Hamburg

Dement beim Friseur

Eine Friseurin frisiert eine ältere Kundin.
Demenz spielt auch immer häufiger bei Friseuren eine Rolle. © dpa / picture alliance / Carsten Rehder
Von Katrin Albinus · 03.04.2014
Die Gesellschaft stellt sich nur schleppend auf Ältere ein: Der Umgang mit alten Kunden muss eigentlich gelernt sein - auch bei Friseuren. Das kann vor allem dann zur Belastung werden, wenn die Menschen dement sind. Der Hamburger Friseurmeister Paul Schneider stellt sich dem Problem.
Es brummt an diesem Freitagmorgen im Salon Paul Schneider. Ilse Schulze ist das egal. Die 84-Jährige steht mit ihrem Bonusheftchen in der Hand am Empfang und will ihren Stempel haben. Waschen und Legen war heute dran, jetzt sitzen die weißen Locken wieder.
Schulze: "Das nehm ich immer. Fünf Frisuren bezahlt man und die Sechste ist gratis. Und weil ich jede Woche komm, das lohnt sich ja."
Das lohnt sich natürlich auch für den Salon, Frau Schulze kommt seit 33 Jahren. Deswegen hat Paul Schneider das Bonusheft eingeführt, als Dankeschön besonders für seine älteren Kunden. Die kommen häufig nur zum Waschen und Föhnen. Einige, weil sie es selber nicht mehr können, andere, weil sie den Termin genießen.
Schulze: "Ich kann vom Strickmuster, die Muster kann ich stricken, alle, das ist egal. Aber Haare machen - hab' ich kein Talent zu. Ich freu mich immer auf den Freitag, denn werden meine Haare wieder schön, denn seh' ich wieder ordentlich aus."
Weil Frau Schulze nicht mehr so gut zu Fuß ist, fährt Ilse Schneider sie nach Hause und holt bei der Gelegenheit gleich Ilse Präker ab, fünf Euro kostet der Fahrdienst. Paul Schneider richtet unterdessen ihren Stammplatz her.
Schneider: "Das ist immer ganz wichtig, denn wenn die 'Bunte' nicht am Platz liegt und ihre Sachen nicht vorbereitet sind, dann ist sie schon mal böse. Wo ist meine 'Bunte'?"
Ilse Präker ist 94 Jahre alt und hat - wie andere Kunden auch - gewisse Vorlieben, die sie zur Not auch lautstark verteidigt: eine bestimmte Zeitschrift muss es sein, ein bestimmter Platz, ein bestimmtes Getränk und natürlich immer dieselbe Frisur. Das alles notiert Paul Schneider auf Karteikarten - und noch einiges andere, das Kollegen besser über einen Kunden wissen sollten.
Alte Menschen wollen nicht ins Hinterzimmer
Schneider: "Wir haben einige Kunden, wenn wir widersprechen, dann werden sie wütend. Also auf die Karte: im Gespräch nicht widersprechen. Zuhören und akzeptieren, was gesagt wird. Weil es sonst auch eskaliert hier und dann andere Kunden aufmerksam werden und dann sagen: Was ist denn mit der los? Und wir verstecken halt unsere alten Kunden auch nicht an irgendwelchen separaten Plätzen ..."
... obwohl Schneider die Möglichkeit dazu sogar hätte. Aber alte Menschen möchten nicht ins Hinterzimmer verbannt, sondern mittendrin sitzen, erzählt er. Und das gerne auch am Samstagvormittag, wenn im Laden ohnehin Hochbetrieb ist. Schneider respektiert das.
Schneider: "Hallo Frau Präker! Schön, Sie zu sehen. Hat alles gut geklappt?"
Präker: "Ja, ja ..."
Auszubildende Jenny übernimmt das Waschen, anschließend dreht der Chef der Seniorin die rot-gefärbten Haare ein, serviert das Stammgetränk.
Ilse Schneider: "Frau Präker, Sie trinken jetzt einen schwarzen Tee, ist das richtig?"
Präker: "Ja, genau wie immer."
Schneider: "Wunderbar."
Bevor die alte Dame mit ihren Lockenwicklern unter der Trockenhaube verschwindet, folgt noch der Griff zur Bunten.
Präker: "... hab' ich mehr Interesse, wenn da so alte Sachen drin stehen. Von den, von den ..."
Schneider: "Königshäusern."
Präker: "Königshäusern was drin steht und so. Weil da die ganzen, die ganzen..., Gott,... - das ist für mich 'ne Erinnerung, verstehen Sie. Weil es Historie ist, von früher."
"Am Anfang war das sehr schwer für mich"
Es geht es auf zwölf Uhr zu, im Aufenthaltsraum stellen einige Mitarbeiter ihr Essen in die Mikrowelle. Die Auszubildende Jenny ist 16 Jahre alt und erst seit einem dreiviertel Jahr im Salon. Mit Menschen, die im Alter vielleicht eigensinnig oder sogar aggressiv werden, hatte sie vorher nichts zu tun.
Jenny: "Am Anfang war das sehr schwer für mich, weil ich hab das nicht verstanden und ich wusste auch nicht, wie ich damit umgehen soll und ja, ich wurde auch schon öfters angeschrien von älteren Menschen, wo man dann auch einfach nur lächelt und die Menschen versucht zu beruhigen, irgendwie das hema zu wechseln, über was anderes zu reden, warum die Person sich gerade aufgeregt hat, dass man die halt ein bisschen ablenkt davon."
Bevor sie gelernt hat, so mit den Kunden umzugehen, gab es allerdings auch Tränen. Geholfen haben ihr vor allem die Teamgespräche, die bei Schneider einmal im Monat nach Feierabend stattfinden. Außerdem haben alle Mitarbeiter kürzlich an einem Coaching teilgenommen, das heute Abend ausgewertet werden soll.
Schneider: "Und ich würde das ganz gut finden, wenn wir vielleicht auch einige Kunden ansprechen, die uns Sorgen machen, wäre ganz toll, wenn wir das heute Abend besprechen können."
In anderen Betrieben und in der Berufsschule wird selten über die Probleme mit älteren Menschen gesprochen. Paul Schneider versucht das zu ändern, bringt das Thema in die Innung und die Schule ein. Die Schwierigkeiten in seinem Laden muss er aber jetzt schon lösen. Eine besondere Herausforderung für alle Angestellten sind langjährige Kunden, die dement werden.
Lisa: "Erschreckend zu sehen, dass es von Mal zu Mal ist."
Friseurteam sucht Lösungen für unterschiedliche Kunden
Dana: "Jetzt hatte sie ein paar gute Besuche, wo sie komplett klar war, dann hat sie wieder Besuche, wo sie ganz schlimm drauf ist, aber man darf bei ihr keine offenen Fragen stellen, man muss immer geschlossene Sachen jetzt bei ihr fragen und dann fällt es ihr auch leichter und sie ist klarer in dem Moment."
Schneider: "Vorne hat sie meine Frau gefragt: ich weiß gar nicht, wo der Bus jetzt abfährt, ich weiß gar nicht, wo ich hin muss. Da hat meine Frau einfach bestimmt: Sie fahren heute mit der Taxe nach Hause. Was ich das nächste Mal gerne möchte: ich möchte 'ne Telefonnummer haben von einem ihrer Angehörigen, die wir eventuell anrufen können."
Lösungen sucht das Team auch für Kunden, die sich eine halbe Stunde lang in der Toilette einschließen, die inkontinent sind oder einfach während des Frisierens aufstehen. Der Austausch und das Coaching helfen allen dabei, einmal Dampf abzulassen, aber auch verständnisvoller und kompetenter zu reagieren. Besonders Jenny ist erleichtert über die regelmäßigen Treffen.
Jenny: "Dass ich nicht mehr diese Probleme habe, dass ich Angst vor denen hab - so wie am Anfang, wenn ich einen Namen gelesen hab im Anmeldebuch wo ich schon eigentlich hätte heulen können. In dem Moment, das war eben echt hart."
Schneider: "Und das ist vorbei aber jetzt."
Jenny: "Es ist sehr gut, dass wir das überhaupt machen."
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