Häuser aus einem der ältesten Baustoffe der Welt

Von Marietta Schwarz · 19.11.2007
Nicht Beton, Holz oder Glas ist das bevorzugte Baumaterial für den Architekten Eike Roswag, sondern Lehm. Für den Bau einer Dorfschule in Bangladesch hat er unter anderem den Aga-Khan-Award erhalten, die bedeutendste Architekturauszeichnung der islamischen Welt. Mit Lehm baut Roswag aber nicht nur in Südostasien, sondern auch in Berlin.
Um die Jahreszeit beginnt Eike Roswag mit der Arbeit, wenn es noch dunkel ist, und er beendet sie lange nach Einbruch der Dämmerung. Trotzdem wirkt er nie gehetzt. An diesem Morgen verschiebt er das Frühstück sogar deutlich nach hinten, auf neun Uhr. Auf der Gasflamme gurgelt die Espressokanne, die Herbstsonne fällt durch die großen Fenster in seinem ersten selbst gebauten Haus, einer idyllischen Remise am Mauerstreifen in Berlin, wo Kreuzberg nicht mehr Kreuzberg und Mitte noch nicht Mitte ist. Hier lebt der Architekt zusammen mit seiner Freundin.

Eigentlich war das ne totale Ruine, sagt der 38-Jährige, während er ein Croissant in zwei Teile zerreißt, aber wir haben sie einfach drei Jahre lang trocken geheizt.

"Da haben wir alle Wände rausgenommen und ... dann hier das erste Experiment mit einer Stampflehmwand gemacht."

Stampflehm -

"Da baut man Lehm aus dem Boden ab, und gibt ihn in eine Schalung, wo er gleich verstampft wird."

Die Erde karrte Eike Roswag aus dem Berliner Umland an, die Schalung besorgte er sich aus abgebrochenen Baustellen. Resteverwertung also. Dann wurde gestampft, mit bloßen Händen und einem groben Stück Holz, Lage für Lage, zusammen mit einem Freund.

"Da hatten wir später Sehnenscheid-Entzündung."

Die Spuren dieser Handarbeit spiegeln sich in den hellbraunen Wänden wider: Unten ganz glatt und scharfkantig. Oben, wo die Kraft nachließ, sind die Oberflächen grober, kleine Steinchen bilden horizontale Wellenlinien, die den kargen Innenräumen den Charme des Unperfekten geben.

Gut 13 Jahre ist es her, dass Eike Roswag der Ruinen-Remise neues Leben einhauchte. Da war er fast noch am Beginn seines Architekturstudiums, hatte aber bereits eine Tischlerlehre hinter sich.

"Man muss einfach Sachen aushecken,"

sagt er und grinst. Und so erklärt der Mann mit den grauen Augen und dem kurz geschorenen schwarzen Haar auch seinen Werdegang:

"Tja, aus dem entfernten Blick ist es halt so, dass ich mit acht Jahren Dach gedeckt habe auf ner hohen Scheune, und mit 16 merkte, dass ich noch mit meinem Bruder in einem Zimmer lebte und gesehen hab, dass da aufm Dachboden noch ein leeres Zimmer ist... Und dann bin ich irgendwann aufs Dach gestiegen, hab mit der Kettensäge ein Loch reingeschnitten und dieses Fenster eingebaut, um mal 'n Statement zu machen."

20 Jahre später macht er wieder ein Statement, diesmal allerdings nicht auf dem Grundstück des landwirtschaftlichen Betriebs seiner Eltern in Hessen, sondern in Bangladesch. Zusammen mit einer Freundin baut er eine Dorfschule auf, mit Mauern aus Lehm und mit einem Dach aus Bambus.

"Wenn man bedenkt, dass man 400 Tonnen Nasslehm mit 16 Handwerkern neun Mal bewegen muss, immer wieder in den Korb, den Korb auf den Kopf nehmen, dahintragen ... "

... dann heißt das viereinhalb Monate lang Stress, im Dreck wühlen, Probleme aus dem Stegreif lösen, aber auch:

"Ne sehr starke menschliche Erfahrung."

"Das war für alle ein Riesen-Abenteuer, weil der weiße Mensch für die dort nur im Air-conditioned-Jeep auftaucht. Und dann gibt es vielleicht noch ein paar, die in Latschen über die Felder laufen, aber dann eher so den Gutmenschen-Touch haben.

Dass da Architekten auftauchen, dass die auch noch aus Europa sind, und ab der ersten Minute im Dreck mitgesteckt haben, ... war ein Riesen-Spektakel, so dass die Leute über Stunden, halbe Tage, Tage dahergelaufen sind und geschaut haben, was wir da treiben. Das war ein Riesen-Ereignis. Wir mussten irgendwann Zäune um die Baustelle machen, weil wir einfach der Menge der Leute nicht Herr geworden sind."

Spätestens wenn Eike Roswag von Bangladesch erzählt, wird klar, dass es ihm nicht um die Produktion von Hochglanz-Architektur geht. Popstar werden will er ebenso wenig wie Trends setzen oder - noch schlimmer - solchen hinterher rennen. Er baut ökologisch, aber schnörkellos. Er begreift sich selbst als Baumeister, der Handwerk und Planung beherrscht, auf traditionelle Techniken und beste Materialien zurückgreift.

"Wir haben da alle ein sehr handwerkliches Verhältnis auch hier im Büro, wir müssen die Dinge begreifen im wahrsten Sinne des Wortes."

Es sind schon konservative Werte, meint er, die er von zuhause mitgekriegt hat, wo er mit sieben Geschwistern auf einem Bauernhof in der Nähe von Gießen aufgewachsen ist. Das harte Arbeiten, aber auch der ordentliche Umgang miteinander. Bauen, sagt er, hat ja auch ganz viel mit Prozessen und mit den Menschen zu tun.

"Die Wurzeln, ich bin halt irgendwie Bauernkind, und vielleicht, ich dachte einmal in Bangladesch, da war so ne herbstliche Stimmung mit Morgennebel. Und dann saß ich oben auf dieser Decke, die mit Stroh und Lehm gefüllt wurde, und es roch und sah eigentlich so aus, wie unsere Kartoffeläcker, wie ich sie so als Kind erlebt habe. Und da hab ich gedacht: Vielleicht hat das schon etwas damit zu tun, wo man herkommt."

Das nächste Projekt in Abu Dhabi hat bereits begonnen, ein kleines Museum, natürlich ein Lehmbau. Eigentlich aber, sagt Eike Roswag, will er lieber zuhause, in seiner Heimat arbeiten. Sesshaft werden?

"Auf alle Fälle, im Moment entwickelt sich hier sehr viel."

Familie gründen?

"Auf alle Fälle, klar."

Nur mit der vielen Arbeit, schmunzelt er, muss man halt sehen, wie sich das praktisch umsetzen lässt. Der Tag ist noch jung. Draußen zittern die Blätter im Wind. Das Mobiltelefon klingelt. Eike Roswag schenkt noch einmal Espresso nach.