Handelsbeschränkungen

Ernüchterung beim Blick ins Regal

Blick auf ein Schaufenster des russischen Premium-Lebensmittelhändlers "Asbuka Wkussa" in Moskau.
Ein Schaufenster des russischen Premium-Lebensmittelhändlers "Asbuka Wkussa" in Moskau © dpa/ picture alliance / Thomas Körbel
Von Gesine Dornblüth · 01.09.2014
Als Reaktion auf die Sanktionen des Westens beschloss die russische Regierung einen Importstopp für bestimmte Waren. Die Verbraucher hoffen nun, dass die russischen Produzenten die Lücken schließen können – und stimmen dem Warenboykott zu.
Ein Café im Zentrum Moskaus. Der Unternehmer Jurij Papkow macht auf dem Weg zur Arbeit Pause. Nebenan ist die Filiale einer großen Supermarktkette. Papkow beliefert sie mit Arbeitskleidung, stattet die Verkäufer aus. Meist kauft er auch in dem Supermarkt ein. Seit kurzem muss er dabei auf einige Lebensmittel verzichten.
"Auf lettischen Käse zum Beispiel. Der stand bei uns immer auf dem Tisch. Und französischer Käse. Außerdem gibt es keine frische Salatauswahl mehr. Die kam aus Spanien. Jetzt gibt es nur noch so ganz einfache Salate. Das ist schlecht für mich, ich versuche nämlich abzunehmen, und das wird jetzt sehr schwer."
Anfang August hat Russlands Regierung beschlossen, Lebensmittelimporte aus jenen Ländern zu verbieten, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Eine weitreichende Entscheidung, denn Russland hat bis dahin sehr viele Produkte eingeführt. Bei Käse betrug der Anteil sogar rund 50 Prozent. Räucherfisch kam fast vollständig aus Norwegen.
Böse Zungen scherzen: Russland habe sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Jurij Papkow hat im Internet eine Karikatur gesehen:
"Eine Frau will Lachs kaufen, es gibt nur sehr teuren, und sie fragt, was der Grund sei. Der Verkäufer sagt: 'Das sind unsere Gegenmaßnahmen für die Sanktionen des Westens.' Darauf die Frau: 'Komisch. Warum haben sie nicht dafür gesorgt, dass es in Amerika keinen Lachs gibt?'. Es müssen mehr Menschen solche Fragen stellen, aber ernsthaft. Dann werden sie feststellen, dass das in der Tat sehr merkwürdig ist. Erst dann wird sich bei uns etwas ändern."

Eine Frau steht in einem Moskauer Supermarkt vor einer Kühltheke mit Milchprodukten.
Anfang August waren die Regale der Moskauer Supermärkte noch gut gefüllt.© picture alliance / dpa / Yuri Kochetkov
Verständnis für Warenboykott
Bisher haben viele Menschen Verständnis für die Zwangsmaßnahme. Laut einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums unterstützen 78 Prozent der Bevölkerung den selbst auferlegten Importstopp.
Eine Frau kommt aus einem Einkaufszentrum. In den Händen trägt sie Tüten einer französischen Warenhauskette.
"Unser Land wird sich selbst versorgen. Wir müssen nur unsere Landwirtschaft anschieben. Ich finde die Maßnahmen gut."
Sie wiederholt, was die Politiker im Staatsfernsehen sagen: Das Importverbot sei eine Chance für die benachteiligten einheimischen Produzenten. Beinahe täglich berichten die staatlichen Sender über russische Gemüsebauern, Hühnerfabriken, Fischereibetriebe, die angeblich bereitstehen, die russischen Verbraucher zu versorgen.
Was Russland nicht oder nicht sofort selbst herstellen kann, sollen befreundete Staaten liefern. Doch das führt zu Preissteigerungen. Vizepremier Arkadij Dvorkowitsch räumte letzte Woche bei einem Treffen mit Präsident Putin ein, die Verhandlungen mit den Lebensmittellieferanten in Lateinamerika seien schwierig, sie wollten aus der Situation Kapital schlagen, die Preise seien in die Höhe geschnellt.
Eine Arbeiterin prüft die Qualität von Äpfeln in einer polnischen Obst-Fabrik in Regnow am 26.04.2014.
Für Russland war Polen etwa der größte Importeur von Äpfeln.© AFP / Janek Skarzynski
Teuerungsrate schwillt an
In den letzten beiden Augustwochen betrug die Teuerung in Russland insgesamt jeweils 0,1 Prozent. Angesichts einer Inflationsrate von 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr nehmen viele Menschen das aber gar nicht mehr wahr.
Eine weitere Kundin kommt aus dem Einkaufszentrum.
"Vielleicht kommen ja auch gute, neue regionale Milchprodukte oder Käse aus Russland in die Geschäfte. Russland hat durchaus einige konkurrenzfähige Produkte. Die Preise sind allerdings schon gestiegen. Die Schlitzohren unter den russischen Produzenten haben es gleich ausgenutzt, dass es keine Konkurrenz mehr aus dem Ausland mehr gibt. Es heißt, man soll das melden ..."
Anders als das selbst auferlegte Importverbot von Lebensmitteln werden die von vielen westlichen Staaten und der EU gegen Russland verhängten Sanktionen im Land kaum öffentlich diskutiert. Über die zunächst beschlossenen Einreiseverbote haben sich die Betroffenen zuerst sogar lustig gemacht.
Der Oligarch und Putin-Vertraute Gennadij Timtschenko klagte allerdings vor wenigen Wochen in einem Interview mit der Staatlichen Nachrichtenagentur Itar Tass, er vermisse seinen Hund. Seine ganze Familie verbringe den Sommer wie jedes Jahr mit der Labradorhündin in Südfrankreich, nur er sitze zuhause.
Russland könnte das Geld ausgehen
Die EU und die USA haben russischen Banken den Zugang zu den westlichen Finanzmärkten erschwert. Auch das wirkt sich bereits aus. Die russische Regierung musste zwei staatliche Banken mit umgerechnet rund fünf Milliarden Euro stützen. Und der staatliche Ölkonzern Rosneft hat die Regierung um umgerechnet gut 31 Milliarden EUR gebeten, um laufende Schulden zu tilgen.
Logo des Erdölunternehmens Rosneft, fotografiert in der russischen Hauptstadt Moskau
Logo des Erdölunternehmens Rosneft, fotografiert in der russischen Hauptstadt Moskau© picture alliance / dpa
Der russische Wirtschaftsprofessor Sergej Gurijew – er lebt im Exil in Paris – meint, Russland werde schlicht das Geld ausgehen.
"Unternehmen und Banken müssen in den nächsten ein bis anderthalb Jahren zwischen 100 und 150 Milliarden US-Dollar zurückzahlen. Einen Teil werden sie in China refinanzieren können, aber für den Rest werden die russischen Steuerzahler aufkommen müssen. Man wird in den Reservefonds greifen, in den Stabilitätsfonds oder die Steuern erhöhen."
Die Fonds waren ursprünglich dafür gedacht, russische Renten zu sichern.
Das Lieferverbot westlicher Hochtechnologie für die russische Ölindustrie wird seine Wirkung erst in einigen Monaten, wenn nicht gar Jahren entfalten. Denn es betrifft vor allem solche Förderstellen, die noch in der Entwicklungsphase sind. Prognosen der Agentur Goldman Sachs zufolge wird sich die russische Ölförderung bis zum Jahr 2020 noch auf traditionelle Fördermethoden stützen. Erst danach werde ein spürbarer Effekt der Sanktionen eintreten.
Der Unternehmer Jurij Papkow hat seinen Kaffee ausgetrunken. Er meint, das Geschäftsklima habe sich schon jetzt verschlechtert.
"Ich beliefere große Handelsketten. Bisher gibt es keinerlei Veränderungen in unseren Verträgen. Aber bei den Verhandlungen herrscht eine bestimmte Stimmung, die davon zeugt, dass unsere großen Partner abwarten. Sie bremsen ihre Entwicklungspläne. Und ich denke, dass sich mein Absatz in zwei bis drei Monaten verringern wird. "
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