Hans Magnus Enzensberger: "Immer das Geld!"

"Aktionäre sind dumm und frech"

Am 23. September 2014 führte die Bundesbank neue 10-Euro-Scheine ein.
"Immer das Geld" heißt das neue Buch von Hans Magnus Enzensberger © dpa / picture alliance
Von Wolfgang Schneider · 06.10.2015
Im Werk des Intellektuellen Hans Magnus Enzensberger sind viele Reflexionen über das Geld verstreut. Nun führt er sie in einem "kleinen Wirtschaftsroman" zusammen: keine bedeutende Literatur, aber ein vergnügliches Plauder-Buch.
Geld und Welt - es gebe keinen "vernünftigeren Reim" im Deutschen, meinte Lichtenberg. Geld hält die Gesellschaft zusammen, und keiner, der das soziale Leben verstehen möchte, kommt darum herum, über diese mal feste, mal flüssige, mal gasförmige Substanz nachzudenken. Kaum erstaunlich deshalb, dass im Werk des bundesrepublikanischen Leitintellektuellen Hans Magnus Enzensberger seit je viele Reflexionen über das Geld verstreut sind. Nun führt er sie zusammen in einem "kleinen Wirtschaftsroman".
Die mysteriöse Tante Fé kündigt ihren Besuch bei der Familie Federmann an. Mitte achtzig, als mehrfache Witwe amerikanischer Millionäre "filthy rich" und in einer sagenhaften Villa am Genfer See lebend, bittet die exzentrische alte Dame die Verwandten zu lehrhaften Gesprächen ins Hotel Vier Jahreszeiten - allerdings nicht die Mutter und den Vater, der als "Sachbearbeiter in der KFZ-Zulassungsstelle schuftet", sondern nur die drei Kinder: die kleine Fanny, den 14-jährigen Gymnasiasten Fabian und die 18-jährige Ich-Erzählerin Felicitas. Großtantes Thema ist das Geld.
Sie weiß, dass die Schule in dieser Hinsicht wenig zu bieten habe:
"Die Lehrer haben keine Ahnung von Ökonomie."
Und so instruiert sie Fanny, Fabian und Felicitas über Sachen, die wichtiger seien als Latein und Chemie: die Erfindung des Papiergelds, die Vorzüge der Arbeitsteilung, Inflation und Geldabwertung, Kredit und Hypothek, Zins und Tilgung, Konjunktur und Kartelle. All das wird im Stil von "Willi will's wissen" erläutert - auch wenn Enzensberger sich eher auf die aufklärerischen Dialoge Diderots berufen würde.
Zufall und Willkür als namenlose Götter
"Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann noch Dividende haben wollen", zitiert Tante Fé den Bankier Fürstenberg und zieht die Summe ihrer Einsichten in die Ökonomie: "Alles Schwindel!" Und Glaubenssache, was ja schon mit dem Geld beginnt. Entscheidend sei, dass alle an seinen Wert glauben. Unser Leben hängt mithin von einer Fiktion ab, vor der Grimms Märchen verblassen.
Enzensberger, der gewitzten Didaktik nicht abgeneigt ("Der Zahlenteufel"), hat einen Roman geschrieben, der mit der Form des Jugendbuches spielt, mit der Abiturientin Felicitas als erfrischender, wenn auch erzähltechnisch naiver Erzählerin. Diese Perspektive hat zudem den Vorteil, dass sich vieles thematisieren lässt, was eigentlich zu den Jedermannskenntnissen und Jedermannsvorurteilen über das Wirtschaftsleben gehört.
Manchmal vertraut Enzensberger zu sehr darauf, dass "das Volk von der sogenannten Volkswirtschaft kaum einen Schimmer hat". Wobei ja auch die Theoretiker der Volkswirtschaft mit ihren Behauptungen von Gesetzmäßigkeiten und Zyklen nur Wissen vorspiegeln würden: "Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass in der Ökonomie solche namenlosen Götter wie der Zufall und die Willkür herrschen."
Die Handlung um die reiche Tante, die am Ende noch in die Pleite schliddert und bald darauf zum Erbfall wird, dient nur dazu, die Gedanken über Geld und Ökonomie halbwegs in Form zu bringen. Das Erzählerische, Beschreibende ist bloß dünn aufgetragen, die Figuren sind kaum mehr als kluge Sprechpuppen. Keine bedeutende Literatur also, aber ein anregendes und vergnügliches Plauder-Buch, schön illustriert von Franz Greno.

Hans Magnus Enzensberger: Immer das Geld! Ein kleiner Wirtschaftsroman
inszeniert von Franz Greno
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
240 Seiten, 22,95 Euro

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