György Konrád: "Gästebuch"

Erinnerungssplitter aus verschiedenen Diktaturen

Der ungarische Schriftsteller György Konrád signiert am 08.03.2014 im schleswig-holsteinischen Landtag in Kiel anlässlich seines Vortrags im Rahmen der "Woche der Brüderlichkeit" ein Buch.
Der ungarische Schriftsteller György Konrád © picture-alliance / dpa / Markus Scholz
Von Nana Brink · 26.03.2016
Politiker, Freunde, Schriftsteller: György Konrad porträtiert in seinem literarischen "Gästebuch" Menschen, denen er in seinem Leben begegnet ist. Auch Frauen, die er liebte, und Verwandte, die in der Shoah ermordet wurden, sind darunter.
Der erste Fehler wäre – wenn man dieses Buch zur Hand nimmt – etwas Bestimmtes zu erwarten. Zum Beispiel launige Anekdoten über die Menschen zu lesen, die einen besonderen Eindruck auf den wohl bekanntesten ungarischen Intellektuellen der letzten Jahrzehnte gemacht haben. Man findet sie natürlich auch, aber nicht auf den ersten Blick.
Bestimmt sind Sie, lieber Leser, jetzt verwirrt. Und genau das ist die augenzwinkernde Absicht von György Konrád. Gleich auf der ersten Seite in "einer Art Vorwort" fragt er: "Was eigentlich ist dieses Buch?". Um dann gleich (k)eine Antwort zu geben: "Treffen wir zwischen nachstehenden Angeboten eine Wahl! – Berichterstattung eines speziellen Bewusstseins? Textpatience? Oder schon Roman?"

Augenzwinkernde Textpatience über Konráds Leben

Textpatience würde es wohl am besten treffen. Wie beim Spiel eine Karte an die andere gelegt wird, bis es aufgeht, so ergeht es dem Leser auch mit dem "Gästebuch". Man spielt eine Patience zum Zeitvertreib, vielleicht um nachzusinnen oder sein strategisches Denken zu schulen. All dies kann man ebenso mit Konráds Gästebuch tun, am besten bei einem Glas Rotwein auf dem Sofa.
Buchcover: "Gästebuch - Nachsinnen über die Freiheit" von György Konrád
Buchcover: "Gästebuch" von György Konrád© Suhrkamp Verlag
Die kurzen, meist nur einseitigen Kapitel folgen grob der Chronologie seines Lebens und beginnen mit dem Nachdenken über den eigenen "Fatalismus":
"Als junger Mensch dachte ich, ungarischer Schriftsteller, auf einem lebenslangen Beobachtungsposten zu sein, das sei meine Aufgabe. Und außerdem: Umsonst bin ich Jude, auf natürliche Weise reden und schreiben kann ich nur ungarisch. ... Demzufolge muss ich mich in meinem eigenen Fatalismus einrichten."
Und so beschreibt er mit der "Strenge und Launenhaftigkeit eines alten Mannes" die Erinnerungssplitter aus Jahrzehnten in verschiedenen Diktaturen. Auf Überschriften wie "Meine Klassenkameraden gingen sofort in die Gaskammer" folgen Seiten später die Erlebnisse des jungen Konrád ("Wir hatten einen schönen, warmen Sommer"), der sein Überleben feiert und seine Männlichkeit entdeckt.

Als Jude verfolgt, als Schriftsteller verboten

Wahrscheinlich kann nur einer wie György Konrád eine derart lose, scheinbar unzusammenhängende Ansammlung von erzählerischen Sequenzen, philosophischen Anmerkungen und Anekdoten aus seinem Leben schreiben.
Und es hilft, wenn man sich sein Leben vor Augen führt: Geboren 1933 in Debrecen/Ungarn, entgeht er 1944 als Jude mit seiner Familie nur knapp der Deportation nach Auschwitz. In seinen Romanen "Glück" und "Heimkehr" beschreibt er diese Zeit.
Der junge Konrád studiert Literaturwissenschaften, arbeitet als Soziologe und konzentriert sich früh auf die Schriftstellerei. Er eckt an mit seinen libertären Ansichten und darf zwischen 1978 und 1989 nicht mehr publizieren. Aber reisen: durch Westeuropa, Amerika und Australien.

Eindrückliche Passagen über die Verbindung zwischen "Idee und Töten"

Neben Vaclav Havel, Adam Michnik, Milan Kundera und Pavel Kohout gehört György Konrad zu den wichtigen Stimmen vor 1989. Viele in Deutschland kennen ihn als Präsident der Akademie der Künste in Berlin-Brandenburg von 1997 bis 2003.
Am eindrücklichsten sind die Passagen, in denen sich Konrád über die Freiheit äußert, über die Verbindung zwischen "Idee und Töten":
"Keine einzige der im Großkaufhaus angebotenen Konfektionsideologien habe ich mir andrehen lassen. Allesamt sind sie ein heimtückisches Bündnis mit dem Töten von Menschen eingegangen".
So ist sein Gästebuch ein großes Treffen mit sich Selbst und seinem Alter Ego, das man aus seinem 2007 erschienen "Buch Kalligaro" kennt. Nur für den neugierigen Leser geht die Patience am Ende auf, - denn wer einen zusammenhängenden Erzählstrang erwartet, wird enttäuscht.

György Konrád: Gästebuch. Nachsinnen über die Freiheit
Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
288 Seiten, 22,95 Euro, auch als E-Book

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