"Hamlet" auf dem Sonnendeck

Von Christoph Leibold · 26.11.2009
Als kreideweißes, zaundürres Männlein entsteigt der Geist von Hamlets Vater der Unterbühne. Sein Auftritt: Ein kurzer Spuk nur, aber charakteristisch für die Regie Christian Stückls, der zwar vieles (wie etwa dieses Gespenst) effektvoll in Szene gesetzt hat – mit Nebel, Regen und Feuer – doch nicht alles, was sinnliches Zuschauervergnügen bereitet, befördert auch den Sinn.
An sich ja wunderbar, wie der spillerige Michael Tregor Papa Hamlet selig auf die Bühne tupft, nölend und nörgelnd; indes dass diese Mischung aus Moorleiche und Schachtelteufel das verehrte väterliche Vorbild sein soll, das mit seinem Racheauftrag an den Sohn die Tragödie erst in Gang setzt, das mag nicht recht einleuchten.

Dänemark im Münchner Volkstheater ist ein Sonnendeck: auf Holzpodesten und -bohlen vergnügt sich eine Hofgesellschaft in weißer und hellblauer Sommerleinenmode. Man gibt sich heiter gestimmt, verspritzt Schampus, und sei es nur, um die kaum übersehbare Missstimmung zu kaschieren. Nur Hamlet gibt offen die Spaßbremse im schwarzen Beerdigungsanzug.

Christian Stückl hat eine Art Basisversion von "Hamlet" inszeniert. Er hält es nicht mit Shakespeare-Forscher Jan Kott, der einst sagte: "Hamlet" sein wie ein Schwamm, der die Gegenwart förmlich aufsauge. Stückl schaut nicht mit dezidiert heutigem Blick auf die elisabethanische Tragödie, sondern erzählt eine zeitlos gültige Geschichte vom Dänenprinzen, der an den unbeantworteten Sinnfragen des Lebens verzagt; und konzentriert sich ansonsten vor allem darauf, diese Geschichte spannend und stimmungsvoll zu erzählen. Bisweilen gelingen Stückl dabei durch kleine Eingriffe in den Text packende Momente. Bei Shakespeare gibt es eine Szene, in der der Thronräuber Claudius von Reue geschüttelt zu beten versucht. Hamlet beobachtet ihn dabei – heimlich – und sinniert darüber, ob dies der rechte Moment wäre, Claudius zu töten. Anders aber als in der Vorlage, richtet sich Hamlet im Münchner Volkstheater mit diesen Gedanken direkt an Claudius und geht ihm dabei sogar an die Gurgel.

Solchen Szenen der unmittelbaren Konfrontation, in der sich das dramatische Geschehen wirkungsvoll zuspitzt, stehen allerdings Sequenzen gegenüber, in denen sich die Handlung nur müde dahinschleppt. Einen ähnlich zwiespältigen Eindruck wie der ganze Abend hinterlässt auch Titeldarsteller Friedrich Mücke - fraglos ein junger Schauspieler von enormem Talent. Aber: Mücke ist vom Typ her eher ein Stürmer und Dränger. Ein jugendlicher Held von so kraftvoller Ausstrahlung, auch im Zaudern und Zagen, dass man sich verwundert fragt, wieso es dem nicht gelingen mag, mit seinem Stiefvater einfach kurzen Prozess zu machen.

Dazu kommt, dass dieser Hamlet, was sein zunehmend zynisches und entfesseltes Auftreten betrifft, ernsthafte Konkurrenz in seinem Kontrahenten hat: Jean-Luc Bubert als Claudius ist ein unberechenbarer Egomane, der seine Gesichtszüge so irrwitzig aufflackern lässt, dass man jederzeit fürchten muss, er könnte gleich etwas völlig Verrücktes, Gefährliches tun. Womit er Gefahr läuft, Hamlet die Rolle als Motor der Stücks abspenstig zu machen.

Bewegend schließlich: Barbara Romaners Ophelia: Allein ihr stummer Kampf mit den Tränen, mit denen sie auf die wiederholten Demütigungen durch Hamlet reagiert, lässt über so manchen Unebenheit des Abends hinwegsehen.