"Hallöchen, Herr Professor!"

Jan Seifert im Gespräch mit Nana Brink · 19.11.2012
Entweder zu flapsig oder zu gestelzt: Der Bonner Linguist Jan Seifert hat 500 studentische E-Mails auf ihre Form hin analysiert und vermisste bei den Schreibern oft die Fähigkeit, sich "situationsadäquat" auszudrücken.
Nana Brink: Wahrscheinlich wundern Sie sich auch, wenn Sie Mails bekommen von jungen Menschen, die schon studieren, und nicht nur, dass sie verzweifelt nach den Kommata suchen oder der Großschreibung. Es ist auch der Ton, der bisweilen verwundert. Und es geht Ihnen vielleicht auch so und vielen Professoren geht es auch so, wenn Sie E-Mails wie diese bekommen:

"Guten Abend! Haben Sie von meiner Freundin die Nachricht bekommen, dass mein Zug ausgefallen ist? Ich stand gerade im Wald mit dem ollen Ding. Ich hoffe, Sie haben mich heute nicht zu sehr vermisst. Wenn Sie brauchen, kann ich Ihnen ein Attest besorgen. Aber eigentlich war ich nicht krank. Liebe Grüße!"

Brink: Am Telefon ist jetzt Jan Seifert, Dozent für germanistische Linguistik an der Universität Bonn. Er hat 500 E-Mails auf ihre Form hin analysiert. Schönen guten Morgen, Herr Seifert!

Jan Seifert: Ja schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.

Brink: Ist das eine klassische E-Mail, die wir gerade gehört haben, die Sie so bekommen?

Seifert: Na ja, es ist eine, die natürlich das Interesse weckt und die auch Anlass gibt, darüber zu schmunzeln und zu lachen, aber …

Brink: Ich fand die jetzt gar nicht so ungewöhnlich...

Seifert: Na ja, es ist, wenn man das in Summe sieht, doch schon ein Extrembeispiel. Aber es ist natürlich so, dass solche E-Mails Gesprächsstoff sind. Und das war seinerzeit auch der Anlass, dass wir uns überlegt haben im Kollegenkreis, dass es eigentlich sehr interessant sein könnte, über studentische E-Mails mal genauer nachzudenken. Und ich habe daraufhin angefangen, einen Korpus aufzubauen, und habe festgestellt, dass solche extremen E-Mails, bei denen man ja wirklich zahlreiche Normverstöße feststellen kann, doch eher die Ausnahme sind. Der größte Teil der Mails ist eher unauffällig, aber umso mehr fallen dann eben solche umgangssprachlichen Ausdrucksweisen, sprechsprachliche Diktionen, nachlässiges Korrekturverhalten und so weiter dann heraus.

Brink: Warum treffen so viele Studenten eigentlich nicht den richtigen Ton? Wissen sie es nicht anders?

Seifert: Zum Teil dürfte das in der Tat die Erklärung sein. Bei manchen Mails hat man den Eindruck, dass die Studenten nicht gelernt haben, sich situationsadäquat auszudrücken. Und für viele ist sicherlich auch die Situation, schriftlich mit einem Dozenten zu kommunizieren, auch neu. Und viele versuchen möglicherweise einfach die Praktiken, die sie so im informellen Umgang mit Freunden und so weiter anwenden, hier auf diese Situation zu übertragen.

In anderen Fällen habe ich den Eindruck, dass man sich durchaus bemüht, den richtigen Ton zu treffen, sich dann aber im Register gewissermaßen vergreift. Solche E-Mails, wie wir sie gerade gehört haben, stellen eben die eine Seite dar. Auf der anderen Seite gibt es viele Texte, in denen man doch merkt, dass die Verfasser sich bemühen, ein möglichst gewähltes Register zu ziehen, sich möglichst hochgestochen gewissermaßen auszudrücken, und das geht dann zum Teil genauso daneben.

Brink: Kann es sein, dass es vielleicht auch ein Problem mit dem Hierarchiegefälle gibt, oder dass viele Studenten auch nicht wissen, da ist ein Prof., der eigentlich auf einer anderen Ebene steht als ich, ich muss dann auch mich einer anderen Sprache bedienen, als wenn ich jetzt meinem Kumpel auf Facebook was poste?

Seifert: Das ist sicherlich ein Problem. Hinzu kommt aber auch, dass es ja einheitliche Normen für die Kommunikation im Bereich der Hochschule eigentlich gar nicht gibt, weil diese Normen auch wieder zum Teil adressatenabhängig sind. Wenn wir uns jetzt überlegen, dass ein vielleicht 25-jähriger Doktorand, der sein erstes Seminar gibt, möglicherweise ganz andere Erwartungen hat als ein 60-jähriger gestandener Professor, dann muss der Student sich natürlich im Einzelfall auch überlegen, wie ein bestimmtes Kommunikationsverhalten jeweils ankommt.

Also es ist durchaus möglich, dass der genannte 25-jährige Dozent eine Anrede mit "Hallo" ohne weiteres akzeptiert, während der ältere Professor derartige Mails vielleicht sogar ungelesen lässt.

Brink: Was hat Sie denn so interessiert, diese 500 Mails zu untersuchen?

Seifert: Was mich im Einzelfall interessierte ist die Frage, wie die Studenten sich bemühen, sich situationsadäquat auszudrücken, und mir ist aufgefallen, dass viele um ein höheres Register bemüht scheinen, und das führt dann im Grunde auch zu ganz komischen Wirkungen. Wenn beispielsweise in Relativsätzen dieses Relativpronomen "welcher" benutzt wird, zum Beispiel "Ich habe mit Kommilitonen eine Frage diskutiert, auf welche wir noch keine Antwort gefunden haben" oder so etwas. Das klingt ja nun sehr sperrig und gespreizt. Oder dass Genitivformen verwendet werden mit einer silbischen Endung, also so etwas wie "des Seminares" oder Änliches. Oder relativ sperrige Nominalkonstruktionen, "einen Gruppenwechsel vollziehen" oder "etwas in Erfahrung bringen" oder Ähnliches.

Brink: Da könnte man doch eigentlich glatt sagen, die haben einfach nicht richtig Deutsch gelernt.

Seifert: Ja sie haben offenbar eine Vorstellung davon, wie man sich gewählt ausdrückt, wie man sich vielleicht auch in einer solchen hierarchisch geprägten Kommunikationssituation ausdrückt, aber sie treffen dann in der Tat nicht den richtigen Ton. Und das scheint mir wirklich ein Problem zu sein, vielleicht auch ein Problem von einem gewissen Defizit in der schulischen Ausbildung, denn an und für sich sollte doch das situationsadäquate Sprechen und Schreiben trainiert werden, und ich habe den Eindruck, dass hier noch etwas mehr an den Schulen dann passieren müsste.

Brink: Wenn wir jetzt mal ein ganz praktisches Beispiel an die Hand geben, wäre es okay, wenn dann ein Student sagen würde, "Tschüss, Herr Seifert", oder müsste er doch ein bisschen höflicher sein?

Seifert: Im konkreten Gespräch hätte ich gar kein Problem damit. In einem schriftlichen Text würde ich es für unangemessen halten. Allerdings würde ich schon sagen, dass man auch jeweils nach dem Bekanntheits- und Vertrautheitsgrad differenzieren müsste, denn so was wie "Sehr geehrter Herr Dr. Seifert" oder Ähnliches liest man natürlich auch. Aber je besser man sich kennt, umso eher ist dann auch eine Anrede wie "Lieber Herr Seifert" oder Ähnliches natürlich akzeptabel. Und auch im Bereich der Grußformen haben wir ein großes Spektrum an schriftsprachlich möglichen Formeln: "Mit freundlichen Grüßen", "Mit besten Grüßen" und so weiter, "Herzliche Grüße", wenn ein gewisser Grad an Vertrautheit erreicht ist. Aber "Tschüss" fällt natürlich doch in den Bereich der eindeutig gesprochenen sprachlichen Formeln.

Brink: Und das würden wir uns auch hier nie wagen, sondern sagen schönen Dank für das Gespräch.

Seifert: Ja, sehr gerne.

Brink: Jan Seifert, Dozent für germanistische Linguistik an der Universität in Bonn.


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