Hamlet und Ophelia vom Arbeitsamt

Von Rainer Link · 30.03.2006
Bei Künstlervermittler Rüdiger List müssen die arbeitslosen Darsteller auf die hauseigene Probebühne und Rollen vorsprechen. Fast alle Bühnen im deutschsprachigen Raum arbeiten mit der Künstler-Vermittlung der Arbeitsagentur zusammen. Astrid Stork ist in der Hamburger Arbeitsagentur für die Solisten an Opernbühnen zuständig. Und so trällern die Job-Bewerber auf der Probebühne um eine Empfehlung für ein Vorsprechen.
"Was für ein trauriger Tag!"
"Was hast Du denn Toinette?"
"Ach, ich muss ihm eine traurige Nachricht bringen."
"Was denn?"
"Ihr Vater ist gestorben."

"Der Eingebildete Kranke" von Moliere. Die Proben an einem Hamburger Privattheater haben begonnen. In vier Wochen wird das Stück auf dem Spielplan stehen. Wenn´s gut läuft, haben die Schauspieler für einige Monate einen Job. Doch irgendwann wird das Publikumsinteresse nachlassen und der letzte Vorhang fallen. Für die nicht fest angestellten Darsteller endet das Engagement. Sie bringen ihre Kostüme zurück in den Fundus und machen sich auf den Weg zur Arbeitsagentur. Dort könnten sie auf Rüdiger List, den Vermittler für Bühnenberufe, treffen:

"Ich selber bin von Beruf her Regisseur, habe das längere Zeit ausgeübt als fester und freier; habe verschiedene Städte mit meinen Inszenierungen überzogen und muss sagen, dass ich gerne die Erfahrungen, die ich gemacht habe, hier zur Verfügung stelle."

Bei Rüdiger List müssen die arbeitslosen Darsteller keine Nummern ziehen oder
Anträge ausfüllen. Schlimmer. Sie müssen auf die hauseigene Probebühne, Rollen vorsprechen oder Arien vortragen. Der Regisseur vom Amt muss vom Können des Bewerbers überzeugt werden.

"Gr, grr, Du hast mich zugrunde gerichtet. Ich kann nicht mehr..."

"Man kann sehr präzise feststellen, ob jemand technisch z. B. was Phonetik oder Sprechen oder Übungen oder Atem ... es muss einfach eine vermittlungstechnische Möglichkeit vorhanden sein, damit man ihn empfehlen kann an die Arbeitgeber, die mit uns zusammenarbeiten."

Fast alle Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum arbeiten mit der Künstler-Vermittlung der Arbeitsagentur zusammen. Denn Rüdiger List und seine Kollegen liefern den Theatern Bewerber mit quasi amtlich geprüfter Qualität; und das auch noch kostenlos. Die Intendanten sparen sich aufwendige Ausschreibungsverfahren, sie müssen nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einem Vorsprechen einladen.

Manchmal gelingt es den Arbeitsvermittlern gerade mal, einen arbeitslosen Schauspieler in eine kurze Vakanz zu vermitteln, manchmal ist aber auch mehr drin:

"Unser gesamtes Trachten geht dahin, versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu vermitteln ... Also weniger Stückverträge, mehr feste Verträge."

Die "Zentrale Bühnen-, Film und Fernsehvermittlung" des Arbeitsamtes befindet sich im 4. Stock eines schlichten Bürohauses in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofes. Keine urbane Gegend. Und auch das im Stil der 70erJahre gestaltete Büro strahlt nicht gerade den Charme einer kreativen Künstlerschmiede aus.

Dennoch gewinnt man, wenn man die Räume betritt, nicht den Eindruck, in einer Behörde zu sein. Die Atmosphäre ist locker, der Ton freundlich. Im Zentrum des Bürotraktes steht eine Probebühne. Gleich daneben ein edler Konzertflügel. Der von der Arbeitsagentur bestellte Pianist ordnet gerade seine Noten. Denn heute müssen die potentiellen Nachfolger von Placido Domingo und Cecilia Bartoli ihr Bestes geben:

"Herr Han, Sie haben recht schön gesungen". "Dankeschön". "Sie haben eine ganz schöne Stimme. Ich habe ein bisschen Bedenken mit Rodolfo und Romeo, was das Repertoire angeht."

Herr Han ist gebürtiger Südkoreaner, hat in Deutschland Gesang studiert und sucht nun nach seinem ersten, festen Engagement. Egal wo.

"Ich finde Sie haben so gut vorgesungen, dass ich Ihnen Vakanzen gerne anbieten würde. Es gibt im Moment eine Tenorvakanz für ein Festengagement und das ist in Bremerhaven. Wissen Sie, wo Bremerhaven ist?"

"Neben dem Bremen."
"Alles klar, Dankeschön, Vielen Dank."
"Tschüss."

"Für einen Anfänger hat er ein ganz erstaunliches und Hoffnung machendes Niveau geboten. Das ist kein Garant dafür, dass wir zur nächsten Spielzeit ein Engagement für ihn finden", sagt Astrid Stork.

Sie ist in der Künstlervermittlung der Hamburger Arbeitsagentur für die Solisten an Opernbühnen zuständig. Die meisten ihrer Kunden kennt sie schon seit Jahren, die müssen nicht mehr antreten

"Beim Vorsingen werden nur Leute angehört, die wir erstens nicht kennen oder sehr lange nicht gehört haben oder die einen Fachwechsel anstreben. Also vom lyrischen Fach sich in eine dramatischere Richtung entwickeln und sich mit einem neuen Repertoire vorstellen."

Und weil nicht nur Solisten gesucht sondern auch Opernchöre mit Nachwuchs versorgt werden müssen, gibt es mit Peter Schlappa einen fachlich hoch anerkannten Vermittler für Chorsänger:

"Ich habe im Dresdner Kreuzchor begonnen, das war die Grundausbildung bis zu meinem 19. Lebensjahr...Habe dann Musik in Dresden studiert, bin von da aus an die Staatsoperette gegangen... Ich war viele, viele Jahre Regieassistent an verschiedenen Häusern, ich hab das Theater also von der Pieke auf kennengelernt, ja."

"Das wird mit einem ganz anderen Temperament gesungen" (Schlappa singt vor) "Das muss sprühen Die Frau ist in Brass, ist in Rage. Das zum einen. So wie Sie sich heute vorgestellt haben, können wir nichts für sie tun. Sie können gerne noch mal wiederkommen. Sie sind ja noch jung an Jahren. Ich sag mal, wenn Sie bis 30 keine Stelle in einem Opernchor bekommen haben, wird das nichts werden"

Sängerin: " Okay, danke."
"Danke, dass Sie da gewesen sind."

Nicht alle, die ein Gesangsstudium absolviert haben, werden in die Kartei der Arbeitsagentur übernommen. Die Vermittler sind anspruchsvoll. Schließlich sollen sich die Theater- und Opernhäuser darauf verlassen können, dass die ausgewählten Künstler ihr Fach wirklich verstehen.

Peter Schlappa und Astrid Stork entscheiden aber nicht nur, ob die Bewerber in die Vermittlungskartei aufgenommen werden, sondern auch wofür.

Schlappa : "Die wenigsten fühlen sich berufen, wirklich in den Chor zu gehen. Die meisten fühlen sich als Solisten ausgebildet."

Gesucht werden aber mehr Chorsänger als Solisten. Dass eine Solo-Karriere vielen als etwas Glanzvolleres gilt, hält Astrid Stork für falsch:

"Es sind einfach unterschiedliche Fähigkeiten, die einen guten Chorsänger und einen guten Solisten ausmachen. Beides sind professionelle Wege nach einem Musikstudium eine Karriere zu beginnen. Und beide sind meiner Meinung nach gleichwertig, aber sehr anders gelagert, was die Anforderungen angeht."

"Sie habe eine wunderschöne, interessante Stimme, aber man sieht, dass ihnen noch die Erfahrung fehlt, dass Ihnen noch die Technik fehlt. Man sieht, wenn da die hohen Töne kommen, dass Sie in die Knie gehen.... Sie sollten versuchen mehr zu musizieren! Legen Sie doch alles technische weg. Sie können Singen. Die Frage ist, möchten Sie weiterhin in den Opernchor?

"Ja, gerne."
"Ich denke, wir könnten daraus etwas machen, weil Sie sind eine fleissige Sängerin." (Lachen)
"Sie sollten den Opernchor als sichere Bank im Hintergrund haben... Wir haben eine 1. Altstimme in Innsbruck, in Österreich."
"Wann denn?"
"Zum nächsten Jahr"

Als Chormitglied ans Innsbrucker Opernhaus! Die Einstiegsgage wird nicht sehr hoch sein, ungefähr 1.500 Euro. Aber der Chorgesang hat einen unschätzbaren Vorteil, sagt Peter Schlappa:

"Der Chorsänger ist der sichere Beruf auf der Theaterseite. Sie werden nach Tarif bezahlt, an diesem Tarif versucht natürlich die Intendanz zu rütteln...es werden auch Hausverträge gemacht, wo dann das 13. Monatsgehalt nicht mehr gezahlt wird und das Urlaubsgeld nicht mehr gezahlt wird. Aber zumindest in dieser Branche bin ich der Meinung, dass man dort so sicher ist, dass man nach drei, vier, fünf Jahren, wenn man nicht selbst kündigt, den Weg des Chorsängers in einem Haus durchziehen kann."

Der Chorgesang macht nicht reich. Und auch die Schauspielerei an kleinen Bühnen wird zumeist nicht üppig entlohnt. Um deutlich mehr als 2.000 Euro im Monat zu bekommen, bedarf es schon etlicher Jahre Berufserfahrung.

"Die Rahmenbedingungen für Künstler allgemein haben sich sehr verschlechtert. Das hängt eben damit zusammen, dass Künstler eine Berufsgruppe bilden, die unstetig beschäftigt sind, die immer wieder darauf angewiesen sind, Engagements zu kriegen, die teils kurzfristig sind, teils nur eine gewisse Periode umfassen und die es daher nicht schaffen, Ansprüche für Arbeitslosengeld Eins zu schaffen, auch wenn sie gut im Geschäft sind."

Mozarts Requiem, inszeniert als Tanztheater, rund zwei Dutzend Darsteller bewegen sich auf der Bühne der Hamburger Tanz-Compagnie "B 12". Sie alle waren arbeitslos und wurden von der Bundesagentur für Arbeit als Ein-Euro-Tänzer vermittelt, erläutert die Choreografin:

"Der Kern des Projekts ist, für arbeitslose Tänzer und Schauspieler dafür zu sorgen, dass sie zehn Monate - für die Zeit, wo sie in jedem Fall arbeitslos sind - auf jeden Fall ein Dach über dem Kopf haben und täglich arbeiten zu können."

Arbeitslosengeld 2, also rund 350 Euro, zahlt die Arbeitsagentur als Grundsicherung für jeden Tänzer und jede Tänzerin. Hinzu kommt dann noch die Ein Euro Gage, die in diesem Fall etwas höher ausfällt, wie die Tänzer berichten:

"Ja, es ist ein Zwei-Euro-Job, aber das ist mir eigentlich gar nicht so wichtig. Mir ist wichtig, dass ich hier bin und es bringt so viel Spaß und es bereichert mein Leben und hier gehe ich auf wie eine Blume."

"Für mich als Künstlerin stellt sich nicht die Frage, gibt mir das Arbeitsamt Erlaubnis kreativ zu sein. Ich werde es einfach tun, in irgendeiner Form werde ich mir meinen Weg suchen."

Beileibe nicht allen Künstlern können die Vermittler den Weg zu attraktiven Jobs und akzeptablen Einkommen weisen. Die meisten bleiben unversorgt.

Stork: "All diese Leute, die wir heute gehört haben, leben irgendwo von. Und wir müssen davon ausgehen, dass die meisten kein Engagement haben, das heißt also, die sind berufsfremd tätig und verdienen ihre Brötchen."

So steht mancher Tenor statt auf der Bühne hinter einem Tresen, zapft Bier und trällert trotz aller Widrigkeiten:

"Gern, hab ich die Frauen geküsst, hab nie gefragt, ob es gestattet ist."