Guter Rat für die Suhrkamp-Gesellschafter

Stefan Kessen im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.02.2013
Wenn der Streit bei Suhrkamp geschlichtet werden soll, dann müssten die beiden Gesellschafter, Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkéwicz, anders miteinander kommunizieren, sagt der Berliner Mediator Stefan Kessen. Wichtiger als der Inhalt des Streits sei die Frage, wie man miteinander redet.
Dieter Kassel: Die beiden Gesellschafter des Suhrkamp Verlags – Hans Barlach, der mit seiner Holding 39 Prozent von Suhrkamp besitzt*, und Ulla Unseld-Berkéwicz, die mit der Familienstiftung über die anderen 61 Prozent verfügt –, die sind seit Jahren zerstritten, haben wilde Vorwürfe ausgetauscht. Vereinfacht gesagt wirft jeder der anderen Seite vor, sie sei völlig unfähig, einen Verlag zu leiten, und der Streit, der hat sie längst auch vor Gericht geführt.

Vor dem Landgericht Frankfurt haben beide den Ausschluss des jeweils anderen Gesellschafters beantragt, und über diese Anträge sollte eigentlich heute entschieden werden. Das hat das Gericht aber nicht getan, es hat sich entschieden, das – wenn überhaupt – erst am 25. September zu machen. Die Entscheidung ist also vertagt worden und die Richter haben ausdrücklich gesagt, diese gewonnene Zeit solle dem Zweck dienen, die beiden Gesellschafter noch einmal an einen Tisch zu kriegen, und sie sollen sich dann nach Gesprächen außergerichtlich einigen.

Schon gibt es sogar Gerüchte, das hätte schon begonnen, und man hätte möglicherweise einen Mediator oder mehrere Mediatoren hinzugezogen. Dafür gibt es keine Bestätigung bisher, allerdings auch kein Dementi, eins kann ich Ihnen aber sagen: Wenn es einen Mediator gibt, dann ist es in diesem Fall Stefan Kessen nicht. Er aber hat seit 20 Jahren schon Erfahrung mit Mediation und Konfliktberatung, er ist der geschäftsführende Gesellschafter der Mediator GmbH in Berlin, hat sowohl bei Privatpersonen, bei Firmen als auch bei öffentlichen Konflikten schon gewirkt. Und ich begrüße ihn jetzt am Telefon, schönen guten Tag, Herr Kessen!

Stefan Kessen: Ja, schönen guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: In einem solchen Fall, wenn die Fronten seit Jahren verhärtet sind und wenn man sich sogar schon vor Gericht begegnet, hat dann Mediation noch Sinn oder ist es eigentlich zu spät?

Kessen: Auf jeden Fall ist das mal eine schwierige Ausgangssituation. Ich würde aber sagen, Mediation hat auf jeden Fall noch eine Chance, wenn es gelingen kann, mit den Beteiligten eine Ausgangsbasis zu erarbeiten, die dazu dient, dass sie wieder in die Lage versetzt werden, überhaupt über ihren Konflikt miteinander reden zu können.

Kassel: Wenn Sie jetzt aber in einen Raum kommen und da sagt A "Ich rede schon, aber der ja nicht!" und B sagt "Ich rede, aber der tut es ja nicht!", was machen Sie dann?

Kessen: Ja, das ist ja momentan die übliche Situation zu Beginn eines Konfliktes. Weil, wenn das nicht gegeben wäre, könnten die Beteiligten diesen Konflikt ja auch alleine schon regeln.

Kassel: Ist es eigentlich sinnvoll dann für einen Mediator, sich auf den aktuellen Konfliktgegenstand zu beschränken, oder muss man wie ein Psychologe ein bisschen in die Vergangenheit gehen? Denn sehr oft – und ich denke, auch bei Suhrkamp – gab es ja da Beleidigungen, Demütigungen, Verletzungen, die länger zurückliegen.

Kessen: Ja, da müsste ich jetzt ein klein bisschen ausholen. Also, allzu sehr in die Vergangenheit zu gehen, das ist wahrscheinlich sehr fruchtlos. Weil, genau da befinden sich ja die Beteiligten, indem sie das eine oder andere herausholen, was sie dem anderen jeweils vorwerfen, und sich selbst ja als Reagierende auf das jeweils sehen, was von dem anderen kommt. Was für die Mediation ja wichtig ist, ist ja eine Regelung für die Zukunft zu finden. Und da geht es sehr stark darum herauszuarbeiten, um was geht es denn eigentlich den Beteiligten, was ist ihnen denn wirklich wichtig? Und nicht, was sind die Positionen, die sie quasi vor sich herschieben, oder Beurteilungen über den anderen?

Kassel: Wenn Sie aber nun das Gefühl haben – nehmen wir Suhrkamp und dann verallgemeinern wir –, die sagen beide bei Suhrkamp, Barlach und Berkéwicz, mir ist der Verlag wichtig, ich möchte, dass der überlebt, und ich möchte, dass der sowohl gute Bücher herausbringt als auch positive Geschäftszahlen schreibt, das sagen die beide. Wenn Sie dann aber das Gefühl hätten, in Wirklichkeit ist beiden nur wichtig, dass der andere verliert, was machen Sie dann?

Kessen: Na ja, das zeigt, dass Konflikte sich auf unterschiedlichen Ebenen befinden. Das Erste, was Sie gesagt haben, ist ja prinzipiell schon mal eine gute Voraussetzung, dass überhaupt eine gemeinsame Konfliktregelung stattfinden kann. Das Zweite, was Sie gesagt haben, zeigt allerdings, dass die tatsächliche Konfliktlandschaft ja viel, viel tiefer geht und viel tiefer liegt und möglicherweise in einem Konflikt behaftet ist, wo die beiden selber gar nicht mehr so genau wissen, wo hat das eigentlich seinen Ursprung genommen und was ist eigentlich das, was mir persönlich so wichtig ist, dass es von dem anderen nicht gesehen wird? Also, dass überhaupt erst mal ein gegenseitiges Verstehen und Verstandenwerden einsetzen kann.

Und was ganz, ganz wichtig ist, und das wird häufig extrem unterschätzt: Es gibt ja in Konflikten so zwei Ebenen. Das eine ist die Wie-Ebene, das heißt, wie gehen die Beteiligten miteinander um; und das andere ist die Was-Ebene, um was geht es eigentlich in dem Konflikt? Öffentlich ausgetragen wird ja ganz häufig so über die Was-Ebene und da kommen ja dann auch Lösungen her oder werden Lösungen gesucht. Was auch zu Beginn einer Mediation ganz entscheidend ist, dass die Beteiligten eine Basis miteinander erarbeiten, dass sie überhaupt auf diese Was-Ebene hingehen können, dass Sie überhaupt diese Was-Ebene angreifen können.

Kassel: Lassen Sie mich das, Herr Kessen, noch mal kurz konkretisieren: Beispiel Suhrkamp, da ist für mich eine der Wurzeln dieses Konflikts, dass schon vor Jahren, als der neue Gesellschafter Barlach seine 39 Prozent zusammengekauft hat und reinkam, die andere Gesellschafterseite relativ deutlich gesagt hat, du gehörst hier nicht hin, du bist keiner von uns, du hast keine Ahnung von so einem Verlag und dich wollen wir eigentlich hier nicht haben. Das ist eine Demütigung, da entstehen Verletzungen. Sie haben schon gesagt, zu weit zurückgehen darf man nicht, aber da müssen Sie doch überlegen, wem mute ich was zu: Mute ich der einen Seite zu, da noch mal zurückzugehen und sich zu entschuldigen, oder mute ich der anderen Seite zu, eine solche Verletzung wirklich zu vergessen?

Kessen: Wichtig ist, glaube ich, erst mal, dass gesehen wird, dass da tatsächlich ein ganz elementarer Bestandteil dieses Konfliktes liegt. Möglicherweise sind da schon so kleine Versäumnisse gewesen in der Vergangenheit. Das heißt, als die beiden zusammengekommen sind, wäre es vielleicht ganz sinnvoll gewesen – vielleicht haben sie es getan, aber aus heutiger Sicht, oder das, was man über die Medien mitbekommt, vielleicht nicht ausreichend –, sich gegenseitig zu fragen, wie gestalten wir eigentlich unsere Zusammenarbeit, wie gehen wir mit Veränderungen um, wenn die denn eintreten? Oder, noch wichtiger, wie gehen wir miteinander um, wenn wir unterschiedliche Vorstellungen von etwas haben?

Und das Beispiel, was Sie gerade angesprochen haben, zeigt ja eigentlich, dass da vor allem die Wie-Ebene ja angesprochen worden ist. Da wird dem einen ja quasi nicht die Anerkennung zugeteilt, dass das für ihn eine ganz wichtige und entscheidende Größe ist, die er vielleicht einbringen kann, während die andere Seite sagt, also, du gehörst gar nicht richtig hierhin.

Kassel: Rein vom Ablauf her, Herr Kessen, wenn Sie so einen Fall haben, der, sagen wir mal, von den Grundvoraussetzungen etwas ähnlich ist wie Suhrkamp: Heißt eigentlich Mediation, Sie reden immer gleichzeitig mit beiden, oder führen Sie auch Einzelgespräche?

Kessen: Möglicherweise sind zu Beginn Einzelgespräche notwendig, um überhaupt die Basis zu schaffen für ein gemeinsames Gespräch. Es beginnt allerdings damit, dass auf jeden Fall beide gemeinsam eine Vereinbarung darüber treffen müssen, wie sie miteinander reden wollen. Das heißt also, wie wird denn dieser Streit ausgetragen, bevor überhaupt ein sinnhaftes Arbeiten auf der Was-Ebene – das heißt, was muss miteinander geregelt werden – möglich wird.

Kassel: Wie sucht man sich denn eigentlich einen Mediator aus? Denn ich könnte mir vorstellen in einem Streit, wenn der eine einen vorschlägt, hat der andere doch sofort den Verdacht, der ist parteiisch?

Kessen: Ja, das kann sehr gut sein. Das ist eine der großen Herausforderungen.

Kassel: Das heißt, Sie kommen dann an und müssen den Verdacht ausräumen, oder sagen Sie, das geht schon gar nicht, es kann keiner der beiden den Mediator vorschlagen?

Kessen: Doch, das kann sehr wohl sein. Wenn es gelingt, dass die andere Seite die Professionalität dieses Mediators auch erkennen kann und sieht, dass es ja sowieso nicht die Aufgabe eines Mediators ist, selber eine Lösung vorzuschlagen, sondern nur die Beteiligten darin zu unterstützen, dass diese wieder zu einer kommen, dann ist das ja durchaus möglich. Aber solche Vorschläge sind natürlich immer eine problematische Angelegenheit, wenn sie von dem einen kommen, was ja nicht nur für den Mediator gilt, sondern grundsätzlich in einem so hoch eskalierten Konflikt wird ja häufig schon per se das, was von dem anderen kommt, abgelehnt, ohne das überhaupt genauer betrachtet zu haben.

Kassel: Aber kann man was machen, kann man zum Beispiel den dann regelrecht zwingen, guck dir das erst mal in Ruhe an, bevor du urteilst?

Kessen: Da wären wir schon sozusagen mittendrin in dieser ersten Phase: Was sind denn die Rahmenbedingungen, dass ein anderer beispielsweise ein solches Vorgehen für sich auch gut annehmen kann? Vielleicht ist mit dieser Person grundsätzlich erst mal zu reden, wie kommen wir denn zu einem Mediator oder wie kommen wir denn zu gemeinsamen Gesprächen?

Kassel: Sie kennen ja beide Fälle, so wie es sie auch gibt, nämlich den – das dürfte Ihr normaler Alltag sein –, dass sie mit einem Konflikt es zu tun bekommen, der nicht öffentlich ausgetragen wird oder nur in einer sehr kleinen Teilöffentlichkeit vielleicht, mit anderen Arbeitskollegen, einem Betrieb oder Ähnliches. Und dann haben Sie auch schon als Mediator in Konflikten gearbeitet, wo man weiß, das steht dann auch in der Zeitung, da wird auch öffentlich drüber diskutiert. Letzteres haben wir ja bei Suhrkamp, welche Rolle spielt denn dann in so einer Mediation auch die Öffentlichkeit?

Kessen: Also, zunächst hat sie ja mal dafür gesorgt, dass dieser Konflikt auch immer weiter ein Stück eskaliert, weil jeder sich ja damit schon auch öffentlich ein Stück festgelegt hat, sodass ein einfaches Zurückgehen aus der Abteilung "Ja, der andere hat da ja vielleicht auch recht" ja schon gar nicht mehr möglich ist, weil man ständig das Gefühl hat, das würde mit einem Gesichtsverlust einhergehen. Also, insofern hat das erst mal schon in dieser Richtung dazu geführt, dass wahrscheinlich eine Auseinandersetzung deutlich eben … oder eine Vermittlung deutlich schwieriger geworden ist.

Auf der anderen Seite ist ja die Öffentlichkeit im Grunde genommen erst mal daran interessiert zu gucken, wie geht es denn in diesem Konflikt weiter. Und dieser Konflikt, der liegt ja eindeutig in den beteiligten Personen. Eine Mediation würde auch eine Form von Vertraulichkeit schaffen, die es den Beteiligten ermöglicht, erst mal wieder miteinander gut in ein Gespräch zu kommen, ohne dass da gleich ein Protokoll erstellt wird, was in allen möglichen Medien dann steht. Ist auch eine wesentliche Arbeit der Mediation, mit den Beteiligten eine Vereinbarung darüber zu treffen, wie wollen Sie beispielsweise auch mit Öffentlichkeit umgehen und was ist Ihnen da jeweils wichtig?

Kassel: Das ist ja, glaube ich, in dem Fall ein ganz wichtiger Punkt sogar. Ist denn eigentlich Zeitdruck – und den haben Sie, es ist ja nicht nur der 25. September, vorher gibt es noch die Berufung gegen ein Berliner Urteil –, ist Zeitdruck nur schlecht, weil man weiß, wir können nicht verhandeln, bis wir ein Ergebnis haben, wir müssen irgendwann fertig sein, oder ist der manchmal auch gut?

Kessen: Der hat mit Sicherheit auch seine Vorteile, weil es die Beteiligten auch noch mal … oder weil es den Beteiligten noch mal deutlich vor Augen führt, es geht ja auch um was und es ist nicht ein Konflikt, der immer weiter auch verschleppbar ist.

Kassel: Herr Kessen, ich habe mir das die ganze Zeit gespart, jetzt frage ich es natürlich doch: Wenn Sie einen Anruf bekämen vom Suhrkamp Verlag mit dem Auftrag, hier Mediator zu werden – lassen wir es mal weg, dass es immer gut ist fürs Renommee, weil, das hätte nun wirklich eine große PR-Geschichte zur Folge, davon abgesehen! –, würden Sie sich freuen, würden Sie es annehmen, oder würden Sie sagen, nein, die Nummer ist mir schon zu verfahren?

Kessen: Ich freue mich über jede Anfrage in Mediation. Weil, das ist für jemanden wie mich als Mediator, der seit vielen Jahren in diesem Feld arbeitet, auch immer wieder schön zu erleben, dass verfahrene Situationen, die am Anfang sehr, sehr schwierig oder herausfordernd aussehen, am Ende doch sich so verändern können, dass die Beteiligten neue Wege und neue Möglichkeiten finden. Das ist kein Königsweg und das ist auch keine Garantie, und auf der anderen Seite haben wir schon ganz, ganz viele Situationen erlebt, wo das eben eingetreten ist. Insofern freue ich mich da auf jede neue Chance, die Beteiligten selbst daran zu unterstützen, für sich neue Lösungen finden zu können.

Kassel: Also, nicht nur das Gericht hat die Hoffnung noch nicht sterben lassen in diesem Fall, im Fall Suhrkamp, sondern der Mediator und Konfliktberater Stefan Kessen weigert sich auch, das zu tun. Herr Kessen, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Kessen: Ja, ich danke Ihnen!

*) Der Beitrag weicht an dieser Stelle von der Audio-Fassung ab.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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