Handball ist eine deutsche Erfindung

Moderation: Tom Grote · 01.02.2007
Dass das deutsche Team bei der Handballweltmeisterschaft derzeit so erfolgreich ist, könnte auch mit der Geschichte dieser Sportart zu tun haben. Denn: Handball wurde von deutschen Turnern als Gegenstück zu dem aus England kommenden Fußball erfunden.
Tom Grote: Bei der Handballweltmeisterschaft steht das deutsche Team im Halbfinale. Kein Wunder, dass dies so ist, könnte man jetzt sagen, denn Handball ist eine deutsche Erfindung. Erik Eggers ist Handballexperte und hat ein Buch mit dem Titel "Handball. Eine deutsche Domäne" herausgegeben. Wie wurde denn Handball erfunden, Herr Eggers?

Erik Eggers: Handball wurde erfunden im Prinzip als billige Kopie des Fußballs, um das mal so zu formulieren. Die Ideengeber dieses Spiels kamen aus den Reihen der deutschen Turnerschaft. Und diese deutsche Turnerschaft war vor ungefähr 100 Jahren die wichtigste Organisation der Leibesübungen in Deutschland, also im deutschen Kaiserreich, hatte über eine Millionen Mitglieder und ging zurück auf den berühmten Turnvater Jahn, der dieses Turnen entwickelt hatte, sozusagen als Präparat für die Befreiungskriege gegen die Franzosen. Turnvater Jahn hat damals solche Disziplinen wie Pferdsprung erfunden, um beispielsweise die Kavallerie vorzubereiten auf den Krieg gegen die Franzosen. Das war so eine Art Wehrertüchtigungskonzept.

Grote: Vom Pferdsprung bis zum Handball ist doch ein Stück. Wie ist denn das passiert?

Eggers: Das ist in der Tat ein weites Stück. Nun muss man sich das so vorstellen, die Turner sind die dominierende Organisation in Deutschland und irgendwann kommt aus England etwas herübergeschwappt, das nennt sich englische Sports. Das sind Sportarten wie Tennis, vor allem auch Pferdesport und irgendwann kam auch der Fußball nach Deutschland. Und dieser Fußball hatte eine unglaublich schnelle Popularität, also die Jugendlichen waren sehr fasziniert von diesem einfachen Spiel. Und das waren Sachen, die man auch um ihrer selbst willen gepflegt hat, anders als das Turnen, das ja mehr diesen ideologischen Hintergrund hatte. Und weil diese jugendlichen Mitglieder den Turnern nun wegliefen, haben sich die Turner überlegt, was können wir jetzt machen, um unsere Art Leibesübungen wieder attraktiv zu machen. Und so hat man das Handballspiel entwickelt, quasi als Kopie des Fußballs.

Grote: Wurde aber anders gespielt als heute, draußen zum Beispiel.

Eggers: Genau. Das wurde damals als Feldhandball konzipiert und die Ähnlichkeit zum Fußball konnte man sehr gut erkennen dadurch, dass die taktischen Systeme eins zu eins vom Fußball abgekupfert wurden. Also es gab einen Torwart, zwei Verteidiger und drei Läufer, wie sie damals hießen, und fünf Stürmer. Das war genau das taktische System, was damals im Fußball auch vorherrschend war.

Grote: Dann ist Feldhandball relativ schnell aufgegeben worden und in Hallen umgezogen. Auch die Spieleranzahl wurde verkleinert. Wie ist das passiert?

Eggers: Das hat natürlich auch mit der Infrastruktur zu tun, dass irgendwann auch größere Hallen gebaut wurden. Mit der Zeit der großen Sportrevolution, ab den 1920er Jahren, sind solche Hallen auch für Sportveranstaltungen konzipiert worden. …

Grote: Dass Deutschland Handballweltmeister 1978 geworden ist, das war ja damals ein Riesen-Ereignis. Trotzdem ist die Begeisterung wieder eingeschlafen. Wie kam das?

Eggers: Das hat viele Gründe. Natürlich hat das auch mit dem Niedergang der deutschen Nationalmannschaft in den 80er Jahren zu tun. … Viel wichtiger war noch, dass Handball damals ein ausgesprochen schlechtes Image hatte. Es galt als Schlägersportart, als ausgesprochen brutal. Der Fall, der immer angeführt wurde, war der tragische Unfall von Joachim Deckarm, der 131 Tage ins Koma fiel und der noch heute schwer geschädigt ist. …

Grote: In der "Berliner Zeitung" steht heute, dass diese Euphorie, die gerade aktuell da ist, ein Wunder ist, denn die Handballfunktionäre haben es nicht einmal für nötig gehalten, für die aktuelle WM werben zu lassen. Finden Sie das auch?

Eggers: Das kann man wohl sagen. Das ist einzig und allein zurückzuführen auf diese sensationelle sportliche Entwicklung, die die Mannschaft unter Heiner Brand genommen hat.

Das vollständige Gespräch mit Erik Eggers können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.