Han Kang: "Die Vegetarierin"

Wenn Fleischverzicht das Leben zerstört

Eine junge Frau isst bei einem Wettbewerb in China Reis aus einer großen Schüssel.
Neue Essensgewohnheiten: "Die Vegetarierin" von Han Kang ist ein Plädoyer für ein Recht auf Eigensinn. © picture alliance / dpa / Xu Kangping / Vcg
Von Carsten Hueck · 15.08.2016
Nach fünf harmonischen Ehejahren begehrt Yeong-Hye auf: Die Heldin von "Die Vegetarierin" beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. Von den massiven Folgen dieser Entscheidung erzählt der preisgekrönte Roman der koreanischen Schriftstellerin Han Kang.
Auf der Short-List für den "Man Booker International Prize" standen in diesem Jahr prominente Namen, darunter die von Orhan Pamuk und Elsa Ferrante. Gewonnen aber hat die mit 50.000 Pfund (rund 63.500 Euro) dotierte Auszeichnung eine Unbekannte: die 45-jährige Südkoreanerin Han Kang. Sie und ihre britische Übersetzerin Debbie Smith teilen sich das Preisgeld für den bereits 2007 im Original veröffentlichten Roman "The Vegetarian". Es ist der erste Roman der in ihrer Heimat mehrfach ausgezeichneten Autorin, der ins Englische und nun auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Die Autorin Hang Kang posiert nach der Preisverleihung: Die hat den "Man Booker International Prize 2016" erhalten.
Die Autorin Hang Kang posiert nach der Preisverleihung: Sie hat den "Man Booker International Prize 2016" erhalten.© picture alliance / dpa / EPA / Hannah Mckay

Eine bespielhafte Erzählerin aus Korea

Han Kang steht beispielhaft für eine junge Generation koreanischer Erzähler/innen. Individualisierungsbestrebungen gegenüber den Normen eines stark reglementierten Sozialverhaltens stehen im Mittelpunkt sowie das Aufeinandertreffen traditioneller patriarchal-frauenfeindlicher Strukturen mit Emanzipationsbestrebungen der Moderne.
Yeong-Hye und ihr Mann, beide um die 30, leben in der Großstadt. Sie arbeitet Teilzeit als Computergrafikerin, er als Büroleiter. Yeong-Hyes Schwester führt erfolgreich einen kleinen Laden, ihr Schwager ist Videokünstler. Ihr Alltag dreht sich um Familie und Arbeit. Die Autorin erzählt in drei Kapiteln aus jeweils anderer Perspektive die Geschichte ermüdender Abläufe, beengter Existenzen - und explosiver Obsessionen. Poetisch doch ganz sachlich, schnörkellos und mit traumwandlerischer Sicherheit, legt sie seelische Abgründe ihrer Protagonisten frei.

Vegetarismus aus Protest

Yeong-Hye beschließt nach fünf Jahren reibungsloser Ehe, kein Fleisch mehr zu essen. Dieses plötzliche Aufbegehren löst bei Ehemann und Verwandten solche Erschütterungen aus, das nach 190 Seiten das Leben aller Beteiligten in Trümmern liegt, als sei ein Tsunami darüber hinweg gegangen. Dem Druck der Familie kann sich Yeong-Hye nur durch einen Suizidversuch entziehen. Allein ihr Schwager kann nachvollziehen, was in ihr vorgeht. Auch er leidet unter dem Konformismus seiner Umwelt und zunehmender Kontaktlosigkeit zu sich selbst.
Immer stärker ist er von der Vision besessen, Pflanzliches und Menschliches miteinander zu verbinden. Fasziniert von Yeong-Hyes Muttermal, träumt er davon, ihren Körper mit Blumen zu bemalen und sich mit ihr zu vereinigen. Der Versuch der beiden, gemeinsam zu einer lebensbejahenden Kreatürlichkeit zu finden, scheitert. Zwar spüren sie neue Lebenskraft, werden aber sozial geächtet. Yeong-Hye kommt in eine psychiatrische Anstalt. Dort verliert sie jeglichen Kontakt zur äußeren Realität und verkümmert wie eine Pflanze ohne Wasser.

Plädoyer für ein Recht auf Eigensinn

Han Kangs Roman ist von subversiver Sinnlichkeit und Kraft. In ruhigem, entschiedenem Ton erzählt sie von der Sehnsucht ihrer Protagonistin, einengende Konventionen abzustreifen, bringt aber auch Gewaltfantasien und chaotische Botschaften aus dem Unterbewussten ans Tageslicht - wo sie farbenfroh zu blühen beginnen. Ein Plädoyer für die Pflicht zur Selbstwahrnehmung und das Recht auf Eigensinn, eine Ermutigung, zu träumen und zu rebellieren.
Han Kang: "Die Vegetarierin"
Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee,
Berlin, Aufbau Verlag
190 Seiten, 18,95 Euro
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