"Härtere Knäste helfen nicht"

Moderation: Christopher Ricke · 08.01.2008
Der ehemalige Gefängnispfarrer der Jugendstrafanstalt Siegburg, Rudolf Hebeler, hat der Politik vorgeworfen, das Thema Jugendkriminalität zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen. Die gleichen Politiker, die sich nun mit scharfen Forderungen zu Wort meldeten, hätten in der Vergangenheit notwendiges Personal eingespart, sagte Hebeler.
Christopher Ricke: Das Thema ist der Wahlkampfschlager des Winters. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch will damit eine Landtagswahl gewinnen. Es ist die Debatte über ein schärferes Jugendstrafrecht. Es entspricht ja auch dem Gerechtigkeitsgefühl der eigenen inneren Empörung, wenn brutale Schläger, wie die in München, möglichst hart bestraft werden, wenn möglich sogar ins Ausland abgeschoben werden. Da klingen andere Argumente nur noch leise und verhalten durch: Mehr Bildung schaffe weniger Gewalt. Man müsse jungen Menschen die Hand reichen, eine Perspektive geben. Das hört man immer noch, aber es ist etwas leiser. Ich spreche jetzt mit dem evangelischen Geistlichen Rudolf Hebeler. Das ist ein Mann der Praxis. Er war jahrzehntelang Gefängnisseelsorger in der Jugendstrafanstalt Siegburg. Guten Morgen, Herr Hebeler!

Rudolf Hebeler: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Wie erleben Sie denn diese aktuelle Diskussion über Strafverschärfung?

Rudolf Hebeler: Ja, man ist schon erschüttert über das, was man da so liest. Aber andererseits weiß ich, dass die Jugendkriminalität seit acht, neun Jahren eigentlich immer mehr zurückgeht.

Ricke: Sind Sie jetzt erschüttert über die Reaktionen der Politiker oder die Brutalität der Täter?

Rudolf Hebeler: Nein, die Brutalität der Täter kommt immer wieder mal hoch. Früher ging das nur nicht so blitzschnell durch die Zeitung. Und die Kommunikation ist ja sehr schnell. Solche Dinge kommen immer wieder vor und sind tragisch und ganz schlimm, vor allen Dingen für die Opfer, und zeigen auch die absolute innere Verwahrlosung der Täter. Nur ich weiß auch, dass härtere Knäste nicht helfen. Denn die schaffen nur härtere Menschen, nur kalte Menschen. Und so sehe ich das eigentlich. Ich bin immer wieder erschüttert, dass die Politiker alle Jahre wieder, wenn Wahlkampf ist, auf dieses Thema zurückgreifen, das natürlich auf die Emotionen geht. Aber wenn man mit dem Verstand nachkommt, merkt man schon, dass das alles hohle Nüsse sind.

Ricke: Aber es gibt doch diese verständliche Wut, dass so was nicht sein darf, dass man einfach einen Rentner in einem U-Bahnhof zusammenschlägt, nur weil der gesagt, man möchte bitte in der U-Bahn nicht rauchen. Das muss doch was geschehen!

Rudolf Hebeler: Natürlich gibt es diese verständliche Wut. Aber wir sollten dann das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wenn diese beiden Menschen zum Beispiel abgeschoben würden, dann schieben wir eine Kriminalität ab in ihre Heimatländer oder Vorfahrenländer, die sie hier erworben haben. Hier sind sie brutal geworden. Hier sind sie vielleicht sogar durch den Knast brutal geworden. Denn da ist das Problem, was wir seit Jahren haben: Wir sehen, die Leute brauchen Begleitung. Mit ihnen muss geredet werden, und zwar nicht in der Subkultur. Wenn Sie Subkultur zusammentun, kommt da Sub raus und nie Kultur. Nein, wir müssen die Leute vereinzeln in den Knästen, das heißt, wir brauchen da seit Jahren geschultes, engagiertes Personal, das da ist und wäre, wenn es nicht seit Jahren konsequent abgebaut würde. Es ist so, dass wir natürlich schreien nach öffentlicher Ordnung und Recht, und dass man nicht mehr ruhig in der U-Bahn fahren kann, ohne angegriffen zu werden. Sagen die Politiker: So, wir müssen einfach was dagegen tun. Was tun sie? Sie bauen ab und provozieren genau das mit, was sie jetzt beschimpfen.

Ricke: Was heißt das? Wir brauchen mehr Geld für Jugendgerichtshilfe, soziale Trainingskurse?

Rudolf Hebeler: Zum Beispiel. Und zum Beispiel Vorfeldgeschichten, Prävention, Täter-Opfer-Ausgleich im Vorfeld. Das ist ja alles da. Herr Ricke, wir haben ja die Gesetze. Sie werden nur nicht gebraucht, wie sie da sind. Denn sie können nicht angewandt werden, weil das Geld zurückgehalten wird. Wir würden viel mehr sparen auf Dauer, auch volkswirtschaftlich, wenn wir diese Gelder investieren in diese Menschen. Und da haben wir ja Erfolgsmodelle immer wieder gehabt. Wenn wir diese Menschen nicht weiter fördern, natürlich, dann müssen wir sie rausschmeißen.

Ricke: Bei allem Verständnis für soziale Trainingskurse, für Täter-Opfer-Ausgleich, für Sozialpädagogik. Braucht man nicht auch ein Signal? Wäre nicht die Sache mit dem Warnschussarrest eine gute Idee, die Sache mit dem Erziehungslager?

Rudolf Hebeler: Ja, Erziehungslager. Da höre ich so Amerika rüberpfeifen. Wobei wir wissen, diese Camps in den USA beruhen auf dem Verständnis von Strafrecht bei Jugendlichen, während unser Jugendstrafrecht im Grunde ein Erziehungsrecht ist. Das ist ein Riesenunterschied. Natürlich ein Warnschuss, wenn wir Kinder haben, die renitent sind und ihnen sagen, so, nun mach das noch mal, dann hat er drei Tage Zimmerarrest und das nicht tun, dann sagt das Kind natürlich, na, ich kann so weiter arbeiten und so weiter leben, so renitent sein. Ich denke schon, Warnschüsse sind gut. Aber in der Kinderpädagogik, hier bei jungen, erwachsen werdenden Menschen, ist das vielleicht sogar die umgekehrte Sache des Märtyrertums: Mensch, dieser Mensch war im Camp! Doll, was muss der schlecht sein! Die Leute denken ja häufig so auf der Negativseite, nicht auf der positiven Seite. Das Schwarze steckt ja an. Deshalb müssen wir da reingehen und solche Dinge weitgehend verhindern durch die Mittel, die wir haben, die wir an der Hand haben. Wir haben begleitende, präventive, schützende Gesetze und wenden sie nicht an, weil die Politik, genau die, die jetzt schreit, das Geld, das dafür vorgesehen ist, nicht an die richtige Stelle setzt. Von Warnschüssen halte ich insofern nichts. Das schafft auf der negativen Seite Märtyrer.