, Serien ... das richtet sich natürlich auch sehr stark kritisch gegen die deutschen Serien, weil es heißt immer nur, die amerikanischen sind gut, die deutschen sind alle kacke – das ist überhaupt nicht so. Da ist ein bisschen Unterschied im Budget, aber der ist oft ausgeglichen, gerade bei deutschen Serien, durch eine wesentlich lebendigere Dramaturgie. "Lindenstraße" ist sicherlich eine Ausnahmeserie, was die Inhalte angeht, das Handwerkliche haben wir uns alle selber irgendwie beigebracht, aber das Ergebnis ist schon auf internationalem Niveau, und das wird ja auch immer wieder mal bewiesen dadurch, dass wir auf irgendwelchen Festivals in diesem großen, globalen Umfang auch nicht nur gesehen werden, sondern auch Preise gewinnen.
Burg: Wenn wir noch mal von der Machart reden oder von der Produktionsstruktur: Sie sind ja wahrscheinlich der einzige Fernsehmacher in diesem Land, auf den der Begriff Showrunner zutrifft.
Geißendörfer: Der ist aber auch ganz neu, der Begriff.
Burg: Na ja, aber das Interessante ist ja: Also derjenige, der Mastermind, der Planer, der Figurenlenker, der eben das große Ganze im Blick hat – das gab es längste Zeit in der Form bei Serien in Deutschland nicht. Da beginnt sich jetzt gerade was zu ändern, auch im Bewusstsein der Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Es ist interessant, dass Sie das schon 1985 durchgesetzt haben. Wie schwer war es, das bei der ARD durchzusetzen?
"Die Herrschaften waren total überrumpelt"
Geißendörfer: Das war sehr schwierig, und das ist genau das, was ich vorhin gesagt habe: Sie müssen einen ungeheuren sturen Willen haben, um durchzukommen. Ich hätte es wahrscheinlich nicht geschafft, wenn nicht der WDR einen Redakteur gehabt hätte, der damalige Fernsehspielchef Gunther Witte, der heute schon seit zehn Jahren in Pension ist, der versucht hat, auf den übergreifenden ARD-Sitzungen Stimmungen für die Serie zu machen. Aber ich habe auch selber bestimmte Gewohnheiten oder Rituale dieser großen Anstalt ARD brechen müssen. Beispielsweise bin ich in eine Intendantensitzung eingedrungen und ich hatte den Hausmeister bestochen, das war hier in Berlin, und oben unter dem Dach hatte er eine Produktion, also in dem Sitzungssaal, und habe dem 100 D-Mark damals gegeben und gesagt: Baue mir das auf, sage mir, auf welchen Knopf ich drücke, und hier ist das Video, das wir spielen. Es war noch eine VHS-Kassette. Und die Herrschaften waren total überrumpelt. Plötzlich ging das Licht aus und ich habe Familie Beimer vorgestellt und Familie Schildknecht, und ohne Kommentar. Ja, und dann hatten wir es geschafft.
Burg: Und jetzt, fast 30 Jahre später, läuft die Serie immer noch. Das Image der "Lindenstraße" hat es so ein bisschen schwierig derzeit: Einerseits greift sie eben immer wieder Alltagsdebatten auf, dafür ist sie bekannt, ist in der Hinsicht ganz weit vorne, andererseits gilt sie als so einen Tick spießig, die Figur der Lindenstraßen-Mutter Beimer als so etwas angestaubt – Ihrer Meinung nach zu Unrecht?
Geißendörfer: Das die "Lindenstraße" ein bisschen angestaubt wirkt, das ist einfach normal. Wir sind gerade auch ein bisschen aufgewacht, und so passen wir uns schon immer wieder der Zeit an und sind mittendrin in so einem, nennen wir es mal Modernisierung oder Entstauben. Nur was wir nicht entstauben und was auch keiner eigentlich fordert, das sind die kontroversen Geschichten und genau das, worauf ich besonders stolz bin, dass es doch immer wieder gelingt, kontroverse Diskussionen auszulösen und nicht dem allgemeinen Soap-Sog zu folgen, sondern eben eine Moschee zu bauen. Das ist "Lindenstraße" und so soll es bleiben, so lange wir dürfen, und ich bemühe mich, das zu verstärken. Wir waren da auch schon mal ein bisschen, ich sage mal, bissiger.
Burg: Hans W. Geißendörfer, er bekommt im Januar beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis den Ehrenpreis für seine Verdienste um den deutschen Filmnachwuchs. Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Geißendörfer!
Geißendörfer: Danke, dass ich da sein durfte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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