Handbikerin Dorothee Vieth

Sportlerin und Musikerin mit hohem Anspruch

Dorothee Vieth (rechts) und Andrea Eskau jubeln über ihren Doppelerfolg bei den Paralympischen spielen in Rio de Janeiro.
Dorothee Vieth (rechts) und Andrea Eskau jubeln über ihren Doppelerfolg bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro. © dpa-Bildfunk / Jens Buettner
Von John David Langlo · 13.11.2016
Disziplin und Ehrgeiz zeigt Dorothee Vieth sowohl als Musikerin als auch als Sportlerin. Die Handbikerin gewann bei den Paralympics in Rio eine Goldmedaille, einige Tage später war sie als Bratschistin bei der Orchesterprobe dabei. Ihr Ziel: ein hohes Niveau in beiden Disziplinen.
(Dorothee Vieth:) "Die Freude ist riesengroß. Aber es war die Hölle, da diese Strecke zu fahren. Das tut ja auch weh, sich da durchzubeißen und zu denken: Ja, und dann es geschafft zu haben, dass es gereicht hat, das ist sensationell."
So sprühte Dorothee Vieth vor Freude, nachdem sie ihr erstes Gold bei den Paralympischen Spielen in Rio holte. Mit einem riesigen zeitlichen Vorsprung rollte die 56-jährige Hamburgerin mit ihrem Handbike ins Ziel und krönte damit ihre späte sportliche Karriere.
"Meine Familie hat mich eher Richtung Musik gelenkt. Nach meinem Unfall 2002 bin ich hier irgendwie reingeraten in den Radsport. Ich bin von Beruf Geigerin. Da ist es ja ähnlich, dass, wenn man was erreichen will, auch diszipliniert arbeiten muss."

Erst die Goldmdeaille, dann die Orchesterprobe

Die hohe Disziplin von Dorothee Vieth kann auch ihr Kantor bezeugen. Rainer Lanz ist seit 14 Jahren Kirchenmusiker an der Christuskirche in Hamburg Othmarschen und kennt Dorothee Vieth seitdem als Bratschistin in seinem Orchester.
Einige Tage nach ihrem paralympischen Sieg begannen auch schon die Proben für das Oratorium "Elias" von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der anspruchsvolle Stoff sieht fast durchgehend den Einsatz der Bratschen vor. Und so kommt Dorothee Vieth leicht ins Schwitzen an diesem Abend der Generalprobe. Hatte Rainer Lanz mit ihr so kurz nach den Paralympics überhaupt rechnen können?
"Selbstverständlich habe ich mit ihr gerechnet. Sie hatte sich angemeldet. Und da ich Frau Vieth als einen ausgesprochen seriösen und verlässlichen Menschen kenne, war das für mich überhaupt keine Frage, dass sie auch dabei sein wird, trotz Goldmedaille."
Selbstverständlich begann ihre sportliche Karriere hingegen nicht. Dorothee Vieth fuhr in Hamburg schon immer alle Strecken mit dem Fahrrad und hat so manches im Breitensport ausprobiert. Doch ihr Talent für Ausdauersport zeigte sich ihr erst nach einem Schicksalsschlag vor vierzehn Jahren.
"Das war im Jahr 2002, das war ein Verkehrsunfall. Ich bin Motoroller gefahren, und eine Autofahrerin hat mich beim Abbiegen nicht gesehen. Und da bin ich ihr wohl voll in die Tür reingerauscht - und ja: Das ist mir nicht so gut bekommen."

Suche nach neuen Möglichkeiten der Bewegung

Seitdem sitzt Dorothee Vieth im Rollstuhl. Einschränkungen in ihrem Beruf als Geigerin hat sie dadurch glücklicherweise keine. Als sportliche und umtriebige Person, die nicht gerne stillsitzt, hat sie sich danach neue Möglichkeiten der Bewegungsfreiheit gesucht.
"Deswegen war klar: Ich muss mich einfach weiter bewegen. Oder beziehungsweise nach dem Unfall erst recht. Wie meine Freundin mir sagte 'Sonst wirst du mir blöd'. Dass sich das zum Leistungssport entwickelt hat waren lauter Zufälle."
Beim Training mit dem Handbike wurde ihr schnell klar, dass ihr der Ausdauersport liegt. Dorothee Vieth hat die Wettbewerbe der Spitzensportlerinnen beobachtet und viel trainiert. So wurde der Wunsch in der Nationalmannschaft einmal selbst mitzufahren immer realistischer.
"Als da eine Einladung kam, habe ich gedacht: Mensch, das ist eine Chance, da einen Weg in eine Richtung meines Lebens einzuschlagen. Die bietet sich mir jetzt und die ergreife ich jetzt. Der Unfall hat viel geändert. Und jetzt kommt so eine Chance. Und dann will ich sie auch nutzen und davon auch schöne Dinge haben."

Bronze in Peking, Silber in London und schließlich Gold in Rio

Mit dieser Zuversicht hat Dorothee Vieth ihre Chance erfolgreich nutzen können. Im Einzelzeitfahren verwirklichte sie nach Bronze in Peking und Silber in London ihr Ziel von Gold in Rio de Janeiro.
Den Weg dorthin hat sie mit viel Ehrgeiz und Disziplin bestritten. Wie schon während ihres Studiums beweist Dorothee Vieth auch als Musikerin einen disziplinierten Charakter. Auf diese Qualität kann sich auch ihr Kantor Rainer Lanz verlassen.
"Sie ist eine Musikerin mit sehr hohem Anspruch, so wie sie auch eine Sportlerin mit sehr hohem Anspruch ist. Und dann ist eben dieser Anspruch so: Wenn sie das Projekt zugesagt hat und sie gerade aus Rio kommt, dann ist ihr Anspruch so: Spätestens in der zweiten Probe sollen die Finger wieder so laufen, wie sie es auf dem sonstigen Niveau ihres Spiels. Und das ist ein hohes Niveau, wie sie es da gewohnt ist."

Mögliche Ziele in der Nationalmannschaft

Insgesamt sei sie als Person etwas entspannter geworden. Das bestätigen auch ihre langjährigen Freunde. Ausruhen wird sich Dorothee Vieth allerdings nicht. Gerne würde sie in der Zukunft mehr Tennis spielen. Und vielleicht packt sie der Ehrgeiz auf einen weiteren Titel im nächsten Jahr.
"Also es ist ganz klar, in Tokio werde ich nicht mehr starten. Es ist eigentlich nur die Frage ob ich noch ein Jahr in der Nationalmannschaft ausklingen lasse. Dann wäre es natürlich, dass ich da wieder gewinnen möchte das ist ganz klar. Und da wäre die Weltmeisterschaft, die 2017 in Südafrika ist, das Ziel."