Gute Arbeit kostet Geld

Magnus Treiber im Gespräch mit Joachim Scholl · 22.01.2010
Um Lohndumping an Hochschulen abzuschaffen, sollte ein Wissenschaftstarifvertrag geschlossen werden, fordert der Ethnologe Magnus Treiber, der einen Streik von freien Mitarbeitern an der Universität München mitorganisierte. "Da müssen auch die Lehrbeauftragten genannt sein."
Joachim Scholl: Ich arbeite für zwei Euro die Stunde, stand vor einigen Jahren auf dem Titelblatt der "Münchner Abendzeitung" zu lesen. Abgebildet auf der Seite war ein Lehrbeauftragter der Universität München. Dass er und dieser Satz an so prominenter Stelle gesetzt wurden, lag an einer akademischen Sensation: Zum ersten Mal streikten nämlich die Lehrbeauftragten, jene Wissenschaftler also, die sich – obgleich hoch qualifiziert – mit Hungerstundenlöhnen zufriedengeben müssen. Einer der Organisatoren dieses historischen Streiks war der Ethnologe Magnus Treiber, er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Magnus Treiber: Guten Morgen!

Scholl: Wie kam es denn zu diesem Aufstand?

Treiber: Entstanden ist der Streik eigentlich aus einer ganz alltäglichen Unzufriedenheit. Nach einer Institutssitzung wurden Lehraufträge besprochen, das war im Frühling 2005, und irgendjemand hat seinen Unmut geäußert über die geringe Bezahlung, damals noch von unter zehn Euro. Daraufhin haben wir einen Diskussionskreis eingerichtet, haben Leute eingeladen aus der Verwaltung, aus der Gewerkschaft, Personalrat und haben uns informiert, was denn da zu machen sei, um das Entgelt anzuheben.

Der Streik selber ist ein ganzes Jahr später vonstatten gegangen und war eigentlich mehr das Ergebnis unserer Ohnmacht. Wir sind überall mit offenen Armen empfangen worden – auf verschiedenen Ebenen im Institut, am Dekanat, vom Präsident, sogar das Kultusministerium hat uns gute Arbeit bescheinigt – und alle haben gesagt, da können wir nichts machen, sind wir nicht zuständig. Und zuletzt blieb uns eigentlich wenig übrig, als unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Dummerweise sind Lehrbeauftragte nicht angestellt, können eigentlich deshalb gar nicht streiken, unterliegen keinem Tarifrecht, und wir haben einfach dann keine Seminare gegeben und versucht, das öffentlich zu machen.

Scholl: Was ja dann doch aber zumindest einen Effekt hat, weil nämlich so viele Lehrbeauftragte damals – am Institut für Afrikanistik war das – ja doch einen Großteil dieser Arbeit von Lehrbeauftragten geleistet wurde. Wie hat denn die Universitätsleitung dann da auf diesen Schritt reagiert?

Treiber: Wir wären wahrscheinlich totgeschwiegen worden, aber durch solche Pressemitteilungen, die dadurch zustande kamen, dass auch junge Journalisten an dem Thema Interesse hatten – denn die sind da oft selber prekär tätig –, und dann mussten die sich äußern, auch die Universitätsleitung, und wir hatten verschiedene Diskussionen. Eine Ebene hat der anderen die Verantwortung zugeschoben und am Schluss hat sich für uns doch nichts geändert. Und das hat uns dann am Schluss auch frustriert und wir haben nach einem Semester Streik auch aufgegeben und wurden erst in der Folge dann immer wieder zitiert und eingeladen auch, um darüber zu berichten.

Scholl: Das heißt, der Streik hat überhaupt nichts gebracht für Sie, also keine Verbesserung der finanziellen Situation?

Treiber: Unmittelbar nicht, nein. Wir wollten dann schließlich abwarten, was aus den Studiengebühren werden sollte, die damals noch nicht eingeführt waren. Erst diese haben am damaligen Institut für Ethnologie und Afrikanistik, das es so heute in der Form nicht mehr gibt, dort wurden Teile der Lehraufträge dann aus Studiengebühren finanziert beziehungsweise aufgestockt. Dafür wurde aber auch die Zahl der Lehraufträge vermindert.

Scholl: Noch mal zurück zu dem Streik: Wie groß war eigentlich die Solidarität damals unter den betroffenen Lehrbeauftragten?

Treiber: Es dauerte ein Jahr, bis wir wirklich dann auch gesammelt und gemeinschaftlich in Streik treten konnten. Das lag nicht zuletzt da dran, dass wir uns alle uneins waren. Stellen Sie sich viele Intellektuelle vor, die haben alle unterschiedliche Ideen vom Leben, die sind hoch qualifiziert, sind zum Teil Avantgarde in ihren einzelnen Forschungsfeldern, sehen die Zeit, in der man Lehraufträge annimmt, als eine temporäre Phase an, die dann doch immer länger dauert, als man das sich erhofft hat. Und all das mussten wir zusammenbringen und auf einen gemeinsamen Nenner herunterschrauben. Und der war am Schluss: Gute Arbeit soll auch entsprechend entgolten werden. Darauf konnten sich immerhin die meisten einigen.

Scholl: Wenn sich nun die Bezahlung also durch den Zuschlag der Studiengebühren zwar dann doch verbessert hat am Ende, und wenn man es zusammenrechnet, Herr Treiber – ich hab mal so eine Rechnung aufgemacht –, waren es ungefähr dann 600 Euro pro Semester. Davon kann immer noch kein Mensch existieren, geschweige denn eine Familie unterhalten und ernähren. Wovon haben Sie eigentlich damals zu dieser Zeit gelebt?

Treiber: Ich war eine Zeit lang Praktikant, hatte eine Drittmittelfinanzierung nach meinem Stipendium. Dann war ich ein Jahr Lehrer an einem städtischen Gymnasium in München, gleichzeitig Hilfskraft am Institut und habe auch noch an der Volkshochschule Kurse gegeben. Und ehrlich gesagt, ich weiß heute nicht mehr genau, wie ich das alles hingebracht habe.

Scholl: Arbeit für einen Hungerlohn. Zur Situation der Lehrbeauftragten an deutschen Universität äußert sich der Ethnologe Magnus Treiber. Herr Treiber, wir haben gestern hier im "Radiofeuilleton" mit Jörg Steinbach gesprochen, er ist der designierte Präsident an der Technischen Universität in Berlin, und er hat die grundsätzliche Haltung der Universitäten zu den Lehrbeauftragten so zusammengefasst. Hören wir uns das mal an.

Jörg Steinbach: Das Lehrbeauftragtenwesen hat nie von unserer Seite aus eine Rolle gespielt, damit eine Berufstätigkeit zu ersetzen. Das heißt, wir erheben auch gar nicht den Anspruch, dass mit der Vergabe eines Lehrauftrages jemand sein Leben sozusagen davon finanzieren kann, sondern das sind bei uns ergänzende Lehrveranstaltungen, einzelne Lehrveranstaltungen, die auch keinen Professor als Ganzes mit seinem gesamten Lehrdeputat ersetzen oder Ähnlichem, sondern das sind Spezialveranstaltungen, und da ist nie der Anspruch erhoben worden, dass darauf Lebensbiografien aufgebaut sein können.

Scholl: Jörg Steinbach, Präsident der Technischen Universität in Berlin, gestern hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Treiber, also bloß keine Lebensbiografie auf dieser Tätigkeit als Lehrbeauftragter aufbauen. Das ist, wenn man so will, die theoretische Warnung, der Lehrauftrag sozusagen als akademischer Nebenjob. Ist das so?

Treiber: Ja, uns wurde damals entgegengehalten, man solle keine Erbhöfe aufbauen und die Universität sei kein Sozialamt, was in ungefähr der Äußerung von Herrn Steinbach entspricht. Ich muss einen klaren Schnitt machen für die Zeit vor den Studiengebühren und die Zeit nach den Studiengebühren, wobei ich Studiengebühren prinzipiell ablehne, aber sie haben doch sehr viele Menschen in zwar prekäre, aber doch sozialversicherungspflichtige Stellen und Brot und Arbeit gebracht.

Für die Zeit davor kann man sicher sagen, dass die Universität die Arbeit der Lehrbeauftragten in Anspruch genommen hat, die es damals sicher zu einem größeren Anteil noch gab, die eine Breite und eine Tiefe in die Seminarstruktur und in die Lehrwelt hineinbringen, die eben nicht ersetzt werden kann durch die heutigen Lehrkräfte für besondere Aufgaben, die 13 bis 18 Stunden Lehrkontingent haben, sondern die Lehrbeauftragten sind ja in ihrer Forschung nach wie vor tätig und stellen Spezialgebiete vor aus ihrer eigenen Forschung. Die Universität nimmt das dankbar an, lehnt aber dann Verantwortung ab. Insbesondere, wenn ich das sagen darf, bei den Privatdozenten und -dozentinnen, die ja lehren müssen, um ihre Prüfungsberechtigung nicht zu verlieren, dann dort zu sagen, das hätten Sie vorher wissen können, während Sie auf die Professur hoffen, die immer winkt, aber nie sicher da ist. So stark würde ich das bestimmt nicht sehen. Da würde ich mich dagegenwenden.

Scholl: Herr Treiber, ein idealer akademischer Lebenslauf hat ja immer so ausgesehen: Studium, dann Lehrauftrag, nebenher Promotion und Habilitation, dann die Professur oder eine sonstige feste Stelle an einer Uni. Dieses Modell funktioniert anscheinend immer weniger, der Lehrbeauftragte aber bleibt und bleibt. Warum lassen die das eigentlich mit sich machen?

Treiber: Auch Intellektuelle und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind ja nicht frei von einem Diskurs, der Eigenverantwortung verlangt, der auf Leistung beharrt, der Ehrgeiz fordert, der Engagement und so weiter in das Individuum hineinversetzt. Es gibt natürlich Karriereträume, und ab einem bestimmten Ausbildungslevel gibt es auch kein einfaches Zurück mehr, dann wird man durch Familie, finanzielle Sorgen und so weiter zum Ausstieg gezwungen, und das hat mit der Qualität der eigenen Arbeit gar nichts zu tun, sondern mit finanziellen Sorgen. Dann geht man ins Lektoratswesen oder Ähnliches, was sehr beliebt ist.

Dennoch gibt es die Hoffnung, an der Universität bleiben zu können. Der Lehrauftrag ist ein Strohhalm, der es einem erlaubt, die Anbindung an eine Universität zu zeigen, der einem Zugang zu anderen Wissenschaftlern erlaubt. Währenddessen bewirbt man sich, publiziert man, schreibt Forschungsanträge und so fort, und das wird nie als eine Zeit wahrgenommen, in der man stecken bleiben darf und stehen bleiben sollte. Nichtsdestotrotz geht ja nicht jede Bewerbung auf, und man ist oft länger in dieser Schleife, als man das vorher plant. Und deshalb ist es einfach auch wichtig, diese Phase zu thematisieren und den Menschen auch klarzumachen, es geht anderen ähnlich wie euch, und das ist eine Phase, in der wir trotzdem gute Arbeit leisten und gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Entgelt einfordern dürfen.

Scholl: Nun haben wir seit einiger Zeit eine intensive, auch politische Hochschuldebatte über den Bologna-Prozess, die Exzellenzinitiativen, Bildung als Ressource und, und, und. Das Problem der Lehrbeauftragten, die ja wirklich ein Gutteil der Lehre schultern, scheint überhaupt nicht auf der Agenda zu stehen. Müsste sich das nicht ändern?

Treiber: Selbstverständlich, aber ich hatte auch erwähnt, dass seit den Studiengebühren – also ich kann jetzt für Bayern sprechen – sich doch etwas verändert hat, denn eingeführt wurden für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Lehrkräfte für besondere Aufgaben als Stellen und die BA-Koordinationsstellen, beides befristete Stellen, beide schlecht bezahlt und sehr aufwendig in der Arbeit, verhindern Weiterqualifikation, aber es sind doch Stellen. Die Lehrkräfte für besondere Arbeiten leisten 13 bis 18 Stunden Lehrkontingent, und das ist etwas, was natürlich dann erlaubt, Lehrbeauftragte zurückzufahren und dafür kein Geld mehr auszugeben.

Scholl: Es erscheint aber doch als Widersinn, dass man Wissenschaftler jahrelang ausbildet, sie promoviert, gar habilitiert, um sie dann auf einem akademischen Hartz-IV-Niveau versauern zu lassen. Was wäre denn aus Ihrer Sicht, Herr Treiber, eine vernünftige, auch finanziell machbare Forderung an die Universitäten?

Treiber: Also ich bin ein Vertreter eines Wissenschaftstarifvertrages, in den alle einsortiert werden können, und da müssen auch die Lehrbeauftragten genannt sein und die müssen dort rein. Die Studiengebühren haben ermöglicht, dass Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, wenn auch prekär, aber doch Stellen bekommen, nur dürfen sie meiner Ansicht nach nicht von Studiengebühren bezahlt werden, denn da ist die Verantwortung auch eine falsche, sondern das muss über Planstellen abgedeckt sein. Und ein gutes Stück weit, denke ich, geht das. Und wenn man sich den Bildungsabbau seit den 80er-Jahren anschaut, dann ist da, glaube ich, genug, wäre genug Raum, den man füllen könnte. Das kostet allerdings, kostenneutral geht das nicht.

Scholl: Lehrbeauftragte an deutschen Universitäten – wie ist ihre Situation, was muss sich ändern? Das war der Ethnologe Magnus Treiber von der Universität Bayreuth. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Treiber!

Treiber: Bitte schön!